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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Renaissance. Entwürfe.
flächen einen solchen Reiz aus, selbst wenn sie nur mit leidlichen,
widerspruchslosen Einzelformen verbunden ist. Ja, es werden Auf-
gaben gelöst, Elemente der Schönheit zu Tage gefördert, welche in
den beiden einzigen streng organischen Stylen, dem griechischen und
dem nordisch-gothischen, nicht vorkommen, und sogar nicht vorkom-
men konnten. Was insbesondere die Renaissance, sowohl die frühere
als die spätere, in dieser Beziehung Grosses geschaffen hat, soll im
Folgenden kurz angedeutet werden.


Natürlich blieb auch in der Blüthezeit der Renaissance das Beste
und Grossartigste unausgeführter Entwurf. Wir erfahren durch Nach-
richten, auch wohl durch Zeichnungen welche die grösste Sehnsucht
rege machen, wie Brunellesco einen grossen Palast für die Mediceer,
Rosellino eine neue Peterskirche sammt Umgebung und Residenz, Bra-
mante einen neuen Vatican entwarf, zahlloser anderer Projekte der
grössten Meister nicht zu gedenken. Die Sammlung der Handzeich-
anungen in den Uffizien enthält von dieser Gattung wenigstens einiges
vom Wichtigsten. Für Architekten, welche mit der oft nur andeutenden
Ausdrucksweise des Zeichners, namentlich mit den perspectivischen
Halbansichten von Interieurs rasch vertraut sind, hat die Besichtigung
derselben einen grossen Werth. Eine facsimilirte Herausgabe des Besten
würde sich gewiss lohnen.

Noch eine andere Quelle kann uns das Bild dieses Styles ergänzen
helfen. So reich auch eine Anzahl besonders kleinerer Gebäude mit
dem heitersten Schmuck ausgestattet ist, deren Venedig vielleicht die
zierlichsten enthält, so konnten doch Marmor und Erz nicht alle Phan-
tasien verwirklichen, denen sich die decorative Neigung des XV. Jahr-
hunderts hingab. Wer auch diese Phantasien kennen lernen will, be-
trachte die in vielen damaligen Bildern dargestellten Baulichkeiten;
sie sind bunt, überladen, bisweilen unmöglich, und doch nicht nur oft
von grossem Reiz, sondern auch zur Kenntniss des Baugeistes jener
Zeit unentbehrlich, wobei nicht zu vergessen ist, dass viele Maler
zugleich Baumeister waren. Mantegna und seine ganze Schule ist
sehr reich an Hintergründen von Hallen mit Reliefs; von den Ferra-
resen ahmte ihn Mazzolino hierin mit Übertreibung nach; Pinturicchio

Renaissance. Entwürfe.
flächen einen solchen Reiz aus, selbst wenn sie nur mit leidlichen,
widerspruchslosen Einzelformen verbunden ist. Ja, es werden Auf-
gaben gelöst, Elemente der Schönheit zu Tage gefördert, welche in
den beiden einzigen streng organischen Stylen, dem griechischen und
dem nordisch-gothischen, nicht vorkommen, und sogar nicht vorkom-
men konnten. Was insbesondere die Renaissance, sowohl die frühere
als die spätere, in dieser Beziehung Grosses geschaffen hat, soll im
Folgenden kurz angedeutet werden.


Natürlich blieb auch in der Blüthezeit der Renaissance das Beste
und Grossartigste unausgeführter Entwurf. Wir erfahren durch Nach-
richten, auch wohl durch Zeichnungen welche die grösste Sehnsucht
rege machen, wie Brunellesco einen grossen Palast für die Mediceer,
Rosellino eine neue Peterskirche sammt Umgebung und Residenz, Bra-
mante einen neuen Vatican entwarf, zahlloser anderer Projekte der
grössten Meister nicht zu gedenken. Die Sammlung der Handzeich-
anungen in den Uffizien enthält von dieser Gattung wenigstens einiges
vom Wichtigsten. Für Architekten, welche mit der oft nur andeutenden
Ausdrucksweise des Zeichners, namentlich mit den perspectivischen
Halbansichten von Interieurs rasch vertraut sind, hat die Besichtigung
derselben einen grossen Werth. Eine facsimilirte Herausgabe des Besten
würde sich gewiss lohnen.

