Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Römisches Detail. Tempel.

Es versteht sich, dass nur eigentliche Prachtgebäude diesen Schmuck
vollständig aufwiesen und auch diese nicht durchgängig; zudem sind sie
fast ohne Ausnahme nur in geringen Fragmenten erhalten. Ausser den
noch an Ort und Stelle befindlichen Bauresten wird man desshalb zur Er-
gänzung auch die verschleppten und in die Museen geretteten Fragmente
studiren müssen, indem sich stellenweise gerade an ihnen das Schönste
und Reichste, auch wohl das Zierlichste, wenn sie von kleineren Bauten
herstammen, erhalten hat. Im Vatican enthält namentlich die schona
genannte Galeria lapidaria und auch das Museo Chiaramonti einenb
Schatz von solchen Bruchstücken; ebenso das Museum des Laterans;c
von den Privatsammlungen ist die Villa Albani besonders reich daran;d
von den christlichen Basiliken Roms bieten der ältere Theil von S. Lo-e
renzo fuori le mura und das Hauptschiff von S. Maria in Trasteveref
ganze bunte Mustersammlungen dar. Eine Sammlung von Abgüsseng
in der Academie de France. In Florenz (äussere Vorhalle der Uffizien)h
nur ein Stück von einer Thürgewandung und ein anderes von einem
Fries; aber beide von hohem Werthe.

Hier wie überall muss der Beschauer jene restaurirende Thätig-
keit in sich entwickeln, ohne welche ihm die antiken Reste wie lauter
Formlosigkeit und die Freude daran wie lauter Thorheit erscheinen.
Er muss aus dem Theil das vermuthliche Ganze ahnen und herstellen
lernen und nicht gleich einen "Eindruck" verlangen bei Überresten,
deren Schönheit sich erst durch das Hinzugedachte ergänzen kann. Das
ganze Gebäude aus Trümmern zu errathen, wird wohl nur dem For-
scher möglich sein, allein aus ein paar Säulen mit Gebälkstücken we-
nigstens auf die Wirkung einer ganzen Colonnade zu schliessen ist
Sache jedes nicht rohen oder abgestumpften Auges.


Wir beginnen mit den Tempeln. Hier ist das Verhältniss der
Säulenhalle zur Cella fast durchgängig ein anderes als bei den Grie-
chen. Jene dient nicht mehr zum Ausdruck dieser und entspricht ihr
nicht mehr in derselben Weise. Die Halle ist jetzt ein Vorbau der
Cella und wird nur aus Prachtliebe etwa noch ringsum geführt; sonst
bequemt sich die römische Kunst sehr leicht, nur einen Anklang davon
in Gestalt von Halbsäulen ringsum anzugeben oder auch die Wand

Römisches Detail. Tempel.

Es versteht sich, dass nur eigentliche Prachtgebäude diesen Schmuck
vollständig aufwiesen und auch diese nicht durchgängig; zudem sind sie
fast ohne Ausnahme nur in geringen Fragmenten erhalten. Ausser den
noch an Ort und Stelle befindlichen Bauresten wird man desshalb zur Er-
gänzung auch die verschleppten und in die Museen geretteten Fragmente
studiren müssen, indem sich stellenweise gerade an ihnen das Schönste
und Reichste, auch wohl das Zierlichste, wenn sie von kleineren Bauten
herstammen, erhalten hat. Im Vatican enthält namentlich die schona
genannte Galeria lapidaria und auch das Museo Chiaramonti einenb
Schatz von solchen Bruchstücken; ebenso das Museum des Laterans;c
von den Privatsammlungen ist die Villa Albani besonders reich daran;d
von den christlichen Basiliken Roms bieten der ältere Theil von S. Lo-e
renzo fuori le mura und das Hauptschiff von S. Maria in Trasteveref
ganze bunte Mustersammlungen dar. Eine Sammlung von Abgüsseng
in der Académie de France. In Florenz (äussere Vorhalle der Uffizien)h
nur ein Stück von einer Thürgewandung und ein anderes von einem
Fries; aber beide von hohem Werthe.

Hier wie überall muss der Beschauer jene restaurirende Thätig-
keit in sich entwickeln, ohne welche ihm die antiken Reste wie lauter
Formlosigkeit und die Freude daran wie lauter Thorheit erscheinen.
Er muss aus dem Theil das vermuthliche Ganze ahnen und herstellen
lernen und nicht gleich einen „Eindruck“ verlangen bei Überresten,
deren Schönheit sich erst durch das Hinzugedachte ergänzen kann. Das
ganze Gebäude aus Trümmern zu errathen, wird wohl nur dem For-
scher möglich sein, allein aus ein paar Säulen mit Gebälkstücken we-
nigstens auf die Wirkung einer ganzen Colonnade zu schliessen ist
Sache jedes nicht rohen oder abgestumpften Auges.


