schlankem, gewölbtem, hochfenstrigem, polygon abschliessendem Chor, dessen Dach ein dünnes Spitzthürmchen trägt. Die umbrischen und toscanischen dagegen 1) haben in der Regel nur ein breites, bisweilen ganz ungeheures Schiff mit sichtbarem Dachstuhl (S. Francesco unda S. Domenico in Siena, S. Francesco in Pisa etc. 2) und einen Querbau,b an welchen sich hinten fünf, sieben, ja bis eilf quadratische Capellen anschliessen, deren mittelste, etwas grössere, den Chor ausmacht. Bei geringern Kirchen fehlt der Querbau und es schliessen sich bloss drei Räume, ein grösserer und zwei kleinere, an das Schiff an; bei ganz grossen dagegen hat der Querbau Capellen an beiden Seiten und wohl auch noch an beiden Fronten. Von aussen sind diese Gebäude ganz schlicht, meist Ziegelbau mit Wandstreifen und Bogenfries; ihre Fassa- den harren fast ohne Ausnahme noch der Incrustation; höchstens ein Portal mit gemalter Lunette ist fertig, und noch dazu aus späterer Zeit. Von den backsteinernen Glockenthürmen ist der von S. Fran-c cesco zu Pisa einer der besten. -- Übrigens war diese Kirchenform nur Gewohnheit, nicht Gesetz, und gerade einige der berühmtesten Ordenskirchen richten sich danach nicht.
Wir nennen zunächst diejenigen Gebäude, in welchen noch von der nordischen Tradition her der Pfeiler mit Halbsäulen gegliedert auftritt.
Von demselben Jacob dem Deutschen, welcher S. Francesco baute, wurde in demselben Jahre 1218 auch der Dom von Arezzo be-d gonnen, welchen dann nach Unterbrechungen der einheimische Künst- ler Margheritone 1275--1289 vollendete. Dieses schöne Gebäude wäre, wenn obige Annahmen zuverlässig sind 3), das frühste unter denjeni- gen, welche die italienische Raumbehandlung in gothischen Formen ausdrücken; das Mittelschiff, nicht bedeutend über die Seitenschiffe emporragend, trägt an seinen Obermauern Rundfenster; die weitge- stellten schlanken Pfeiler sind schon gemischt aus vier halbachtecki- gen Hauptträgern und vier dazwischen gesetzten Halbsäulen.
1) Die oberitalischen s. unten.
2) Auch wohl S. Francesco in Viterho vor dem Umbau des Hauptschiffes.
3) Die frühen und unentwickelten Formen des Aeussern dienen vollkommen zur Bestätigung. Der Abstand von der nur zwei Jahre früher begonnenen Pieve ist noch immer gross genug.
9*
Bettelordenskirchen. Dom von Arezzo.
schlankem, gewölbtem, hochfenstrigem, polygon abschliessendem Chor, dessen Dach ein dünnes Spitzthürmchen trägt. Die umbrischen und toscanischen dagegen 1) haben in der Regel nur ein breites, bisweilen ganz ungeheures Schiff mit sichtbarem Dachstuhl (S. Francesco unda S. Domenico in Siena, S. Francesco in Pisa etc. 2) und einen Querbau,b an welchen sich hinten fünf, sieben, ja bis eilf quadratische Capellen anschliessen, deren mittelste, etwas grössere, den Chor ausmacht. Bei geringern Kirchen fehlt der Querbau und es schliessen sich bloss drei Räume, ein grösserer und zwei kleinere, an das Schiff an; bei ganz grossen dagegen hat der Querbau Capellen an beiden Seiten und wohl auch noch an beiden Fronten. Von aussen sind diese Gebäude ganz schlicht, meist Ziegelbau mit Wandstreifen und Bogenfries; ihre Fassa- den harren fast ohne Ausnahme noch der Incrustation; höchstens ein Portal mit gemalter Lunette ist fertig, und noch dazu aus späterer Zeit. Von den backsteinernen Glockenthürmen ist der von S. Fran-c cesco zu Pisa einer der besten. — Übrigens war diese Kirchenform nur Gewohnheit, nicht Gesetz, und gerade einige der berühmtesten Ordenskirchen richten sich danach nicht.
