Südlich über Toscana hinaus begegnet man, hauptsäch- lich in Perugia und Viterbo, einer Anzahl kleiner gothischer Kirchen, welche selten mehr als ihre Fassade, etwa noch ihren einfachen Thurm in alter Form aufweisen. Ihre zum Theil hochmalerische Lage, ein- zelnes tüchtiges Detail und der Ernst des Materials machen ihren Werth aaus. (Ein besonderes zierliches Kirchlein in Viterbo, unweit vom Palazzo Communale.) Sonst offenbart sich an mehrern eine ganz wun- derliche Ausartung der Incrustation, welche nicht mehr einrahmend, auch nicht mehr schichtenweise, sondern schachbrettartig, selbst ge- gittert zwischen rothem und weissem Marmor abwechselt. (So schon ban S. Chiara in Assisi.) Am Dom von Perugia ist ein Anfang gemacht, dessen Durchführung das ganze Gebäude mit einem Teppich- muster würde überzogen haben. (Das Innere weiträumig, aber mit schwerem Detail, die drei Schiffe von gleicher Höhe, die Pfeiler acht- eckig.)
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Das einzige gothische Gebäude Roms, S. Maria sopra Mi- nerva, begonnen um 1370, repräsentirt einen damals längst besei- tigten Stand der baulichen Entwicklung und bleibt hinter der fast um 100 Jahre ältern Schwesterkirche S. Maria novella zu Florenz beträcht- lich zurück. Die jetzige Restauration mit Stuckmarmor, Gold und Fresken wird die Kirche nur noch schwerer erscheinen lassen als sie in der weissen Tünche war. Ausserdem hat noch das Innere der dCapelle Sancta Sanctorum beim Lateran eine gothisirende Beklei- dung von gewundenen Säulchen mit Spitzbogen, um 1280 vermuthlich von dem Cosmaten Adeodatus erbaut. Sie dient alten Malereien zur Einfassung. -- Einzelne gothische Bogen und Bogenfriese kommen hin und wieder vor. -- Von Klosterhöfen dieses Styles hat Rom meines eWissens nur die wenig bedeutenden bei Araceli. -- Als Klosterbau fim Grossen ist S. Francesco zu Assisi (XIII. und XIV. Jahrhun- dert) unvergleichlich, weniger in Betreff der Höfe als der Aussenseite, welche mit ihren Substructionen und Gängen wie eine Königsburg über der Landschaft thront.
In sehr kenntlichem Wetteifer mit den Florentinern begannen die gBolognesen 1390 die Kirche ihres Stadtheiligen S. Petronius, nach
Gothische Architektur. Kirchenstaat.
Südlich über Toscana hinaus begegnet man, hauptsäch- lich in Perugia und Viterbo, einer Anzahl kleiner gothischer Kirchen, welche selten mehr als ihre Fassade, etwa noch ihren einfachen Thurm in alter Form aufweisen. Ihre zum Theil hochmalerische Lage, ein- zelnes tüchtiges Detail und der Ernst des Materials machen ihren Werth aaus. (Ein besonderes zierliches Kirchlein in Viterbo, unweit vom Palazzo Communale.) Sonst offenbart sich an mehrern eine ganz wun- derliche Ausartung der Incrustation, welche nicht mehr einrahmend, auch nicht mehr schichtenweise, sondern schachbrettartig, selbst ge- gittert zwischen rothem und weissem Marmor abwechselt. (So schon ban S. Chiara in Assisi.) Am Dom von Perugia ist ein Anfang gemacht, dessen Durchführung das ganze Gebäude mit einem Teppich- muster würde überzogen haben. (Das Innere weiträumig, aber mit schwerem Detail, die drei Schiffe von gleicher Höhe, die Pfeiler acht- eckig.)
