Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Christliche Architektur. Basiliken.
und den folgenden Jahrhunderten stammen, wovon unten), und die Wände
der Seitenschiffe wenigstens unten einen Überzug mit kostbaren Stein-
arten aus den Ruinen des alten Roms. Die baulichen Details mussten
neben der starken Farbenwirkung dieses Schmuckes, namentlich auch
des Goldgrundes, Wirkung und Werth verlieren und sich bald auf
das Allernöthigste beschränken. Die Capitäle wurden, wo man keine
antiken vorräthig hatte, bisweilen aus orientalischen Bauhütten bezo-
gen; namentlich in Ravenna wird man oft einem sonderbar umgestal-
teten korinthischen Capitäl mit kraftlosem aber zierlich geripptem und
ausgezacktem Blattwerk begegnen, dessen Stoff -- proconnesischer
Marmor von der Propontis -- seine Herkunft verräth. (V. und VI.
Jahrhundert.) Hart daneben tritt aber auch ein schon ganz lebloses,
muldenförmiges Capitäl auf, in welches kalligraphische Zierrathen bloss
flach eingemeisselt sind, und welches sich unter dem oben bezeich-
neten trapezförmigen Aufsatz besonders roh ausnimmt. (Jetzt in man-
chen Basiliken neue Capitäle und Gesimse von Stucco über den alten.)

Die grosse perspectivische Wirkung des Ganzen war nicht zu
jeder Zeit, sondern nur in besonders feierlichen Augenblicken zu ge-
niessen, indem eine unglaubliche Masse von Vorhängen die einzelnen
Räume von einander abschloss. Dieselben begannen schon mit der
akleinen äussern Vorhalle (an derjenigen von S. Clemente und anderswo
sind noch einige Ringe an der eisernen Stange sichtbar), umzogen dann
den ganzen vierseitigen Porticus, theilten das Hauptschiff zwei bis drei-
mal in die Quere, gingen an den Colonnaden von Säule zu Säule und
machten vollends den Altarraum zu einem unsichtbaren Allerheiligsten.
Am Tabernakel mancher Altäre sind überdies noch besondere Stangen
und Ringe von den ehemaligen Vorhängen zu bemerken, welche alle
vier Seiten des Altares zu verhüllen bestimmt waren. Die Querbal-
ken und Stangen, welche dieses oft kostbar gestickte Tuchwerk trugen,
scheinen laut den Nachrichten mit Heiligenbildern geschmückt gewesen
zu sein; ausserdem dienten sie wohl auch dem Bau selber als Veran-
kerungen oder Schlaudern.

Von den einzelnen Ziergegenständen, den Thronen, Lesepulten,
Predigtkanzeln, Osterkerzensäulen u. s. w. ist das Meiste erst seit dem
XI. Jahrhundert gearbeitet (siehe unten). Wir müssen hier nur zwei
Dinge erwähnen, welche ihre bleibende Gestalt schon in altchristlicher

Christliche Architektur. Basiliken.
und den folgenden Jahrhunderten stammen, wovon unten), und die Wände
der Seitenschiffe wenigstens unten einen Überzug mit kostbaren Stein-
arten aus den Ruinen des alten Roms. Die baulichen Details mussten
neben der starken Farbenwirkung dieses Schmuckes, namentlich auch
des Goldgrundes, Wirkung und Werth verlieren und sich bald auf
das Allernöthigste beschränken. Die Capitäle wurden, wo man keine
antiken vorräthig hatte, bisweilen aus orientalischen Bauhütten bezo-
gen; namentlich in Ravenna wird man oft einem sonderbar umgestal-
teten korinthischen Capitäl mit kraftlosem aber zierlich geripptem und
ausgezacktem Blattwerk begegnen, dessen Stoff — proconnesischer
Marmor von der Propontis — seine Herkunft verräth. (V. und VI.
Jahrhundert.) Hart daneben tritt aber auch ein schon ganz lebloses,
muldenförmiges Capitäl auf, in welches kalligraphische Zierrathen bloss
flach eingemeisselt sind, und welches sich unter dem oben bezeich-
neten trapezförmigen Aufsatz besonders roh ausnimmt. (Jetzt in man-
chen Basiliken neue Capitäle und Gesimse von Stucco über den alten.)

