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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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II Santo in Padua.
wussten mystischen Drang zu der uralten vielkuppeligen Anlage? Un-
terscheiden wollte man das Gebäude jedenfalls von andern Francis-
canerkirchen.

Es entstand keine glückliche Schöpfung. Die Fassade ist vielleicht
die allermatteste des ganzen gothischen Styles. Im Innern kam das
Hauptschiff auf lauter dicke viereckige Pfeiler zu stehen; nicht bloss die
Kuppelträger, sondern auch die Zwischenstützen haben diese Form. Das
Polygon des Chores zeigt wohl eine gewisse Ähnlichkeit der Verhältnisse
mit demjenigen an den Frari, aber die Einzelbildung ist aussen und
innen ungleich geringer, der Umgang und Kapellenkranz roh in Entwurf
und Ausführung. Immerhin mochte der Bau mit seinen damals niedri-
gen Kuppeln, mit seiner (beabsichtigten oder durchgeführten) voll-
ständigen Bemalung, mit einer Masse stylverwandten Schmuckes aller
Art gerade den Eindruck hervorbringen, welchen die Andacht am
Grabe des Heiligen vorzugsweise verlangte. Im XV. Jahrhundert erst
baute man die Kuppelräume, welche bisher von aussen kaum sichtbar
oder doch anspruchlos gestaltet sein mochten, zu eigentlichen Kuppeln
mit Cylindern aus. Abgesehen von der eminent hässlichen Bedachung
der mittlern Kuppel war diese ganze Neuerung überhaupt sinnlos.
Die Kuppeln stehen einander nicht nur im Wege (für das Auge), son-
dern sogar im Lichte und bilden schon von Weitem eine widerliche
Masse. Den einzigen möglichen Vortheil, den eines starken Oberlich-
tes, hat man nicht einmal benützt.

Später wurde dann das ganze Innere mit Ausnahme weniger Capel-
len überweisst und mit modernen Denkmälern angefüllt; ein Schick-
sal, vor welchem S. Marco gänzlich bewahrt geblieben ist. Der erste
Eindruck ist durchaus weihelos und zerstreuend.

Dagegen haben die vier Klosterhöfe einen imposanten Charakter
durch die Höhe und weite Spannung ihrer Bogen; sie scheinen eher
für Tempelritter als für Mendicanten gebaut.

Über S. Margherita in Cortona, welches von Niccolo unda
seinem Sohne Giovanni Pisano erbaut sein soll, vermag ich keine Aus-
kunft zu geben. S. Domenico in Arezzo ist eine ganz geringe Kirche.b

Dem Giovanni allein gehört dann, wie bemerkt, wenigstens der
Entwurf zu der prächtigen Fassade von Siena (S. 133), wonachc
er unter den Italienern der erste gewesen wäre, der sich mit der deco-

II Santo in Padua.
wussten mystischen Drang zu der uralten vielkuppeligen Anlage? Un-
terscheiden wollte man das Gebäude jedenfalls von andern Francis-
canerkirchen.

Es entstand keine glückliche Schöpfung. Die Fassade ist vielleicht
die allermatteste des ganzen gothischen Styles. Im Innern kam das
Hauptschiff auf lauter dicke viereckige Pfeiler zu stehen; nicht bloss die
Kuppelträger, sondern auch die Zwischenstützen haben diese Form. Das
Polygon des Chores zeigt wohl eine gewisse Ähnlichkeit der Verhältnisse
mit demjenigen an den Frari, aber die Einzelbildung ist aussen und
innen ungleich geringer, der Umgang und Kapellenkranz roh in Entwurf
und Ausführung. Immerhin mochte der Bau mit seinen damals niedri-
gen Kuppeln, mit seiner (beabsichtigten oder durchgeführten) voll-
ständigen Bemalung, mit einer Masse stylverwandten Schmuckes aller
Art gerade den Eindruck hervorbringen, welchen die Andacht am
Grabe des Heiligen vorzugsweise verlangte. Im XV. Jahrhundert erst
baute man die Kuppelräume, welche bisher von aussen kaum sichtbar
oder doch anspruchlos gestaltet sein mochten, zu eigentlichen Kuppeln
mit Cylindern aus. Abgesehen von der eminent hässlichen Bedachung
der mittlern Kuppel war diese ganze Neuerung überhaupt sinnlos.
Die Kuppeln stehen einander nicht nur im Wege (für das Auge), son-
dern sogar im Lichte und bilden schon von Weitem eine widerliche
Masse. Den einzigen möglichen Vortheil, den eines starken Oberlich-
tes, hat man nicht einmal benützt.