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Das einzige gothische Gebäude Roms, S. Maria sopra Mi- nerva, begonnen um 1370, repräsentirt einen damals längst besei- tigten Stand der baulichen Entwicklung und bleibt hinter der fast um 100 Jahre ältern Schwesterkirche S. Maria novella zu Florenz beträcht- lich zurück. Die jetzige Restauration mit Stuckmarmor, Gold und Fresken wird die Kirche nur noch schwerer erscheinen lassen als sie in der weissen Tünche war. Ausserdem hat noch das Innere der dCapelle Sancta Sanctorum beim Lateran eine gothisirende Beklei- dung von gewundenen Säulchen mit Spitzbogen, um 1280 vermuthlich von dem Cosmaten Adeodatus erbaut. Sie dient alten Malereien zur Einfassung. — Einzelne gothische Bogen und Bogenfriese kommen hin und wieder vor. — Von Klosterhöfen dieses Styles hat Rom meines eWissens nur die wenig bedeutenden bei Araceli. — Als Klosterbau fim Grossen ist S. Francesco zu Assisi (XIII. und XIV. Jahrhun- dert) unvergleichlich, weniger in Betreff der Höfe als der Aussenseite, welche mit ihren Substructionen und Gängen wie eine Königsburg über der Landschaft thront.
In sehr kenntlichem Wetteifer mit den Florentinern begannen die gBolognesen 1390 die Kirche ihres Stadtheiligen S. Petronius, nach
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Gothische Architektur. Kirchenstaat.
Südlich über Toscana hinaus begegnet man, hauptsäch-
lich in Perugia und Viterbo, einer Anzahl kleiner gothischer Kirchen,
welche selten mehr als ihre Fassade, etwa noch ihren einfachen Thurm
in alter Form aufweisen. Ihre zum Theil hochmalerische Lage, ein-
zelnes tüchtiges Detail und der Ernst des Materials machen ihren Werth
aus. (Ein besonderes zierliches Kirchlein in Viterbo, unweit vom
Palazzo Communale.) Sonst offenbart sich an mehrern eine ganz wun-
derliche Ausartung der Incrustation, welche nicht mehr einrahmend,
auch nicht mehr schichtenweise, sondern schachbrettartig, selbst ge-
gittert zwischen rothem und weissem Marmor abwechselt. (So schon
an S. Chiara in Assisi.) Am Dom von Perugia ist ein Anfang
gemacht, dessen Durchführung das ganze Gebäude mit einem Teppich-
muster würde überzogen haben. (Das Innere weiträumig, aber mit
schwerem Detail, die drei Schiffe von gleicher Höhe, die Pfeiler acht-
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Das einzige gothische Gebäude Roms, S. Maria sopra Mi-
nerva, begonnen um 1370, repräsentirt einen damals längst besei-
tigten Stand der baulichen Entwicklung und bleibt hinter der fast um
100 Jahre ältern Schwesterkirche S. Maria novella zu Florenz beträcht-
lich zurück. Die jetzige Restauration mit Stuckmarmor, Gold und
Fresken wird die Kirche nur noch schwerer erscheinen lassen als
sie in der weissen Tünche war. Ausserdem hat noch das Innere der
Capelle Sancta Sanctorum beim Lateran eine gothisirende Beklei-
dung von gewundenen Säulchen mit Spitzbogen, um 1280 vermuthlich
von dem Cosmaten Adeodatus erbaut. Sie dient alten Malereien zur
Einfassung. — Einzelne gothische Bogen und Bogenfriese kommen hin
und wieder vor. — Von Klosterhöfen dieses Styles hat Rom meines
Wissens nur die wenig bedeutenden bei Araceli. — Als Klosterbau
im Grossen ist S. Francesco zu Assisi (XIII. und XIV. Jahrhun-
dert) unvergleichlich, weniger in Betreff der Höfe als der Aussenseite,
welche mit ihren Substructionen und Gängen wie eine Königsburg
über der Landschaft thront.
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Bolognesen 1390 die Kirche ihres Stadtheiligen S. Petronius, nach
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/168>, abgerufen am 26.11.2024.
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