Hier handelt es sich nicht um einen mythischen Heros, sondern nur um einen besonders geschickten und begünstigten römischen Jagd- sclaven, der denn auch wie er war, von der Hand eines guten Künst- lers (vielleicht der augusteischen Zeit), vor uns steht. Ob "Polyti- mus der Freigelassene", wie an der Basis zu lesen ist, auf den Jäger Bildhauer oder Eigenthümer geht, wollen wir nicht entscheiden.
Wenn sich in jeder Gottheit irgend eine Seite des griechischen Wesens ideal ausdrückt, so ist Pallas Athene eine der höchsten Versinnlichungen dieser Art. Aus der Lichtjungfrau, welche die dämo- nischen Mächte bekämpft und das Haupt der besiegten Gorgo an der Brust trägt, war schon bei Homer und Hesiod eine Schützerin jeder verständigen und kräftigen Thätigkeit, die Begleiterin, der Genius des "Griechen als solchen" geworden, wie wir den vielduldenden Odysseus wohl nennen dürfen; sie ist der Verstand des Zeus und aus seinem Haupte geboren. Weder der Peloponnes noch Jonien hätten sie herr- lich genug gebildet; als Schutzherrin von Athen erhielt sie ihren Typus durch die grössten Künstler dieser Stadt, vorzüglich durch Phi- dias; aus ihrer Gestalt scheint Athen selber vernehmlich zu uns zu sprechen.
Die ältere Kunst hob an ihr wesentlich das Kriegerische hervor; erregt, selbst stürmisch schreitet die bewaffnete, strenge Jungfrau mit ihren fast männlichen Formen und Geberden einher. So die schon aerwähnte hieratische Statue in der Villa Albani (Reliefzimmer). -- Eine späte Nachahmung eines ruhigern Tempelbildes, im Hauptsaal bder Villa Ludovisi, interessirt hauptsächlich durch den Künstlernamen: Antiochos von Athen.
Einen viel entwickeltern Typus, in welchem indess noch immer die kriegerische Stadtherrscherin vorwaltet, finden wir in einer Statue cdes Museums von Neapel (Halle der Flora) ausgedrückt. Das Haupt, von mächtigen, fast junonischen Formen, trägt einen Helm, dessen reicher Schmuck sammt der umständlich behandelten Aegis der ganzen Gestalt noch etwas Buntes giebt. Man vergleiche mit dieser Statue die in der In- dtention übereinstimmende im Hauptsaal der Villa Albani, welche bei sehr vorzüglicher griechischer Arbeit noch etwas Heftiges und Befangenes hat;
Antike Sculptur. Pallas.
Hier handelt es sich nicht um einen mythischen Heros, sondern nur um einen besonders geschickten und begünstigten römischen Jagd- sclaven, der denn auch wie er war, von der Hand eines guten Künst- lers (vielleicht der augusteischen Zeit), vor uns steht. Ob „Polyti- mus der Freigelassene“, wie an der Basis zu lesen ist, auf den Jäger Bildhauer oder Eigenthümer geht, wollen wir nicht entscheiden.
Wenn sich in jeder Gottheit irgend eine Seite des griechischen Wesens ideal ausdrückt, so ist Pallas Athene eine der höchsten Versinnlichungen dieser Art. Aus der Lichtjungfrau, welche die dämo- nischen Mächte bekämpft und das Haupt der besiegten Gorgo an der Brust trägt, war schon bei Homer und Hesiod eine Schützerin jeder verständigen und kräftigen Thätigkeit, die Begleiterin, der Genius des „Griechen als solchen“ geworden, wie wir den vielduldenden Odysseus wohl nennen dürfen; sie ist der Verstand des Zeus und aus seinem Haupte geboren. Weder der Peloponnes noch Jonien hätten sie herr- lich genug gebildet; als Schutzherrin von Athen erhielt sie ihren Typus durch die grössten Künstler dieser Stadt, vorzüglich durch Phi- dias; aus ihrer Gestalt scheint Athen selber vernehmlich zu uns zu sprechen.