Wir nennen zunächst diejenigen Gebäude, in welchen noch von der nordischen Tradition her der Pfeiler mit Halbsäulen gegliedert auftritt.
Von demselben Jacob dem Deutschen, welcher S. Francesco baute, wurde in demselben Jahre 1218 auch der Dom von Arezzo be-d gonnen, welchen dann nach Unterbrechungen der einheimische Künst- ler Margheritone 1275—1289 vollendete. Dieses schöne Gebäude wäre, wenn obige Annahmen zuverlässig sind 3), das frühste unter denjeni- gen, welche die italienische Raumbehandlung in gothischen Formen ausdrücken; das Mittelschiff, nicht bedeutend über die Seitenschiffe emporragend, trägt an seinen Obermauern Rundfenster; die weitge- stellten schlanken Pfeiler sind schon gemischt aus vier halbachtecki- gen Hauptträgern und vier dazwischen gesetzten Halbsäulen.
1) Die oberitalischen s. unten.
2) Auch wohl S. Francesco in Viterho vor dem Umbau des Hauptschiffes.
3) Die frühen und unentwickelten Formen des Aeussern dienen vollkommen zur Bestätigung. Der Abstand von der nur zwei Jahre früher begonnenen Pieve ist noch immer gross genug.
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Bettelordenskirchen. Dom von Arezzo.
schlankem, gewölbtem, hochfenstrigem, polygon abschliessendem Chor,
dessen Dach ein dünnes Spitzthürmchen trägt. Die umbrischen und
toscanischen dagegen 1) haben in der Regel nur ein breites, bisweilen
ganz ungeheures Schiff mit sichtbarem Dachstuhl (S. Francesco und
S. Domenico in Siena, S. Francesco in Pisa etc. 2) und einen Querbau,
an welchen sich hinten fünf, sieben, ja bis eilf quadratische Capellen
anschliessen, deren mittelste, etwas grössere, den Chor ausmacht. Bei
geringern Kirchen fehlt der Querbau und es schliessen sich bloss drei
Räume, ein grösserer und zwei kleinere, an das Schiff an; bei ganz
grossen dagegen hat der Querbau Capellen an beiden Seiten und wohl
auch noch an beiden Fronten. Von aussen sind diese Gebäude ganz
schlicht, meist Ziegelbau mit Wandstreifen und Bogenfries; ihre Fassa-
den harren fast ohne Ausnahme noch der Incrustation; höchstens ein
Portal mit gemalter Lunette ist fertig, und noch dazu aus späterer
Zeit. Von den backsteinernen Glockenthürmen ist der von S. Fran-
cesco zu Pisa einer der besten. — Übrigens war diese Kirchenform
nur Gewohnheit, nicht Gesetz, und gerade einige der berühmtesten
Ordenskirchen richten sich danach nicht.
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Wir nennen zunächst diejenigen Gebäude, in welchen noch von
der nordischen Tradition her der Pfeiler mit Halbsäulen gegliedert
auftritt.
Von demselben Jacob dem Deutschen, welcher S. Francesco baute,
wurde in demselben Jahre 1218 auch der Dom von Arezzo be-
gonnen, welchen dann nach Unterbrechungen der einheimische Künst-
ler Margheritone 1275—1289 vollendete. Dieses schöne Gebäude wäre,
wenn obige Annahmen zuverlässig sind 3), das frühste unter denjeni-
gen, welche die italienische Raumbehandlung in gothischen Formen
ausdrücken; das Mittelschiff, nicht bedeutend über die Seitenschiffe
emporragend, trägt an seinen Obermauern Rundfenster; die weitge-
stellten schlanken Pfeiler sind schon gemischt aus vier halbachtecki-
gen Hauptträgern und vier dazwischen gesetzten Halbsäulen.
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1) Die oberitalischen s. unten.
2) Auch wohl S. Francesco in Viterho vor dem Umbau des Hauptschiffes.
3) Die frühen und unentwickelten Formen des Aeussern dienen vollkommen zur
Bestätigung. Der Abstand von der nur zwei Jahre früher begonnenen Pieve
ist noch immer gross genug.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/153>, abgerufen am 24.11.2024.
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