die Crypta (mit ionischen Säulchen) ein späterer Einbau 1). Merkwür- diger Weise entspricht schon hier die ganz schmucklose Fassade der Kirche nicht, sondern ragt bereits als vorgesetzte Decoration über dieselbe hinaus.
Zur vollen Ausbildung des Typus reichte aber ein blosser Bischofs- sitz nicht aus; es bedurfte dazu des ganzen municipalen Stolzes einer rei- chen im Centrum des damaligen Weltverkehrs gelegenen Handelsre- publik. Wie nördlich vom Apennin Venedig, so vertrat südlich Pisa diese Stelle. Im Hochgefühl eines Sieges über die Sicilianer gründe- ten die von Pisa 1063 ihren Dom; als Baumeister nennt sich Rai-a naldus.
Die schöne isolirte Lage, der edle weisse Marmor mit schwarzen und farbigen Incrustationen, die klare Absicht, ein vollendetes Juwel hinzustellen, die gleichmässige Vollendung des Baues und der benach- barten Prachtgebäude -- diess Alles bringt schon an sich einen gros- sen Eindruck hervor; es giebt nicht eben viele Kirchen, welche diese Vorbedingungen erfüllen. Ausserdem aber thut die Kunst hier einen ihrer ganz grossen Schritte. Zum erstenmal wieder seit der römischen Zeit sucht sie den Aussenbau lebendig und zugleich mit dem Innern harmonisch zu gliedern; sie stuft die Fassade schön und sorglich ab und giebt dem Erdgeschoss Wandsäulen und Wandbogen, den obern Theilen durchsichtige Galerien, zunächst längere, dann dem Mittelschiff und dem Giebel entsprechend kürzere. Sie weiss auch, dass ihre Wandsäulen jetzt einem neuen Organismus angehören und verjüngt dieselben fast gar nicht mehr (womit es der Baumeister von S. Mic- chele in Lucca versah). An den Seiten wird ebenfalls die einfachere Form, hier Wandpilaster mit Bogen und eine kleinere Reihe drüber mit gradem Gebälk, den untern Schiffen zugewiesen, die leichtere und reichere, nämlich Wandsäulen mit Bogen, dem Oberschiff. Es ist denk- bar, dass orientalische Kirchen einzelne dieser Elemente darboten, aber ihre Vereinigung in Einem Guss ist pisanisch. Von der Wiese hin- ter dem Chor aus offenbart sich dann eine andere grosse Neuerung:
1) Das Ganze liefert den stärksten Beweis gegen die behauptete Gleichzeitig- keit von S. Miniato bei Florenz (angeblich von 1013), welches durchweg die feinste Durchbildung zeigt.
Dom von Pisa.
die Crypta (mit ionischen Säulchen) ein späterer Einbau 1). Merkwür- diger Weise entspricht schon hier die ganz schmucklose Fassade der Kirche nicht, sondern ragt bereits als vorgesetzte Decoration über dieselbe hinaus.
Zur vollen Ausbildung des Typus reichte aber ein blosser Bischofs- sitz nicht aus; es bedurfte dazu des ganzen municipalen Stolzes einer rei- chen im Centrum des damaligen Weltverkehrs gelegenen Handelsre- publik. Wie nördlich vom Apennin Venedig, so vertrat südlich Pisa diese Stelle. Im Hochgefühl eines Sieges über die Sicilianer gründe- ten die von Pisa 1063 ihren Dom; als Baumeister nennt sich Rai-a naldus.