Später wurde dann das ganze Innere mit Ausnahme weniger Capel-
len überweisst und mit modernen Denkmälern angefüllt; ein Schick-
sal, vor welchem S. Marco gänzlich bewahrt geblieben ist. Der erste
Eindruck ist durchaus weihelos und zerstreuend.

Dagegen haben die vier Klosterhöfe einen imposanten Charakter
durch die Höhe und weite Spannung ihrer Bogen; sie scheinen eher
für Tempelritter als für Mendicanten gebaut.

Über S. Margherita in Cortona, welches von Niccolò unda
seinem Sohne Giovanni Pisano erbaut sein soll, vermag ich keine Aus-
kunft zu geben. S. Domenico in Arezzo ist eine ganz geringe Kirche.b

Dem Giovanni allein gehört dann, wie bemerkt, wenigstens der
Entwurf zu der prächtigen Fassade von Siena (S. 133), wonachc
er unter den Italienern der erste gewesen wäre, der sich mit der deco-

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[139/0161] II Santo in Padua. wussten mystischen Drang zu der uralten vielkuppeligen Anlage? Un- terscheiden wollte man das Gebäude jedenfalls von andern Francis- canerkirchen. Es entstand keine glückliche Schöpfung. Die Fassade ist vielleicht die allermatteste des ganzen gothischen Styles. Im Innern kam das Hauptschiff auf lauter dicke viereckige Pfeiler zu stehen; nicht bloss die Kuppelträger, sondern auch die Zwischenstützen haben diese Form. Das Polygon des Chores zeigt wohl eine gewisse Ähnlichkeit der Verhältnisse mit demjenigen an den Frari, aber die Einzelbildung ist aussen und innen ungleich geringer, der Umgang und Kapellenkranz roh in Entwurf und Ausführung. Immerhin mochte der Bau mit seinen damals niedri- gen Kuppeln, mit seiner (beabsichtigten oder durchgeführten) voll- ständigen Bemalung, mit einer Masse stylverwandten Schmuckes aller Art gerade den Eindruck hervorbringen, welchen die Andacht am Grabe des Heiligen vorzugsweise verlangte. Im XV. Jahrhundert erst baute man die Kuppelräume, welche bisher von aussen kaum sichtbar oder doch anspruchlos gestaltet sein mochten, zu eigentlichen Kuppeln mit Cylindern aus. Abgesehen von der eminent hässlichen Bedachung der mittlern Kuppel war diese ganze Neuerung überhaupt sinnlos. Die Kuppeln stehen einander nicht nur im Wege (für das Auge), son- dern sogar im Lichte und bilden schon von Weitem eine widerliche Masse. Den einzigen möglichen Vortheil, den eines starken Oberlich- tes, hat man nicht einmal benützt. Später wurde dann das ganze Innere mit Ausnahme weniger Capel- len überweisst und mit modernen Denkmälern angefüllt; ein Schick- sal, vor welchem S. Marco gänzlich bewahrt geblieben ist. Der erste Eindruck ist durchaus weihelos und zerstreuend. Dagegen haben die vier Klosterhöfe einen imposanten Charakter durch die Höhe und weite Spannung ihrer Bogen; sie scheinen eher für Tempelritter als für Mendicanten gebaut. Über S. Margherita in Cortona, welches von Niccolò und seinem Sohne Giovanni Pisano erbaut sein soll, vermag ich keine Aus- kunft zu geben. S. Domenico in Arezzo ist eine ganz geringe Kirche. a b Dem Giovanni allein gehört dann, wie bemerkt, wenigstens der Entwurf zu der prächtigen Fassade von Siena (S. 133), wonach er unter den Italienern der erste gewesen wäre, der sich mit der deco- c

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/161>, abgerufen am 25.11.2024.