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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Romanische Architektur. Kirchen von Pisa.
ben Sieg über die Schwere des Stoffes ausspricht, wie die deutsch-
gothischen Thürme in der ihrigen.


Das reiche System dieser drei Bauten ist natürlich an den übri-
gen Kirchen nur stellenweise durchgeführt, oder auch nur in Andeu-
tungen, gleichsam im Auszug gegeben. Immer aber wirkt diese erste
consequente Erneuerung eines plastisch bedeutenden Architekturstyls
mit grossem Nachdruck und auch die kleinste dieser Kirchen zeigt
deutlich, dass man diesen bezweckte. Bei den kleinern beschränkt
sich der Marmor auf die Fassaden; statt der Galerien kommen blosse
Wandbogen vor, aber auch da ist mit geringen Mitteln, z. B. mit dem
Charakterunterschied von Wandpilastern und Wandsäulen das Wesent-
liche entschieden ausgesprochen. Im Innern sind oder waren es lau-
ter Säulenbasiliken; das Oberschiff meist verändert.

a

Aus dem XII. Jahrhundert: S. Frediano; im Innern liefern
z. B. die zwei nächsten Säulen den Beweis, dass die allzukleinen Ca-
pitäle nicht immer antike sind, mit denen man sich hätte begnügen
müssen, wie man sie fand. (Vgl. S. 100.) Die Säulen dagegen schei-
nen sämmtlich antik.

b

S. Sisto, antike Säulen von ungleichem Stoff; auch hier gerade
die unpassendsten Capitäle modern. Das Äussere fast formlos.

c

S. Anna, nur ein Theil der Südseite erhalten; das Übrige ein
Umbau von 1610.

d

S. Andrea, aussen nur die einfache Fassade alt, sowie das back-
steinerne Campanile; innen die Überhöhung der Bogen durch ein be-
sonderes Zwischengesimse erklärt; die Capitäle meist aus dem Mittel-
alter, mit Thierköpfen etc.

e

S. Pierino, in seiner jetzigen Gestalt XII. Jahrh., aussen ein-
fach, innen wahrscheinlich beim damaligen Umbau (des Arno's we-
gen?) erhöht; die Capitäle zum Theil antik; der Boden mosaicirt.

f

S. Paolo all' Orto, nur der untere Theil der Fassade erhal-
ten (wonach die Kirche eine der ältesten nächst dem Dom sein möchte.)
Das Innere ganz verbaut.

g

S. Sepolcro, eine der im ganzen Abendland vorkommenden
polygonen Heiliggrabkirchen, XIII. Jahrhundert. Hohes Achteck mit

Romanische Architektur. Kirchen von Pisa.
ben Sieg über die Schwere des Stoffes ausspricht, wie die deutsch-
gothischen Thürme in der ihrigen.


Das reiche System dieser drei Bauten ist natürlich an den übri-
gen Kirchen nur stellenweise durchgeführt, oder auch nur in Andeu-
tungen, gleichsam im Auszug gegeben. Immer aber wirkt diese erste
consequente Erneuerung eines plastisch bedeutenden Architekturstyls
mit grossem Nachdruck und auch die kleinste dieser Kirchen zeigt
deutlich, dass man diesen bezweckte. Bei den kleinern beschränkt
sich der Marmor auf die Fassaden; statt der Galerien kommen blosse
Wandbogen vor, aber auch da ist mit geringen Mitteln, z. B. mit dem
Charakterunterschied von Wandpilastern und Wandsäulen das Wesent-
liche entschieden ausgesprochen. Im Innern sind oder waren es lau-
ter Säulenbasiliken; das Oberschiff meist verändert.

a

Aus dem XII. Jahrhundert: S. Frediano; im Innern liefern
z. B. die zwei nächsten Säulen den Beweis, dass die allzukleinen Ca-
pitäle nicht immer antike sind, mit denen man sich hätte begnügen
müssen, wie man sie fand. (Vgl. S. 100.) Die Säulen dagegen schei-
nen sämmtlich antik.