Die grosse perspectivische Wirkung des Ganzen war nicht zu
jeder Zeit, sondern nur in besonders feierlichen Augenblicken zu ge-
niessen, indem eine unglaubliche Masse von Vorhängen die einzelnen
Räume von einander abschloss. Dieselben begannen schon mit der
akleinen äussern Vorhalle (an derjenigen von S. Clemente und anderswo
sind noch einige Ringe an der eisernen Stange sichtbar), umzogen dann
den ganzen vierseitigen Porticus, theilten das Hauptschiff zwei bis drei-
mal in die Quere, gingen an den Colonnaden von Säule zu Säule und
machten vollends den Altarraum zu einem unsichtbaren Allerheiligsten.
Am Tabernakel mancher Altäre sind überdies noch besondere Stangen
und Ringe von den ehemaligen Vorhängen zu bemerken, welche alle
vier Seiten des Altares zu verhüllen bestimmt waren. Die Querbal-
ken und Stangen, welche dieses oft kostbar gestickte Tuchwerk trugen,
scheinen laut den Nachrichten mit Heiligenbildern geschmückt gewesen
zu sein; ausserdem dienten sie wohl auch dem Bau selber als Veran-
kerungen oder Schlaudern.

Von den einzelnen Ziergegenständen, den Thronen, Lesepulten,
Predigtkanzeln, Osterkerzensäulen u. s. w. ist das Meiste erst seit dem
XI. Jahrhundert gearbeitet (siehe unten). Wir müssen hier nur zwei
Dinge erwähnen, welche ihre bleibende Gestalt schon in altchristlicher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="78"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Christliche Architektur. Basiliken.</hi></fw><lb/>
und den folgenden Jahrhunderten stammen, wovon unten), und die Wände<lb/>
der Seitenschiffe wenigstens unten einen Überzug mit kostbaren Stein-<lb/>
arten aus den Ruinen des alten Roms. Die baulichen Details mussten<lb/>
neben der starken Farbenwirkung dieses Schmuckes, namentlich auch<lb/>
des Goldgrundes, Wirkung und Werth verlieren und sich bald auf<lb/>
das Allernöthigste beschränken. Die Capitäle wurden, wo man keine<lb/>
antiken vorräthig hatte, bisweilen aus orientalischen Bauhütten bezo-<lb/>
gen; namentlich in Ravenna wird man oft einem sonderbar umgestal-<lb/>
teten korinthischen Capitäl mit kraftlosem aber zierlich geripptem und<lb/>
ausgezacktem Blattwerk begegnen, dessen Stoff &#x2014; proconnesischer<lb/>
Marmor von der Propontis &#x2014; seine Herkunft verräth. (V. und VI.<lb/>
Jahrhundert.) Hart daneben tritt aber auch ein schon ganz lebloses,<lb/>
muldenförmiges Capitäl auf, in welches kalligraphische Zierrathen bloss<lb/>
flach eingemeisselt sind, und welches sich unter dem oben bezeich-<lb/>
neten trapezförmigen Aufsatz besonders roh ausnimmt. (Jetzt in man-<lb/>
chen Basiliken neue Capitäle und Gesimse von Stucco über den alten.)</p><lb/>
        <p>Die grosse perspectivische Wirkung des Ganzen war nicht zu<lb/>
jeder Zeit, sondern nur in besonders feierlichen Augenblicken zu ge-<lb/>
niessen, indem eine unglaubliche Masse von Vorhängen die einzelnen<lb/>
Räume von einander abschloss. Dieselben begannen schon mit der<lb/><note place="left">a</note>kleinen äussern Vorhalle (an derjenigen von S. Clemente und anderswo<lb/>
sind noch einige Ringe an der eisernen Stange sichtbar), umzogen dann<lb/>
den ganzen vierseitigen Porticus, theilten das Hauptschiff zwei bis drei-<lb/>
mal in die Quere, gingen an den Colonnaden von Säule zu Säule und<lb/>
machten vollends den Altarraum zu einem unsichtbaren Allerheiligsten.<lb/>
