Aussen ist durchgängig nur das Erdgeschoss ausgeführt; den obern Theilen fehlt die Incrustation, welche in reicher Form, theils in Stein, theils in Backstein beabsichtigt war. Die untern Theile der Seiten- schiffe zeigen einfache Pfeiler und ziemlich reines Fensterstabwerk mit Ansätzen zu Giebeln. Die Fassade (von Marmor) ist so wie sie aus- sieht nicht gut begonnen; ihre Wandpfeiler sind schräg profilirt, die- jenigen gegen die Ecken hin sogar rund. Man ist auch nie recht damit zufrieden gewesen.
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Ein Zimmer am Ende des linken Seitenschiffes, das auf Verlan- gen (am besten um Mittag) geöffnet wird, enthält mehr als 30 Ent- würfe verschiedener, zum Theil hochberühmter Architekten vom XV. bis zum XVII. Jahrhundert für eine Fassade von S. Petronio, grossen- theils in einem gothischen Styl, dessen Gesetze sie nicht mehr kannten. Man kann z. B. sehen, welche Begriffe sich Giulio Romano und Bal- dassar Peruzzi von der Gothik machten. So viel ich habe (bei schlech- tem Licht) sehen können, sind die Entwürfe in modernem Styl, z. B. von Alberto Alberti und Palladio, bei weitem erfreulicher. Eine ver- kleinerte Herausgabe in Umrissen würde sich gewiss lohnen.
Die Bettelordenskirchen der Via Aemilia weichen über- haupt sowohl von den toscanischen als von den deutschen ab. Es sind ganze durchgeführte backsteinerne Gewölbekirchen mit Anbauten und Querbauten aller Art, hinten mit Chorumgang und aussen abge- rundetem Capellenkranz, dergleichen im Norden nur Hauptkirchen und vornehmere Klosterkirchen zu haben pflegen 1). Obschon die Seiten- schiffe nur etwa die halbe Höhe des Hauptschiffes haben, so ist doch in der Regel eine Fassade nach lombardischer Art vorn angesetzt, deren obere Ecken also blind sind. Die Stützen sind Rundsäulen, achteckige Säulen, Pfeiler mit Säulen, Säulenbündel, je nach der Stärke des nor- bdischen Einflusses. (In den Servi zu Bologna wechseln runde und achteckige Säulen.) Der möglichst vielseitige Chorabschluss (aussen durch ebensoviele Strebebogen repräsentirt) macht eine bedeutende
1) Letztere unterscheiden sich hier fast gar nicht von den Mendicantenkirchen.
Aussen ist durchgängig nur das Erdgeschoss ausgeführt; den obern Theilen fehlt die Incrustation, welche in reicher Form, theils in Stein, theils in Backstein beabsichtigt war. Die untern Theile der Seiten- schiffe zeigen einfache Pfeiler und ziemlich reines Fensterstabwerk mit Ansätzen zu Giebeln. Die Fassade (von Marmor) ist so wie sie aus- sieht nicht gut begonnen; ihre Wandpfeiler sind schräg profilirt, die- jenigen gegen die Ecken hin sogar rund. Man ist auch nie recht damit zufrieden gewesen.
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Ein Zimmer am Ende des linken Seitenschiffes, das auf Verlan- gen (am besten um Mittag) geöffnet wird, enthält mehr als 30 Ent- würfe verschiedener, zum Theil hochberühmter Architekten vom XV. bis zum XVII. Jahrhundert für eine Fassade von S. Petronio, grossen- theils in einem gothischen Styl, dessen Gesetze sie nicht mehr kannten. Man kann z. B. sehen, welche Begriffe sich Giulio Romano und Bal- dassar Peruzzi von der Gothik machten. So viel ich habe (bei schlech- tem Licht) sehen können, sind die Entwürfe in modernem Styl, z. B. von Alberto Alberti und Palladio, bei weitem erfreulicher. Eine ver- kleinerte Herausgabe in Umrissen würde sich gewiss lohnen.
Die Bettelordenskirchen der Via Aemilia weichen über- haupt sowohl von den toscanischen als von den deutschen ab. Es sind ganze durchgeführte backsteinerne Gewölbekirchen mit Anbauten und Querbauten aller Art, hinten mit Chorumgang und aussen abge- rundetem Capellenkranz, dergleichen im Norden nur Hauptkirchen und vornehmere Klosterkirchen zu haben pflegen 1). Obschon die Seiten- schiffe nur etwa die halbe Höhe des Hauptschiffes haben, so ist doch in der Regel eine Fassade nach lombardischer Art vorn angesetzt, deren obere Ecken also blind sind. Die Stützen sind Rundsäulen, achteckige Säulen, Pfeiler mit Säulen, Säulenbündel, je nach der Stärke des nor- bdischen Einflusses. (In den Servi zu Bologna wechseln runde und achteckige Säulen.) Der möglichst vielseitige Chorabschluss (aussen durch ebensoviele Strebebogen repräsentirt) macht eine bedeutende
1) Letztere unterscheiden sich hier fast gar nicht von den Mendicantenkirchen.
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Gothische Architektur. Oberital. Mendicantenkirchen.
Aussen ist durchgängig nur das Erdgeschoss ausgeführt; den obern
Theilen fehlt die Incrustation, welche in reicher Form, theils in Stein,
theils in Backstein beabsichtigt war. Die untern Theile der Seiten-
schiffe zeigen einfache Pfeiler und ziemlich reines Fensterstabwerk mit
Ansätzen zu Giebeln. Die Fassade (von Marmor) ist so wie sie aus-
sieht nicht gut begonnen; ihre Wandpfeiler sind schräg profilirt, die-
jenigen gegen die Ecken hin sogar rund. Man ist auch nie recht
damit zufrieden gewesen.
Ein Zimmer am Ende des linken Seitenschiffes, das auf Verlan-
gen (am besten um Mittag) geöffnet wird, enthält mehr als 30 Ent-
würfe verschiedener, zum Theil hochberühmter Architekten vom XV.
bis zum XVII. Jahrhundert für eine Fassade von S. Petronio, grossen-
theils in einem gothischen Styl, dessen Gesetze sie nicht mehr kannten.
Man kann z. B. sehen, welche Begriffe sich Giulio Romano und Bal-
dassar Peruzzi von der Gothik machten. So viel ich habe (bei schlech-
tem Licht) sehen können, sind die Entwürfe in modernem Styl, z. B.
von Alberto Alberti und Palladio, bei weitem erfreulicher. Eine ver-
kleinerte Herausgabe in Umrissen würde sich gewiss lohnen.
Die Bettelordenskirchen der Via Aemilia weichen über-
haupt sowohl von den toscanischen als von den deutschen ab. Es
sind ganze durchgeführte backsteinerne Gewölbekirchen mit Anbauten
und Querbauten aller Art, hinten mit Chorumgang und aussen abge-
rundetem Capellenkranz, dergleichen im Norden nur Hauptkirchen und
vornehmere Klosterkirchen zu haben pflegen 1). Obschon die Seiten-
schiffe nur etwa die halbe Höhe des Hauptschiffes haben, so ist doch
in der Regel eine Fassade nach lombardischer Art vorn angesetzt, deren
obere Ecken also blind sind. Die Stützen sind Rundsäulen, achteckige
Säulen, Pfeiler mit Säulen, Säulenbündel, je nach der Stärke des nor-
dischen Einflusses. (In den Servi zu Bologna wechseln runde und
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1) Letztere unterscheiden sich hier fast gar nicht von den Mendicantenkirchen.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/170>, abgerufen am 26.11.2024.
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