Wir beginnen mit den Tempeln. Hier ist das Verhältniss der
Säulenhalle zur Cella fast durchgängig ein anderes als bei den Grie-
chen. Jene dient nicht mehr zum Ausdruck dieser und entspricht ihr
nicht mehr in derselben Weise. Die Halle ist jetzt ein Vorbau der
Cella und wird nur aus Prachtliebe etwa noch ringsum geführt; sonst
bequemt sich die römische Kunst sehr leicht, nur einen Anklang davon
in Gestalt von Halbsäulen ringsum anzugeben oder auch die Wand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0035" n="13"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Römisches Detail. Tempel.</hi> </fw><lb/>
        <p>Es versteht sich, dass nur eigentliche Prachtgebäude diesen Schmuck<lb/>
vollständig aufwiesen und auch diese nicht durchgängig; zudem sind sie<lb/>
fast ohne Ausnahme nur in geringen Fragmenten erhalten. Ausser den<lb/>
noch an Ort und Stelle befindlichen Bauresten wird man desshalb zur Er-<lb/>
gänzung auch die verschleppten und in die Museen geretteten Fragmente<lb/>
studiren müssen, indem sich stellenweise gerade an ihnen das Schönste<lb/>
und Reichste, auch wohl das Zierlichste, wenn sie von kleineren Bauten<lb/>
herstammen, erhalten hat. Im Vatican enthält namentlich die schon<note place="right">a</note><lb/>
genannte Galeria lapidaria und auch das Museo Chiaramonti einen<note place="right">b</note><lb/>
Schatz von solchen Bruchstücken; ebenso das Museum des Laterans;<note place="right">c</note><lb/>
von den Privatsammlungen ist die Villa Albani besonders reich daran;<note place="right">d</note><lb/>
von den christlichen Basiliken Roms bieten der ältere Theil von S. Lo-<note place="right">e</note><lb/>
renzo fuori le mura und das Hauptschiff von S. Maria in Trastevere<note place="right">f</note><lb/>
ganze bunte Mustersammlungen dar. Eine Sammlung von Abgüssen<note place="right">g</note><lb/>
in der Académie de France. In Florenz (äussere Vorhalle der Uffizien)<note place="right">h</note><lb/>
nur ein Stück von einer Thürgewandung und ein anderes von einem<lb/>
Fries; aber beide von hohem Werthe.</p><lb/>
        <p>Hier wie überall muss der Beschauer jene restaurirende Thätig-<lb/>
keit in sich entwickeln, ohne welche ihm die antiken Reste wie lauter<lb/>
Formlosigkeit und die Freude daran wie lauter Thorheit erscheinen.<lb/>
Er muss aus dem Theil das vermuthliche Ganze ahnen und herstellen<lb/>
lernen und nicht gleich einen &#x201E;Eindruck&#x201C; verlangen bei Überresten,<lb/>
deren Schönheit sich erst durch das Hinzugedachte ergänzen kann. Das<lb/>
ganze Gebäude aus Trümmern zu errathen, wird wohl nur dem For-<lb/>
scher möglich sein, allein aus ein paar Säulen mit Gebälkstücken we-<lb/>
nigstens auf die Wirkung einer ganzen Colonnade zu schliessen ist<lb/>
Sache jedes nicht rohen oder abgestumpften Auges.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Wir beginnen mit den <hi rendition="#g">Tempeln</hi>. Hier ist das Verhältniss der<lb/>
Säulenhalle zur Cella fast durchgängig ein anderes als bei den Grie-<lb/>
chen. Jene dient nicht mehr zum Ausdruck dieser und entspricht ihr<lb/>
nicht mehr in derselben Weise. Die Halle ist jetzt ein Vorbau der<lb/>
Cella und wird nur aus Prachtliebe etwa noch ringsum geführt; sonst<lb/>
bequemt sich die römische Kunst sehr leicht, nur einen Anklang davon<lb/>
in Gestalt von Halbsäulen ringsum anzugeben oder auch die Wand<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0035] Römisches Detail. Tempel. Es versteht sich, dass nur eigentliche Prachtgebäude diesen Schmuck vollständig aufwiesen und auch diese nicht durchgängig; zudem sind sie fast ohne Ausnahme nur in geringen Fragmenten erhalten. Ausser den noch an Ort und Stelle befindlichen Bauresten wird man desshalb zur Er- gänzung auch die verschleppten und in die Museen geretteten Fragmente studiren müssen, indem sich stellenweise gerade an ihnen das Schönste und Reichste, auch wohl das Zierlichste, wenn sie von kleineren Bauten herstammen, erhalten hat. Im Vatican enthält namentlich die schon genannte Galeria lapidaria und auch das Museo Chiaramonti einen Schatz von solchen Bruchstücken; ebenso das Museum des Laterans; von den Privatsammlungen ist die Villa Albani besonders reich daran; von den christlichen Basiliken Roms bieten der ältere Theil von S. Lo- renzo fuori le mura und das Hauptschiff von S. Maria in Trastevere ganze bunte Mustersammlungen dar. Eine Sammlung von Abgüssen in der Académie de France. In Florenz (äussere Vorhalle der Uffizien) nur ein Stück von einer Thürgewandung und ein anderes von einem Fries; aber beide von hohem Werthe. a b c d e f g h Hier wie überall muss der Beschauer jene restaurirende Thätig- keit in sich entwickeln, ohne welche ihm die antiken Reste wie lauter Formlosigkeit und die Freude daran wie lauter Thorheit erscheinen. Er muss aus dem Theil das vermuthliche Ganze ahnen und herstellen lernen und nicht gleich einen „Eindruck“ verlangen bei Überresten, deren Schönheit sich erst durch das Hinzugedachte ergänzen kann. Das ganze Gebäude aus Trümmern zu errathen, wird wohl nur dem For- scher möglich sein, allein aus ein paar Säulen mit Gebälkstücken we- nigstens auf die Wirkung einer ganzen Colonnade zu schliessen ist Sache jedes nicht rohen oder abgestumpften Auges. Wir beginnen mit den Tempeln. Hier ist das Verhältniss der Säulenhalle zur Cella fast durchgängig ein anderes als bei den Grie- chen. Jene dient nicht mehr zum Ausdruck dieser und entspricht ihr nicht mehr in derselben Weise. Die Halle ist jetzt ein Vorbau der Cella und wird nur aus Prachtliebe etwa noch ringsum geführt; sonst bequemt sich die römische Kunst sehr leicht, nur einen Anklang davon in Gestalt von Halbsäulen ringsum anzugeben oder auch die Wand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/35
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/35>, abgerufen am 04.12.2024.