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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Scuola di S. Marco etc.
lichen Zünfte oder Confraternitäten durch Schenkungen und Vermächt-
nisse zu einem grossen Reichthum gelangt, welcher damals wie aller
corporative Besitz noch nicht beim ersten besten Gelüste oder Bedürf-
niss des Staates für gute Beute erklärt werden konnte; vielmehr durfte
und musste er sich am hellen Tage zeigen. Vor allem durch Schön-
heit des Locales.

Die Scuola di S. Marco, bei S. Giovanni e Paolo, erbauta
1485, hat eine der prächtigsten Fassaden des ganzen Styles. (Man
nimmt an, Martino Lombardo habe den baulichen Entwurf, Pietro
Lombardo
das Decorative geliefert; die Bildwerke theils von Mastro
Bartolommeo, theils von Tullio Lombardo). Vom Innern hat nur noch
die untere Halle ihre alte Gestalt; schlanke Säulen auf hohen gut-
verzierten Piedestalen tragen eine Holzdecke; vorzüglich gebildete
hölzerne Consolen vermitteln beides. Das Gebäude ist jetzt als Ein-
gangshalle mit dem zum Spital eingerichteten Dominikanerkloster ver-
bunden. -- Die Fassade ist eins der wichtigsten geschichtlichen Denk-
male des alten venezianischen Lebens, dessen ganze elegante Fröh-
lichkeit sich darin ausgesprochen hat. Wenn es sich aber um den
Kunstgehalt handelt, so rechne man etwas nach, wie z. B. Bogen
jeden Grades unter sich und mit Giebeln abwechseln, wie sinnlos die
Fenstersäulen mit handbreiten und dabei über und über verzierten
Pilastern begleitet sind, wie wenig die Stockwerke sich unterscheiden,
wie der Fries und das Ornamentband zwischen den Capitälen mit ein-
ander concurriren u. s. w. Wir sagen dies nicht, um dem Beschauer
den Genuss zu verderben, sondern um den grossen toscanischen Bau-
meistern neben den venezianischen Decoratoren ihren Vorrang nicht zu
schmälern. Die letztern haben übrigens hier in der wunderbaren Fröh-
lichkeit der obern Abschlüsse und deren durchbrochen gearbeiteten
Zierrathen etwas in seiner Art Einziges hingestellt.

Ein graziöser Rest eines Bruderschaftsgebäudes, um einige Jahre
älter (1481) und ebenfalls vom Styl der Lombardi, ist der kleine Vor-b
hof von S. Giovanni Evangelista; zwei Wände mit Pilastern;
hinten die Mauer mit der Thür nach dem innern Hof -- diese ein-
fachen Elemente sind mit liebevollster Pracht behandelt. (Hinten im
Hof das schon etwas mehr dem classischen Styl genäherte Frontstück
einer Kirche, vom Jahr 1512).

Scuola di S. Marco etc.
lichen Zünfte oder Confraternitäten durch Schenkungen und Vermächt-
nisse zu einem grossen Reichthum gelangt, welcher damals wie aller
corporative Besitz noch nicht beim ersten besten Gelüste oder Bedürf-
niss des Staates für gute Beute erklärt werden konnte; vielmehr durfte
und musste er sich am hellen Tage zeigen. Vor allem durch Schön-
heit des Locales.

Die Scuola di S. Marco, bei S. Giovanni e Paolo, erbauta
1485, hat eine der prächtigsten Fassaden des ganzen Styles. (Man
nimmt an, Martino Lombardo habe den baulichen Entwurf, Pietro
Lombardo
das Decorative geliefert; die Bildwerke theils von Mastro
Bartolommeo, theils von Tullio Lombardo). Vom Innern hat nur noch
die untere Halle ihre alte Gestalt; schlanke Säulen auf hohen gut-
verzierten Piedestalen tragen eine Holzdecke; vorzüglich gebildete
hölzerne Consolen vermitteln beides. Das Gebäude ist jetzt als Ein-
gangshalle mit dem zum Spital eingerichteten Dominikanerkloster ver-
bunden. — Die Fassade ist eins der wichtigsten geschichtlichen Denk-
male des alten venezianischen Lebens, dessen ganze elegante Fröh-
lichkeit sich darin ausgesprochen hat. Wenn es sich aber um den
Kunstgehalt handelt, so rechne man etwas nach, wie z. B. Bogen
jeden Grades unter sich und mit Giebeln abwechseln, wie sinnlos die
Fenstersäulen mit handbreiten und dabei über und über verzierten
Pilastern begleitet sind, wie wenig die Stockwerke sich unterscheiden,
wie der Fries und das Ornamentband zwischen den Capitälen mit ein-
ander concurriren u. s. w. Wir sagen dies nicht, um dem Beschauer
den Genuss zu verderben, sondern um den grossen toscanischen Bau-
meistern neben den venezianischen Decoratoren ihren Vorrang nicht zu
schmälern. Die letztern haben übrigens hier in der wunderbaren Fröh-
lichkeit der obern Abschlüsse und deren durchbrochen gearbeiteten
Zierrathen etwas in seiner Art Einziges hingestellt.