Am Tabernakel mancher Altäre sind überdies noch besondere Stangen<lb/>
und Ringe von den ehemaligen Vorhängen zu bemerken, welche alle<lb/>
vier Seiten des Altares zu verhüllen bestimmt waren. Die Querbal-<lb/>
ken und Stangen, welche dieses oft kostbar gestickte Tuchwerk trugen,<lb/>
scheinen laut den Nachrichten mit Heiligenbildern geschmückt gewesen<lb/>
zu sein; ausserdem dienten sie wohl auch dem Bau selber als Veran-<lb/>
kerungen oder Schlaudern.</p><lb/>
        <p>Von den einzelnen Ziergegenständen, den Thronen, Lesepulten,<lb/>
Predigtkanzeln, Osterkerzensäulen u. s. w. ist das Meiste erst seit dem<lb/>
XI. Jahrhundert gearbeitet (siehe unten). Wir müssen hier nur zwei<lb/>
Dinge erwähnen, welche ihre bleibende Gestalt schon in altchristlicher<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0100] Christliche Architektur. Basiliken. und den folgenden Jahrhunderten stammen, wovon unten), und die Wände der Seitenschiffe wenigstens unten einen Überzug mit kostbaren Stein- arten aus den Ruinen des alten Roms. Die baulichen Details mussten neben der starken Farbenwirkung dieses Schmuckes, namentlich auch des Goldgrundes, Wirkung und Werth verlieren und sich bald auf das Allernöthigste beschränken. Die Capitäle wurden, wo man keine antiken vorräthig hatte, bisweilen aus orientalischen Bauhütten bezo- gen; namentlich in Ravenna wird man oft einem sonderbar umgestal- teten korinthischen Capitäl mit kraftlosem aber zierlich geripptem und ausgezacktem Blattwerk begegnen, dessen Stoff — proconnesischer Marmor von der Propontis — seine Herkunft verräth. (V. und VI. Jahrhundert.) Hart daneben tritt aber auch ein schon ganz lebloses, muldenförmiges Capitäl auf, in welches kalligraphische Zierrathen bloss flach eingemeisselt sind, und welches sich unter dem oben bezeich- neten trapezförmigen Aufsatz besonders roh ausnimmt. (Jetzt in man- chen Basiliken neue Capitäle und Gesimse von Stucco über den alten.) Die grosse perspectivische Wirkung des Ganzen war nicht zu jeder Zeit, sondern nur in besonders feierlichen Augenblicken zu ge- niessen, indem eine unglaubliche Masse von Vorhängen die einzelnen Räume von einander abschloss. Dieselben begannen schon mit der kleinen äussern Vorhalle (an derjenigen von S. Clemente und anderswo sind noch einige Ringe an der eisernen Stange sichtbar), umzogen dann den ganzen vierseitigen Porticus, theilten das Hauptschiff zwei bis drei- mal in die Quere, gingen an den Colonnaden von Säule zu Säule und machten vollends den Altarraum zu einem unsichtbaren Allerheiligsten. Am Tabernakel mancher Altäre sind überdies noch besondere Stangen und Ringe von den ehemaligen Vorhängen zu bemerken, welche alle vier Seiten des Altares zu verhüllen bestimmt waren. Die Querbal- ken und Stangen, welche dieses oft kostbar gestickte Tuchwerk trugen, scheinen laut den Nachrichten mit Heiligenbildern geschmückt gewesen zu sein; ausserdem dienten sie wohl auch dem Bau selber als Veran- kerungen oder Schlaudern. a Von den einzelnen Ziergegenständen, den Thronen, Lesepulten, Predigtkanzeln, Osterkerzensäulen u. s. w. ist das Meiste erst seit dem XI. Jahrhundert gearbeitet (siehe unten). Wir müssen hier nur zwei Dinge erwähnen, welche ihre bleibende Gestalt schon in altchristlicher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/100
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/100>, abgerufen am 05.12.2024.