b

S. Sisto, antike Säulen von ungleichem Stoff; auch hier gerade
die unpassendsten Capitäle modern. Das Äussere fast formlos.

c

S. Anna, nur ein Theil der Südseite erhalten; das Übrige ein
Umbau von 1610.

d

S. Andrea, aussen nur die einfache Fassade alt, sowie das back-
steinerne Campanile; innen die Überhöhung der Bogen durch ein be-
sonderes Zwischengesimse erklärt; die Capitäle meist aus dem Mittel-
alter, mit Thierköpfen etc.

e

S. Pierino, in seiner jetzigen Gestalt XII. Jahrh., aussen ein-
fach, innen wahrscheinlich beim damaligen Umbau (des Arno’s we-
gen?) erhöht; die Capitäle zum Theil antik; der Boden mosaicirt.

f

S. Paolo all’ Orto, nur der untere Theil der Fassade erhal-
ten (wonach die Kirche eine der ältesten nächst dem Dom sein möchte.)
Das Innere ganz verbaut.

g

S. Sepolcro, eine der im ganzen Abendland vorkommenden
polygonen Heiliggrabkirchen, XIII. Jahrhundert. Hohes Achteck mit

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[106/0128] Romanische Architektur. Kirchen von Pisa. ben Sieg über die Schwere des Stoffes ausspricht, wie die deutsch- gothischen Thürme in der ihrigen. Das reiche System dieser drei Bauten ist natürlich an den übri- gen Kirchen nur stellenweise durchgeführt, oder auch nur in Andeu- tungen, gleichsam im Auszug gegeben. Immer aber wirkt diese erste consequente Erneuerung eines plastisch bedeutenden Architekturstyls mit grossem Nachdruck und auch die kleinste dieser Kirchen zeigt deutlich, dass man diesen bezweckte. Bei den kleinern beschränkt sich der Marmor auf die Fassaden; statt der Galerien kommen blosse Wandbogen vor, aber auch da ist mit geringen Mitteln, z. B. mit dem Charakterunterschied von Wandpilastern und Wandsäulen das Wesent- liche entschieden ausgesprochen. Im Innern sind oder waren es lau- ter Säulenbasiliken; das Oberschiff meist verändert. Aus dem XII. Jahrhundert: S. Frediano; im Innern liefern z. B. die zwei nächsten Säulen den Beweis, dass die allzukleinen Ca- pitäle nicht immer antike sind, mit denen man sich hätte begnügen müssen, wie man sie fand. (Vgl. S. 100.) Die Säulen dagegen schei- nen sämmtlich antik. S. Sisto, antike Säulen von ungleichem Stoff; auch hier gerade die unpassendsten Capitäle modern. Das Äussere fast formlos. S. Anna, nur ein Theil der Südseite erhalten; das Übrige ein Umbau von 1610. S. Andrea, aussen nur die einfache Fassade alt, sowie das back- steinerne Campanile; innen die Überhöhung der Bogen durch ein be- sonderes Zwischengesimse erklärt; die Capitäle meist aus dem Mittel- alter, mit Thierköpfen etc. S. Pierino, in seiner jetzigen Gestalt XII. Jahrh., aussen ein- fach, innen wahrscheinlich beim damaligen Umbau (des Arno’s we- gen?) erhöht; die Capitäle zum Theil antik; der Boden mosaicirt. S. Paolo all’ Orto, nur der untere Theil der Fassade erhal- ten (wonach die Kirche eine der ältesten nächst dem Dom sein möchte.) Das Innere ganz verbaut. S. Sepolcro, eine der im ganzen Abendland vorkommenden polygonen Heiliggrabkirchen, XIII. Jahrhundert. Hohes Achteck mit

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/128>, abgerufen am 28.11.2024.