der, die leichte, ruhige Stellung diess vernehmlich ausdrücken. Allein in der ganzen Gestalt waltet ein wahrhaft göttlicher Sinn, der sie über jene Einzelbedeutung weit emporhebt. Sie hat, ich möchte sagen, ein höheres, zeitloseres Dasein als alle menschlichen Athleten, in welchen die Wirkung der letztvorhergegangenen, die Erwartung der nächsten Anstrengung mit angedeutet scheint. Und welch ein wunderbares Haupt! es ist nicht bloss der freundlich-sanfte, feine Hermes, sondern wahrhaftig der, welcher "den obern und den untern Göttern werth" ist, der Mittler der beiden Welten. Darum liegt auf diesem Jünglingsantlitz ein Schatten von Trauer, wie es dem unsterb- lichen Todtenführer zukömmt, der so viel Leben untergehen sieht. Die süsse, jugendliche Melancholie, welche im Antinous zweideutig gemischt waltet, ist hier mit vollkommener Reinheit ausgedrückt.
Die Statue ist stark verstümmelt, geglättet und zweifelhaft re- staurirt. Möge sie wenigstens fortan bleiben wie sie ist. (Eine viela geringere Wiederholung im grossen Saal des Pal. Farnese.)
Noch mancher treffliche Hermes steht in den römischen Galerien, allein keiner der diesem irgend nahe käme. Zur Vergleichung diene z. B. der Hermes mit der Inschrift INGENVI (Vatican, Galeria delleb statue), und derjenige des Braccio nuovo, gute römische Arbeiten.c Im letztgenannten Theile des Vaticans stehen (hinten) auch zwei be- mäntelte Hermen, deren Köpfe wirklich Hermes vorstellen. -- Im grossen Saal des capitolinischen Museums glaubt man in der Statued eines vorgebeugten Jünglings, welcher (in der jetzigen Restauration) den Zeigefinger der Rechten wie horchend erhebt, und den linken Fuss auf ein Felsstück setzt, einen Hermes zu erkennen. Es ist ein stattliches, lebensvolles Werk, etwa aus hadrianischer Zeit. -- Ein römischer Hermes, wenigstens mit einem Nachklang jener schönene Trauer, im Hauptsaal der Villa Ludovisi.
Im Museum von Neapel, Abtheilung der grossen Bronzen, bietenf zunächst zwei Köpfe eine interessante Parallele dar. Der eine, alter- thümlich streng, mit einer Reihe von Löckchen wie Korkzieher, zeigt uns den kalten conventionellen Ausdruck des frühern griechischen Typus, während der andere sich der seelenvollen Schönheit des vati- canischen Gottes nähert. Dann findet sich hier die unvergleichlicheg Statue des angelnden Hermes. Er hat schon lange gesessen und
Hermes.
der, die leichte, ruhige Stellung diess vernehmlich ausdrücken. Allein in der ganzen Gestalt waltet ein wahrhaft göttlicher Sinn, der sie über jene Einzelbedeutung weit emporhebt. Sie hat, ich möchte sagen, ein höheres, zeitloseres Dasein als alle menschlichen Athleten, in welchen die Wirkung der letztvorhergegangenen, die Erwartung der nächsten Anstrengung mit angedeutet scheint. Und welch ein wunderbares Haupt! es ist nicht bloss der freundlich-sanfte, feine Hermes, sondern wahrhaftig der, welcher „den obern und den untern Göttern werth“ ist, der Mittler der beiden Welten. Darum liegt auf diesem Jünglingsantlitz ein Schatten von Trauer, wie es dem unsterb- lichen Todtenführer zukömmt, der so viel Leben untergehen sieht. Die süsse, jugendliche Melancholie, welche im Antinous zweideutig gemischt waltet, ist hier mit vollkommener Reinheit ausgedrückt.
Die Statue ist stark verstümmelt, geglättet und zweifelhaft re- staurirt. Möge sie wenigstens fortan bleiben wie sie ist. (Eine viela geringere Wiederholung im grossen Saal des Pal. Farnese.)