Die schöne isolirte Lage, der edle weisse Marmor mit schwarzen und farbigen Incrustationen, die klare Absicht, ein vollendetes Juwel hinzustellen, die gleichmässige Vollendung des Baues und der benach- barten Prachtgebäude — diess Alles bringt schon an sich einen gros- sen Eindruck hervor; es giebt nicht eben viele Kirchen, welche diese Vorbedingungen erfüllen. Ausserdem aber thut die Kunst hier einen ihrer ganz grossen Schritte. Zum erstenmal wieder seit der römischen Zeit sucht sie den Aussenbau lebendig und zugleich mit dem Innern harmonisch zu gliedern; sie stuft die Fassade schön und sorglich ab und giebt dem Erdgeschoss Wandsäulen und Wandbogen, den obern Theilen durchsichtige Galerien, zunächst längere, dann dem Mittelschiff und dem Giebel entsprechend kürzere. Sie weiss auch, dass ihre Wandsäulen jetzt einem neuen Organismus angehören und verjüngt dieselben fast gar nicht mehr (womit es der Baumeister von S. Mic- chele in Lucca versah). An den Seiten wird ebenfalls die einfachere Form, hier Wandpilaster mit Bogen und eine kleinere Reihe drüber mit gradem Gebälk, den untern Schiffen zugewiesen, die leichtere und reichere, nämlich Wandsäulen mit Bogen, dem Oberschiff. Es ist denk- bar, dass orientalische Kirchen einzelne dieser Elemente darboten, aber ihre Vereinigung in Einem Guss ist pisanisch. Von der Wiese hin- ter dem Chor aus offenbart sich dann eine andere grosse Neuerung:
1) Das Ganze liefert den stärksten Beweis gegen die behauptete Gleichzeitig- keit von S. Miniato bei Florenz (angeblich von 1013), welches durchweg die feinste Durchbildung zeigt.
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Dom von Pisa.
die Crypta (mit ionischen Säulchen) ein späterer Einbau 1). Merkwür-
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Kirche nicht, sondern ragt bereits als vorgesetzte Decoration über
dieselbe hinaus.
Zur vollen Ausbildung des Typus reichte aber ein blosser Bischofs-
sitz nicht aus; es bedurfte dazu des ganzen municipalen Stolzes einer rei-
chen im Centrum des damaligen Weltverkehrs gelegenen Handelsre-
publik. Wie nördlich vom Apennin Venedig, so vertrat südlich Pisa
diese Stelle. Im Hochgefühl eines Sieges über die Sicilianer gründe-
ten die von Pisa 1063 ihren Dom; als Baumeister nennt sich Rai-
naldus.
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Die schöne isolirte Lage, der edle weisse Marmor mit schwarzen
und farbigen Incrustationen, die klare Absicht, ein vollendetes Juwel
hinzustellen, die gleichmässige Vollendung des Baues und der benach-
barten Prachtgebäude — diess Alles bringt schon an sich einen gros-
sen Eindruck hervor; es giebt nicht eben viele Kirchen, welche diese
Vorbedingungen erfüllen. Ausserdem aber thut die Kunst hier einen
ihrer ganz grossen Schritte. Zum erstenmal wieder seit der römischen
Zeit sucht sie den Aussenbau lebendig und zugleich mit dem Innern
harmonisch zu gliedern; sie stuft die Fassade schön und sorglich ab
und giebt dem Erdgeschoss Wandsäulen und Wandbogen, den obern
Theilen durchsichtige Galerien, zunächst längere, dann dem Mittelschiff
und dem Giebel entsprechend kürzere. Sie weiss auch, dass ihre
Wandsäulen jetzt einem neuen Organismus angehören und verjüngt
dieselben fast gar nicht mehr (womit es der Baumeister von S. Mic-
chele in Lucca versah). An den Seiten wird ebenfalls die einfachere
Form, hier Wandpilaster mit Bogen und eine kleinere Reihe drüber mit
gradem Gebälk, den untern Schiffen zugewiesen, die leichtere und
reichere, nämlich Wandsäulen mit Bogen, dem Oberschiff. Es ist denk-
bar, dass orientalische Kirchen einzelne dieser Elemente darboten, aber
ihre Vereinigung in Einem Guss ist pisanisch. Von der Wiese hin-
ter dem Chor aus offenbart sich dann eine andere grosse Neuerung:
1) Das Ganze liefert den stärksten Beweis gegen die behauptete Gleichzeitig-
keit von S. Miniato bei Florenz (angeblich von 1013), welches durchweg die
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/123>, abgerufen am 28.11.2024.
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