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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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gewährt. Steinfarbe, Wassergräben, Vor- und Rückwärtstreten der
einzelnen Theile, treffliche Erhaltung ohne entstellende Zuthaten --
Alles trägt dazu bei, die Burg des Hauses Este zu einem malerischen
Gegenstand zu machen, wie er sonst nicht wieder vorkömmt.

Es sei noch eine Schlussbemerkung über die gothischen Profan-
gebäude überhaupt gestattet, die sich auch auf unsere nordischen be-
zieht. Nur wo sehr reichliche Mittel vorhanden waren, wird man eine
gegliederte Gesammtcomposition durchgeführt finden; sonst begnügte
sich das Mittelalter mit einzelnen reichornamentirten Theilen, die oft
ganz unsymmetrisch an dem sonst schlichten aber massiven Bau ver-
theilt sind. Und solche Gebäude machen gerade oft die allerschönste
Wirkung. Sie geben ein unmittelbares Gefühl des Überflusses, wäh-
rend sog. durchcomponirte Gebäude unserer Zeit so oft den Gedanken
rege machen, es habe am Besten gefehlt.


Kleinere, decorative Arbeiten sind in Italien, wie angedeutet,
nicht die starke Seite dieses Styles. Von einem der wichtigsten Werke,
dem Tabernakel Oreagna's, ist schon die Rede gewesen; anderes wird
unten bei Anlass der Sculptur zu erwähnen sein. -- In der Anord-
nung ist der echte Organismus des Gothischen durchgängig missver-
standen oder geflissentlich bei Seite gesetzt. Aber das von diesem
Zwang befreite Detail ergeht sich oft in einem eigenthümlichen har-
monischen Reichthum des Stoffes, der Form und der Farbe. Die Cos-
maten (Seite 96) hatten ein System von Zierformen geschaffen, wel-
chem man gerade jetzt am wenigsten entsagen wollte und das man
mit den gothischen Grundformen oft auf die ansprechendste Weise
verband. Die Fassade von Orvieto zeigt, wie weit dieses Streben bis-
weilen führte. -- Von kleinern Werken sind besonders Altartaber-
nakel
und Grabmäler der Beachtung werth.

Der erstern enthält Rom vier bedeutendere: in S. Paul (kurza
vor 1300, von Arnulfus, vermuthlich Arnolfo del Cambio), in S. Ceciliab
(von demselben), in S. Maria in Cosmedin (von dem Cosmaten Adeo-c

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gewährt. Steinfarbe, Wassergräben, Vor- und Rückwärtstreten der
einzelnen Theile, treffliche Erhaltung ohne entstellende Zuthaten —
Alles trägt dazu bei, die Burg des Hauses Este zu einem malerischen
Gegenstand zu machen, wie er sonst nicht wieder vorkömmt.

Es sei noch eine Schlussbemerkung über die gothischen Profan-
gebäude überhaupt gestattet, die sich auch auf unsere nordischen be-
zieht. Nur wo sehr reichliche Mittel vorhanden waren, wird man eine
gegliederte Gesammtcomposition durchgeführt finden; sonst begnügte
sich das Mittelalter mit einzelnen reichornamentirten Theilen, die oft
ganz unsymmetrisch an dem sonst schlichten aber massiven Bau ver-
theilt sind. Und solche Gebäude machen gerade oft die allerschönste
Wirkung. Sie geben ein unmittelbares Gefühl des Überflusses, wäh-
rend sog. durchcomponirte Gebäude unserer Zeit so oft den Gedanken
rege machen, es habe am Besten gefehlt.


Kleinere, decorative Arbeiten sind in Italien, wie angedeutet,
nicht die starke Seite dieses Styles. Von einem der wichtigsten Werke,
dem Tabernakel Oreagna’s, ist schon die Rede gewesen; anderes wird
unten bei Anlass der Sculptur zu erwähnen sein. — In der Anord-
nung ist der echte Organismus des Gothischen durchgängig missver-
standen oder geflissentlich bei Seite gesetzt. Aber das von diesem
Zwang befreite Detail ergeht sich oft in einem eigenthümlichen har-
monischen Reichthum des Stoffes, der Form und der Farbe. Die Cos-
maten (Seite 96) hatten ein System von Zierformen geschaffen, wel-
chem man gerade jetzt am wenigsten entsagen wollte und das man
mit den gothischen Grundformen oft auf die ansprechendste Weise
verband. Die Fassade von Orvieto zeigt, wie weit dieses Streben bis-
weilen führte. — Von kleinern Werken sind besonders Altartaber-
nakel
und Grabmäler der Beachtung werth.

Der erstern enthält Rom vier bedeutendere: in S. Paul (kurza
vor 1300, von Arnulfus, vermuthlich Arnolfo del Cambio), in S. Ceciliab
(von demselben), in S. Maria in Cosmedin (von dem Cosmaten Adeo-c

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[163/0185] Decoration. gewährt. Steinfarbe, Wassergräben, Vor- und Rückwärtstreten der einzelnen Theile, treffliche Erhaltung ohne entstellende Zuthaten — Alles trägt dazu bei, die Burg des Hauses Este zu einem malerischen Gegenstand zu machen, wie er sonst nicht wieder vorkömmt. Es sei noch eine Schlussbemerkung über die gothischen Profan- gebäude überhaupt gestattet, die sich auch auf unsere nordischen be- zieht. Nur wo sehr reichliche Mittel vorhanden waren, wird man eine gegliederte Gesammtcomposition durchgeführt finden; sonst begnügte sich das Mittelalter mit einzelnen reichornamentirten Theilen, die oft ganz unsymmetrisch an dem sonst schlichten aber massiven Bau ver- theilt sind. Und solche Gebäude machen gerade oft die allerschönste Wirkung. Sie geben ein unmittelbares Gefühl des Überflusses, wäh- rend sog. durchcomponirte Gebäude unserer Zeit so oft den Gedanken rege machen, es habe am Besten gefehlt. Kleinere, decorative Arbeiten sind in Italien, wie angedeutet, nicht die starke Seite dieses Styles. Von einem der wichtigsten Werke, dem Tabernakel Oreagna’s, ist schon die Rede gewesen; anderes wird unten bei Anlass der Sculptur zu erwähnen sein. — In der Anord- nung ist der echte Organismus des Gothischen durchgängig missver- standen oder geflissentlich bei Seite gesetzt. Aber das von diesem Zwang befreite Detail ergeht sich oft in einem eigenthümlichen har- monischen Reichthum des Stoffes, der Form und der Farbe. Die Cos- maten (Seite 96) hatten ein System von Zierformen geschaffen, wel- chem man gerade jetzt am wenigsten entsagen wollte und das man mit den gothischen Grundformen oft auf die ansprechendste Weise verband. Die Fassade von Orvieto zeigt, wie weit dieses Streben bis- weilen führte. — Von kleinern Werken sind besonders Altartaber- nakel und Grabmäler der Beachtung werth. Der erstern enthält Rom vier bedeutendere: in S. Paul (kurz vor 1300, von Arnulfus, vermuthlich Arnolfo del Cambio), in S. Cecilia (von demselben), in S. Maria in Cosmedin (von dem Cosmaten Adeo- a b c 11*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/185>, abgerufen am 05.12.2024.