Noch eine andere Quelle kann uns das Bild dieses Styles ergänzen
helfen. So reich auch eine Anzahl besonders kleinerer Gebäude mit
dem heitersten Schmuck ausgestattet ist, deren Venedig vielleicht die
zierlichsten enthält, so konnten doch Marmor und Erz nicht alle Phan-
tasien verwirklichen, denen sich die decorative Neigung des XV. Jahr-
hunderts hingab. Wer auch diese Phantasien kennen lernen will, be-
trachte die in vielen damaligen Bildern dargestellten Baulichkeiten;
sie sind bunt, überladen, bisweilen unmöglich, und doch nicht nur oft
von grossem Reiz, sondern auch zur Kenntniss des Baugeistes jener
Zeit unentbehrlich, wobei nicht zu vergessen ist, dass viele Maler
zugleich Baumeister waren. Mantegna und seine ganze Schule ist
sehr reich an Hintergründen von Hallen mit Reliefs; von den Ferra-
resen ahmte ihn Mazzolino hierin mit Übertreibung nach; Pinturicchio

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[172/0194] Renaissance. Entwürfe. flächen einen solchen Reiz aus, selbst wenn sie nur mit leidlichen, widerspruchslosen Einzelformen verbunden ist. Ja, es werden Auf- gaben gelöst, Elemente der Schönheit zu Tage gefördert, welche in den beiden einzigen streng organischen Stylen, dem griechischen und dem nordisch-gothischen, nicht vorkommen, und sogar nicht vorkom- men konnten. Was insbesondere die Renaissance, sowohl die frühere als die spätere, in dieser Beziehung Grosses geschaffen hat, soll im Folgenden kurz angedeutet werden. Natürlich blieb auch in der Blüthezeit der Renaissance das Beste und Grossartigste unausgeführter Entwurf. Wir erfahren durch Nach- richten, auch wohl durch Zeichnungen welche die grösste Sehnsucht rege machen, wie Brunellesco einen grossen Palast für die Mediceer, Rosellino eine neue Peterskirche sammt Umgebung und Residenz, Bra- mante einen neuen Vatican entwarf, zahlloser anderer Projekte der grössten Meister nicht zu gedenken. Die Sammlung der Handzeich- nungen in den Uffizien enthält von dieser Gattung wenigstens einiges vom Wichtigsten. Für Architekten, welche mit der oft nur andeutenden Ausdrucksweise des Zeichners, namentlich mit den perspectivischen Halbansichten von Interieurs rasch vertraut sind, hat die Besichtigung derselben einen grossen Werth. Eine facsimilirte Herausgabe des Besten würde sich gewiss lohnen. a Noch eine andere Quelle kann uns das Bild dieses Styles ergänzen helfen. So reich auch eine Anzahl besonders kleinerer Gebäude mit dem heitersten Schmuck ausgestattet ist, deren Venedig vielleicht die zierlichsten enthält, so konnten doch Marmor und Erz nicht alle Phan- tasien verwirklichen, denen sich die decorative Neigung des XV. Jahr- hunderts hingab. Wer auch diese Phantasien kennen lernen will, be- trachte die in vielen damaligen Bildern dargestellten Baulichkeiten; sie sind bunt, überladen, bisweilen unmöglich, und doch nicht nur oft von grossem Reiz, sondern auch zur Kenntniss des Baugeistes jener Zeit unentbehrlich, wobei nicht zu vergessen ist, dass viele Maler zugleich Baumeister waren. Mantegna und seine ganze Schule ist sehr reich an Hintergründen von Hallen mit Reliefs; von den Ferra- resen ahmte ihn Mazzolino hierin mit Übertreibung nach; Pinturicchio

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/194>, abgerufen am 16.07.2024.