Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.Gothische Architektur. Kirchen von Assisi. erbaute Meister Jacob der Deutsche (1218--1230?) die DoppelkircheaS. Francesco zu Assisi. Sie ist eine der wenigen Kirchen Ita- liens, welche das System der nordischen Bildung des Pfeilers (als Säulenbündel) in einiger Reinheit aufweisen. Allein schon die Ge- wölberippen sind ohne die nordische Schärfe, vielmehr als breit profi- lirte Träger gemalter Ornamente gestaltet, und in der Gesammtdispo- sition hat das italienische Raumgefühl mit seinen möglichst grossen Quadraten das Feld behalten. (Die genannten Ornamente der Gewöl- bebänder und Rippen sind, beiläufig gesagt, das bestimmende Vorbild für die ganze Gewölbedecoration der mittelitalischen Gothik 1) gewor- den, wie sie es mit ihrer lebensvollen Eleganz verdienten; im dritten Gewölbe der Oberkirche, vom Portal aus gezählt, ist sogar noch die ganze dazu gehörende Deckenmalerei von Cimabue erhalten.) Die Mauern der Oberkirche sowohl als der Unterkirche sind mit ihren nur mässigen Fenstern hauptsächlich den Fresken gewidmet. Die Stre- bepfeiler aussen an der Mauer nicht eckig, sondern halbrund, Wen- deltreppen enthaltend. An der schönen Hauptpforte (unten links) ein merkwürdiges Schwanken zwischen antiker und gothischer Einzelbil- dung. Das Innere der Oberkirche als Ganzes höchst würdig und im- posant. (Die Crypta unter der Unterkirche durchaus modern.) -- bS. Chiara in Assisi giebt ähnliche Motive einfacher wieder; die grossen Strebebogen nur des Abhanges wegen errichtet. Diese Gebäude warfen ein weites Licht über die Gegend und tru- 1) Eine freiere Ausfüllung und Einfassung der Glieder mit Laubwerk auf weis-
*sem Grunde wurde z. B. in S. Anastasia zu Verona versucht, doch nicht mit besondern Glück. Gothische Architektur. Kirchen von Assisi. erbaute Meister Jacob der Deutsche (1218—1230?) die DoppelkircheaS. Francesco zu Assisi. Sie ist eine der wenigen Kirchen Ita- liens, welche das System der nordischen Bildung des Pfeilers (als Säulenbündel) in einiger Reinheit aufweisen. Allein schon die Ge- wölberippen sind ohne die nordische Schärfe, vielmehr als breit profi- lirte Träger gemalter Ornamente gestaltet, und in der Gesammtdispo- sition hat das italienische Raumgefühl mit seinen möglichst grossen Quadraten das Feld behalten. (Die genannten Ornamente der Gewöl- bebänder und Rippen sind, beiläufig gesagt, das bestimmende Vorbild für die ganze Gewölbedecoration der mittelitalischen Gothik 1) gewor- den, wie sie es mit ihrer lebensvollen Eleganz verdienten; im dritten Gewölbe der Oberkirche, vom Portal aus gezählt, ist sogar noch die ganze dazu gehörende Deckenmalerei von Cimabue erhalten.) Die Mauern der Oberkirche sowohl als der Unterkirche sind mit ihren nur mässigen Fenstern hauptsächlich den Fresken gewidmet. Die Stre- bepfeiler aussen an der Mauer nicht eckig, sondern halbrund, Wen- deltreppen enthaltend. An der schönen Hauptpforte (unten links) ein merkwürdiges Schwanken zwischen antiker und gothischer Einzelbil- dung. Das Innere der Oberkirche als Ganzes höchst würdig und im- posant. (Die Crypta unter der Unterkirche durchaus modern.) — bS. Chiara in Assisi giebt ähnliche Motive einfacher wieder; die grossen Strebebogen nur des Abhanges wegen errichtet. Diese Gebäude warfen ein weites Licht über die Gegend und tru- 1) Eine freiere Ausfüllung und Einfassung der Glieder mit Laubwerk auf weis-
*sem Grunde wurde z. B. in S. Anastasia zu Verona versucht, doch nicht mit besondern Glück. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0152" n="130"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gothische Architektur. Kirchen von Assisi.</hi></fw><lb/> erbaute Meister Jacob der Deutsche (1218—1230?) die Doppelkirche<lb/><note place="left">a</note>S. <hi rendition="#g">Francesco zu Assisi</hi>. Sie ist eine der wenigen Kirchen Ita-<lb/> liens, welche das System der nordischen Bildung des Pfeilers (als<lb/> Säulenbündel) in einiger Reinheit aufweisen. Allein schon die Ge-<lb/> wölberippen sind ohne die nordische Schärfe, vielmehr <hi rendition="#g">als</hi> breit profi-<lb/> lirte Träger gemalter Ornamente gestaltet, und in der Gesammtdispo-<lb/> sition hat das italienische Raumgefühl mit seinen möglichst grossen<lb/> Quadraten das Feld behalten. (Die genannten Ornamente der Gewöl-<lb/> bebänder und Rippen sind, beiläufig gesagt, das bestimmende Vorbild<lb/> für die ganze Gewölbedecoration der mittelitalischen Gothik <note place="foot" n="1)">Eine freiere Ausfüllung und Einfassung der Glieder mit Laubwerk auf weis-<lb/><note place="left">*</note>sem Grunde wurde z. B. in S. Anastasia zu Verona versucht, doch nicht<lb/> mit besondern Glück.