Ein graziöser Rest eines Bruderschaftsgebäudes, um einige Jahre
älter (1481) und ebenfalls vom Styl der Lombardi, ist der kleine Vor-b
hof von S. Giovanni Evangelista; zwei Wände mit Pilastern;
hinten die Mauer mit der Thür nach dem innern Hof — diese ein-
fachen Elemente sind mit liebevollster Pracht behandelt. (Hinten im
Hof das schon etwas mehr dem classischen Styl genäherte Frontstück
einer Kirche, vom Jahr 1512).

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[219/0241] Scuola di S. Marco etc. lichen Zünfte oder Confraternitäten durch Schenkungen und Vermächt- nisse zu einem grossen Reichthum gelangt, welcher damals wie aller corporative Besitz noch nicht beim ersten besten Gelüste oder Bedürf- niss des Staates für gute Beute erklärt werden konnte; vielmehr durfte und musste er sich am hellen Tage zeigen. Vor allem durch Schön- heit des Locales. Die Scuola di S. Marco, bei S. Giovanni e Paolo, erbaut 1485, hat eine der prächtigsten Fassaden des ganzen Styles. (Man nimmt an, Martino Lombardo habe den baulichen Entwurf, Pietro Lombardo das Decorative geliefert; die Bildwerke theils von Mastro Bartolommeo, theils von Tullio Lombardo). Vom Innern hat nur noch die untere Halle ihre alte Gestalt; schlanke Säulen auf hohen gut- verzierten Piedestalen tragen eine Holzdecke; vorzüglich gebildete hölzerne Consolen vermitteln beides. Das Gebäude ist jetzt als Ein- gangshalle mit dem zum Spital eingerichteten Dominikanerkloster ver- bunden. — Die Fassade ist eins der wichtigsten geschichtlichen Denk- male des alten venezianischen Lebens, dessen ganze elegante Fröh- lichkeit sich darin ausgesprochen hat. Wenn es sich aber um den Kunstgehalt handelt, so rechne man etwas nach, wie z. B. Bogen jeden Grades unter sich und mit Giebeln abwechseln, wie sinnlos die Fenstersäulen mit handbreiten und dabei über und über verzierten Pilastern begleitet sind, wie wenig die Stockwerke sich unterscheiden, wie der Fries und das Ornamentband zwischen den Capitälen mit ein- ander concurriren u. s. w. Wir sagen dies nicht, um dem Beschauer den Genuss zu verderben, sondern um den grossen toscanischen Bau- meistern neben den venezianischen Decoratoren ihren Vorrang nicht zu schmälern. Die letztern haben übrigens hier in der wunderbaren Fröh- lichkeit der obern Abschlüsse und deren durchbrochen gearbeiteten Zierrathen etwas in seiner Art Einziges hingestellt. a Ein graziöser Rest eines Bruderschaftsgebäudes, um einige Jahre älter (1481) und ebenfalls vom Styl der Lombardi, ist der kleine Vor- hof von S. Giovanni Evangelista; zwei Wände mit Pilastern; hinten die Mauer mit der Thür nach dem innern Hof — diese ein- fachen Elemente sind mit liebevollster Pracht behandelt. (Hinten im Hof das schon etwas mehr dem classischen Styl genäherte Frontstück einer Kirche, vom Jahr 1512). b

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/241>, abgerufen am 05.12.2024.