Die ältere Kunst hob an ihr wesentlich das Kriegerische hervor; erregt, selbst stürmisch schreitet die bewaffnete, strenge Jungfrau mit ihren fast männlichen Formen und Geberden einher. So die schon aerwähnte hieratische Statue in der Villa Albani (Reliefzimmer). — Eine späte Nachahmung eines ruhigern Tempelbildes, im Hauptsaal bder Villa Ludovisi, interessirt hauptsächlich durch den Künstlernamen: Antiochos von Athen.
Einen viel entwickeltern Typus, in welchem indess noch immer die kriegerische Stadtherrscherin vorwaltet, finden wir in einer Statue cdes Museums von Neapel (Halle der Flora) ausgedrückt. Das Haupt, von mächtigen, fast junonischen Formen, trägt einen Helm, dessen reicher Schmuck sammt der umständlich behandelten Aegis der ganzen Gestalt noch etwas Buntes giebt. Man vergleiche mit dieser Statue die in der In- dtention übereinstimmende im Hauptsaal der Villa Albani, welche bei sehr vorzüglicher griechischer Arbeit noch etwas Heftiges und Befangenes hat;
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Antike Sculptur. Pallas.
Hier handelt es sich nicht um einen mythischen Heros, sondern nur
um einen besonders geschickten und begünstigten römischen Jagd-
sclaven, der denn auch wie er war, von der Hand eines guten Künst-
lers (vielleicht der augusteischen Zeit), vor uns steht. Ob „Polyti-
mus der Freigelassene“, wie an der Basis zu lesen ist, auf den Jäger
Bildhauer oder Eigenthümer geht, wollen wir nicht entscheiden.
Wenn sich in jeder Gottheit irgend eine Seite des griechischen
Wesens ideal ausdrückt, so ist Pallas Athene eine der höchsten
Versinnlichungen dieser Art. Aus der Lichtjungfrau, welche die dämo-
nischen Mächte bekämpft und das Haupt der besiegten Gorgo an der
Brust trägt, war schon bei Homer und Hesiod eine Schützerin jeder
verständigen und kräftigen Thätigkeit, die Begleiterin, der Genius des
„Griechen als solchen“ geworden, wie wir den vielduldenden Odysseus
wohl nennen dürfen; sie ist der Verstand des Zeus und aus seinem
Haupte geboren. Weder der Peloponnes noch Jonien hätten sie herr-
lich genug gebildet; als Schutzherrin von Athen erhielt sie ihren
Typus durch die grössten Künstler dieser Stadt, vorzüglich durch Phi-
dias; aus ihrer Gestalt scheint Athen selber vernehmlich zu uns zu
sprechen.
Die ältere Kunst hob an ihr wesentlich das Kriegerische hervor;
erregt, selbst stürmisch schreitet die bewaffnete, strenge Jungfrau mit
ihren fast männlichen Formen und Geberden einher. So die schon
erwähnte hieratische Statue in der Villa Albani (Reliefzimmer). —
Eine späte Nachahmung eines ruhigern Tempelbildes, im Hauptsaal
der Villa Ludovisi, interessirt hauptsächlich durch den Künstlernamen:
Antiochos von Athen.
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Einen viel entwickeltern Typus, in welchem indess noch immer
die kriegerische Stadtherrscherin vorwaltet, finden wir in einer Statue
des Museums von Neapel (Halle der Flora) ausgedrückt. Das Haupt, von
mächtigen, fast junonischen Formen, trägt einen Helm, dessen reicher
Schmuck sammt der umständlich behandelten Aegis der ganzen Gestalt
noch etwas Buntes giebt. Man vergleiche mit dieser Statue die in der In-
tention übereinstimmende im Hauptsaal der Villa Albani, welche bei sehr
vorzüglicher griechischer Arbeit noch etwas Heftiges und Befangenes hat;
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/460>, abgerufen am 18.12.2024.
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