Noch mancher treffliche Hermes steht in den römischen Galerien, allein keiner der diesem irgend nahe käme. Zur Vergleichung diene z. B. der Hermes mit der Inschrift INGENVI (Vatican, Galeria delleb statue), und derjenige des Braccio nuovo, gute römische Arbeiten.c Im letztgenannten Theile des Vaticans stehen (hinten) auch zwei be- mäntelte Hermen, deren Köpfe wirklich Hermes vorstellen. — Im grossen Saal des capitolinischen Museums glaubt man in der Statued eines vorgebeugten Jünglings, welcher (in der jetzigen Restauration) den Zeigefinger der Rechten wie horchend erhebt, und den linken Fuss auf ein Felsstück setzt, einen Hermes zu erkennen. Es ist ein stattliches, lebensvolles Werk, etwa aus hadrianischer Zeit. — Ein römischer Hermes, wenigstens mit einem Nachklang jener schönene Trauer, im Hauptsaal der Villa Ludovisi.
Im Museum von Neapel, Abtheilung der grossen Bronzen, bietenf zunächst zwei Köpfe eine interessante Parallele dar. Der eine, alter- thümlich streng, mit einer Reihe von Löckchen wie Korkzieher, zeigt uns den kalten conventionellen Ausdruck des frühern griechischen Typus, während der andere sich der seelenvollen Schönheit des vati- canischen Gottes nähert. Dann findet sich hier die unvergleichlicheg Statue des angelnden Hermes. Er hat schon lange gesessen und
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der, die leichte, ruhige Stellung diess vernehmlich ausdrücken. Allein
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über jene Einzelbedeutung weit emporhebt. Sie hat, ich möchte
sagen, ein höheres, zeitloseres Dasein als alle menschlichen Athleten,
in welchen die Wirkung der letztvorhergegangenen, die Erwartung
der nächsten Anstrengung mit angedeutet scheint. Und welch ein
wunderbares Haupt! es ist nicht bloss der freundlich-sanfte, feine
Hermes, sondern wahrhaftig der, welcher „den obern und den untern
Göttern werth“ ist, der Mittler der beiden Welten. Darum liegt auf
diesem Jünglingsantlitz ein Schatten von Trauer, wie es dem unsterb-
lichen Todtenführer zukömmt, der so viel Leben untergehen sieht.
Die süsse, jugendliche Melancholie, welche im Antinous zweideutig
gemischt waltet, ist hier mit vollkommener Reinheit ausgedrückt.
Die Statue ist stark verstümmelt, geglättet und zweifelhaft re-
staurirt. Möge sie wenigstens fortan bleiben wie sie ist. (Eine viel
geringere Wiederholung im grossen Saal des Pal. Farnese.)
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Noch mancher treffliche Hermes steht in den römischen Galerien,
allein keiner der diesem irgend nahe käme. Zur Vergleichung diene
z. B. der Hermes mit der Inschrift INGENVI (Vatican, Galeria delle
statue), und derjenige des Braccio nuovo, gute römische Arbeiten.
Im letztgenannten Theile des Vaticans stehen (hinten) auch zwei be-
mäntelte Hermen, deren Köpfe wirklich Hermes vorstellen. — Im
grossen Saal des capitolinischen Museums glaubt man in der Statue
eines vorgebeugten Jünglings, welcher (in der jetzigen Restauration)
den Zeigefinger der Rechten wie horchend erhebt, und den linken
Fuss auf ein Felsstück setzt, einen Hermes zu erkennen. Es ist ein
stattliches, lebensvolles Werk, etwa aus hadrianischer Zeit. — Ein
römischer Hermes, wenigstens mit einem Nachklang jener schönen
Trauer, im Hauptsaal der Villa Ludovisi.
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Im Museum von Neapel, Abtheilung der grossen Bronzen, bieten
zunächst zwei Köpfe eine interessante Parallele dar. Der eine, alter-
thümlich streng, mit einer Reihe von Löckchen wie Korkzieher, zeigt
uns den kalten conventionellen Ausdruck des frühern griechischen
Typus, während der andere sich der seelenvollen Schönheit des vati-
canischen Gottes nähert. Dann findet sich hier die unvergleichliche
Statue des angelnden Hermes. Er hat schon lange gesessen und
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/453>, abgerufen am 18.12.2024.
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