Gothische Architektur. Dome von Orvieto und Neapel.
Schönheit sind die Portale, ruhiger durchgeführt als die der grossen Fassade. Freilich übertrifft das einzige Seiten-Portal des Neubaues sie alle mit einander.
Der Thurm, offenbar einer der ältesten Theile, macht keine künst- lerischen Ansprüche. Die Zunahme der Fensterbögen nach Stockwer- ken (von 1--6) ist der möglichst naive Ausdruck des allmäligen Leich- terwerdens der Masse.
a
Der Dom von Orvieto, innen eine imposante Säulen-Basilica mit sichtbarem verziertem Dachstuhl, edel gebildeten Fenstern, Quer- schiff und geradem Chorabschluss, muss um seiner Fassade willen hier beim Dom von Siena erwähnt werden. Als Meister wird Lorenzo Maitani von Siena, als Gründungszeit das Jahr 1290 genannt. Die Fassade ist im besten Sinne des Wortes eine veredelte Reproduction derjenigen von Siena. Das plastische gothische Detail, mit welchem es doch nie ernstlich gemeint war, wird hier möglichst beschränkt und durch Mosaikverzierung und Reliefsculpturen ersetzt, d. h. die Fläche behält ihr südliches Vorrecht vor dem nur angelernten Schein- organismus. Wenige grosse ruhige Hauptformen genügen hier, um einen unermesslichen Reichthum von Farben und Gestalten schön zu umfassen. Auch alle rein baulichen Glieder, die Simse der drei Gie- bel, die wenigen Spitzthürmchen etc. sind ganz mit Mosaikmustern angefüllt, so dass diese Fassade das grösste und reichste polychroma- tische Denkmal auf Erden ist. (Bis auf die Stufen und Prallsteine vor der Kirche.) Bei einer so starken Absicht auf materielle Pracht ist die Schönheit der Composition ein doppeltes Wunder. (Die Neben- fassaden und die Säulen im Innern haben abwechselnde weisse und dunkle Marmorschichten. Edle Bildung der Bogenprofile und des Haupt- gesimses im Innern.)
Einen schwachen Nachklang dieser dreigiebligen Anordnung ge- bwährte einst die Fassade des Domes von Neapel (1299), deren Nebengiebel jetzt durch Streben mit der höhern Mauer des Mit- telschiffes zu einer empfindlichen Unform verbunden sind. (Auch die Giebelsculpturen zum Theil modernisirt.) Im Innern Pfeilerbau
Gothische Architektur. Dome von Orvieto und Neapel.
Schönheit sind die Portale, ruhiger durchgeführt als die der grossen Fassade. Freilich übertrifft das einzige Seiten-Portal des Neubaues sie alle mit einander.
Der Thurm, offenbar einer der ältesten Theile, macht keine künst- lerischen Ansprüche. Die Zunahme der Fensterbögen nach Stockwer- ken (von 1—6) ist der möglichst naive Ausdruck des allmäligen Leich- terwerdens der Masse.
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Der Dom von Orvieto, innen eine imposante Säulen-Basilica mit sichtbarem verziertem Dachstuhl, edel gebildeten Fenstern, Quer- schiff und geradem Chorabschluss, muss um seiner Fassade willen hier beim Dom von Siena erwähnt werden. Als Meister wird Lorenzo Maitani von Siena, als Gründungszeit das Jahr 1290 genannt. Die Fassade ist im besten Sinne des Wortes eine veredelte Reproduction derjenigen von Siena. Das plastische gothische Detail, mit welchem es doch nie ernstlich gemeint war, wird hier möglichst beschränkt und durch Mosaikverzierung und Reliefsculpturen ersetzt, d. h. die Fläche behält ihr südliches Vorrecht vor dem nur angelernten Schein- organismus. Wenige grosse ruhige Hauptformen genügen hier, um einen unermesslichen Reichthum von Farben und Gestalten schön zu umfassen. Auch alle rein baulichen Glieder, die Simse der drei Gie- bel, die wenigen Spitzthürmchen etc. sind ganz mit Mosaikmustern angefüllt, so dass diese Fassade das grösste und reichste polychroma- tische Denkmal auf Erden ist. (Bis auf die Stufen und Prallsteine vor der Kirche.) Bei einer so starken Absicht auf materielle Pracht ist die Schönheit der Composition ein doppeltes Wunder. (Die Neben- fassaden und die Säulen im Innern haben abwechselnde weisse und dunkle Marmorschichten. Edle Bildung der Bogenprofile und des Haupt- gesimses im Innern.)
Einen schwachen Nachklang dieser dreigiebligen Anordnung ge- bwährte einst die Fassade des Domes von Neapel (1299), deren Nebengiebel jetzt durch Streben mit der höhern Mauer des Mit- telschiffes zu einer empfindlichen Unform verbunden sind. (Auch die Giebelsculpturen zum Theil modernisirt.) Im Innern Pfeilerbau
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Gothische Architektur. Dome von Orvieto und Neapel.
Schönheit sind die Portale, ruhiger durchgeführt als die der grossen
Fassade. Freilich übertrifft das einzige Seiten-Portal des Neubaues
sie alle mit einander.
Der Thurm, offenbar einer der ältesten Theile, macht keine künst-
lerischen Ansprüche. Die Zunahme der Fensterbögen nach Stockwer-
ken (von 1—6) ist der möglichst naive Ausdruck des allmäligen Leich-
terwerdens der Masse.
Der Dom von Orvieto, innen eine imposante Säulen-Basilica
mit sichtbarem verziertem Dachstuhl, edel gebildeten Fenstern, Quer-
schiff und geradem Chorabschluss, muss um seiner Fassade willen
hier beim Dom von Siena erwähnt werden. Als Meister wird Lorenzo
Maitani von Siena, als Gründungszeit das Jahr 1290 genannt. Die
Fassade ist im besten Sinne des Wortes eine veredelte Reproduction
derjenigen von Siena. Das plastische gothische Detail, mit welchem
es doch nie ernstlich gemeint war, wird hier möglichst beschränkt
und durch Mosaikverzierung und Reliefsculpturen ersetzt, d. h. die
Fläche behält ihr südliches Vorrecht vor dem nur angelernten Schein-
organismus. Wenige grosse ruhige Hauptformen genügen hier, um
einen unermesslichen Reichthum von Farben und Gestalten schön zu
umfassen. Auch alle rein baulichen Glieder, die Simse der drei Gie-
bel, die wenigen Spitzthürmchen etc. sind ganz mit Mosaikmustern
angefüllt, so dass diese Fassade das grösste und reichste polychroma-
tische Denkmal auf Erden ist. (Bis auf die Stufen und Prallsteine
vor der Kirche.) Bei einer so starken Absicht auf materielle Pracht
ist die Schönheit der Composition ein doppeltes Wunder. (Die Neben-
fassaden und die Säulen im Innern haben abwechselnde weisse und
dunkle Marmorschichten. Edle Bildung der Bogenprofile und des Haupt-
gesimses im Innern.)
Einen schwachen Nachklang dieser dreigiebligen Anordnung ge-
währte einst die Fassade des Domes von Neapel (1299), deren
Nebengiebel jetzt durch Streben mit der höhern Mauer des Mit-
telschiffes zu einer empfindlichen Unform verbunden sind. (Auch
die Giebelsculpturen zum Theil modernisirt.) Im Innern Pfeilerbau
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/158>, abgerufen am 25.11.2024.
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