</note> gewor-<lb/> den, wie sie es mit ihrer lebensvollen Eleganz verdienten; im dritten<lb/> Gewölbe der Oberkirche, vom Portal aus gezählt, ist sogar noch die<lb/> ganze dazu gehörende Deckenmalerei von Cimabue erhalten.) Die<lb/> Mauern der Oberkirche sowohl als der Unterkirche sind mit ihren<lb/> nur mässigen Fenstern hauptsächlich den Fresken gewidmet. Die Stre-<lb/> bepfeiler aussen an der Mauer nicht eckig, sondern halbrund, Wen-<lb/> deltreppen enthaltend. An der schönen Hauptpforte (unten links) ein<lb/> merkwürdiges Schwanken zwischen antiker und gothischer Einzelbil-<lb/> dung. Das Innere der Oberkirche als Ganzes höchst würdig und im-<lb/> posant. (Die Crypta unter der Unterkirche durchaus modern.) —<lb/><note place="left">b</note>S. <hi rendition="#g">Chiara</hi> in <hi rendition="#g">Assisi</hi> giebt ähnliche Motive einfacher wieder; die<lb/> grossen Strebebogen nur des Abhanges wegen errichtet.</p><lb/> <p>Diese Gebäude warfen ein weites Licht über die Gegend und tru-<lb/> gen zum Sieg des gothischen Styles in Mittelitalien nicht wenig bei.<lb/> Mit S. Francesco nahm der ganze grosse Orden, der von dem dort<lb/> begrabenen Heiligen den Namen führt, Partei für die Neuerung, und<lb/> daneben durfte auch der Dominicanerorden nicht zurückbleiben. Die<lb/> wichtigsten Kirchen der beiden mächtigen Genossenschaften werden<lb/> noch besonders zu nennen sein; hier ist nur auf den allgemeinen Ty-<lb/> pus aufmerksam zu machen, der sich für ihre Gotteshäuser feststellte.<lb/> Die nordischen Bettelordenskirchen des XIII. und XIV. Jahrhunderts<lb/> sind bekanntlich dreischiffige flachgedeckte Säulenkirchen mit möglichst<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [130/0152]
Gothische Architektur. Kirchen von Assisi.
erbaute Meister Jacob der Deutsche (1218—1230?) die Doppelkirche
S. Francesco zu Assisi. Sie ist eine der wenigen Kirchen Ita-
liens, welche das System der nordischen Bildung des Pfeilers (als
Säulenbündel) in einiger Reinheit aufweisen. Allein schon die Ge-
wölberippen sind ohne die nordische Schärfe, vielmehr als breit profi-
lirte Träger gemalter Ornamente gestaltet, und in der Gesammtdispo-
sition hat das italienische Raumgefühl mit seinen möglichst grossen
Quadraten das Feld behalten. (Die genannten Ornamente der Gewöl-
bebänder und Rippen sind, beiläufig gesagt, das bestimmende Vorbild
für die ganze Gewölbedecoration der mittelitalischen Gothik 1) gewor-
den, wie sie es mit ihrer lebensvollen Eleganz verdienten; im dritten
Gewölbe der Oberkirche, vom Portal aus gezählt, ist sogar noch die
ganze dazu gehörende Deckenmalerei von Cimabue erhalten.) Die
Mauern der Oberkirche sowohl als der Unterkirche sind mit ihren
nur mässigen Fenstern hauptsächlich den Fresken gewidmet. Die Stre-
bepfeiler aussen an der Mauer nicht eckig, sondern halbrund, Wen-
deltreppen enthaltend. An der schönen Hauptpforte (unten links) ein
merkwürdiges Schwanken zwischen antiker und gothischer Einzelbil-
dung. Das Innere der Oberkirche als Ganzes höchst würdig und im-
posant. (Die Crypta unter der Unterkirche durchaus modern.) —
S. Chiara in Assisi giebt ähnliche Motive einfacher wieder; die
grossen Strebebogen nur des Abhanges wegen errichtet.
a
b
Diese Gebäude warfen ein weites Licht über die Gegend und tru-
gen zum Sieg des gothischen Styles in Mittelitalien nicht wenig bei.
Mit S. Francesco nahm der ganze grosse Orden, der von dem dort
begrabenen Heiligen den Namen führt, Partei für die Neuerung, und
daneben durfte auch der Dominicanerorden nicht zurückbleiben. Die
wichtigsten Kirchen der beiden mächtigen Genossenschaften werden
noch besonders zu nennen sein; hier ist nur auf den allgemeinen Ty-
pus aufmerksam zu machen, der sich für ihre Gotteshäuser feststellte.
Die nordischen Bettelordenskirchen des XIII. und XIV. Jahrhunderts
sind bekanntlich dreischiffige flachgedeckte Säulenkirchen mit möglichst
1) Eine freiere Ausfüllung und Einfassung der Glieder mit Laubwerk auf weis-
sem Grunde wurde z. B. in S. Anastasia zu Verona versucht, doch nicht
mit besondern Glück.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |