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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Gleichwohl wird man sich hüten müssen, den Einfluß jener
Revolution zu überschätzen, oder gar in ihr die einzige Quelle
all' dessen zu erblicken, was nun in Deutschland folgte. Die
offiziellen Beschlüsse des Bundestags und nach ihnen die
reactionäre Geschichtsschreibung haben dießbezüglich eine Legende
zusammengebraut, welche Jahrzehnte hindurch mit so pomp-
hafter Sicherheit verkündet wurde, daß sie noch heute viel-
fach geglaubt wird: die Juli-Revolution habe eine "Umsturz-
partei" in Deutschland erweckt, welche die Aufstände in
Braunschweig, Oberhessen, Sachsen u. s. w. später den Frank-
furter Putsch inscenirt und nur durch die äußerste Strenge
habe unschädlich gemacht werden können. Es ist nicht unseres
Amtes, diese Legende eingehend zu widerlegen, wohl aber
kurz an den wahren Sachverhalt zu erinnern. Nicht erst
die Juli-Revolution hat eine Partei der Unzufriedenen in
Deutschland geschaffen, nicht "von der Seine her kam das
schleichende Gift, deutsche Treue zu vernichten", sondern jenes
Ereigniß wirkte blos belebend und anregend auf alle jene
Kreise, welchen die Schmach der öffentlichen Zustände auf
dem Herzen lastete: sie begannen sich zu sammeln, zu klären,
zu discipliniren. Aber zu einer einheitlichen Partei wuchsen
sie nie zusammen, weder damals, noch in der Folge, am
wenigsten zu einer Partei des "Umsturzes". An Rebellion
dachten 1830 und unmittelbar darauf, wenn überhaupt,
wohl nur sehr wenige und völlig einflußlose Männer unter
den "Liberalen". Nicht durch ihre Bemühungen also, sondern
aus localen Verhältnissen heraus loderten jene einzelnen Auf-
stände empor, welche im Spätherbst 1830 die Herren in
Wien, Berlin und Frankfurt so sehr erschreckten. Wenn die
Braunschweiger Bürger und Adeligen ihren angestammten

Gleichwohl wird man ſich hüten müſſen, den Einfluß jener
Revolution zu überſchätzen, oder gar in ihr die einzige Quelle
all' deſſen zu erblicken, was nun in Deutſchland folgte. Die
offiziellen Beſchlüſſe des Bundestags und nach ihnen die
reactionäre Geſchichtsſchreibung haben dießbezüglich eine Legende
zuſammengebraut, welche Jahrzehnte hindurch mit ſo pomp-
hafter Sicherheit verkündet wurde, daß ſie noch heute viel-
fach geglaubt wird: die Juli-Revolution habe eine "Umſturz-
partei" in Deutſchland erweckt, welche die Aufſtände in
Braunſchweig, Oberheſſen, Sachſen u. ſ. w. ſpäter den Frank-
furter Putſch inſcenirt und nur durch die äußerſte Strenge
habe unſchädlich gemacht werden können. Es iſt nicht unſeres
Amtes, dieſe Legende eingehend zu widerlegen, wohl aber
kurz an den wahren Sachverhalt zu erinnern. Nicht erſt
die Juli-Revolution hat eine Partei der Unzufriedenen in
Deutſchland geſchaffen, nicht "von der Seine her kam das
ſchleichende Gift, deutſche Treue zu vernichten", ſondern jenes
Ereigniß wirkte blos belebend und anregend auf alle jene
Kreiſe, welchen die Schmach der öffentlichen Zuſtände auf
dem Herzen laſtete: ſie begannen ſich zu ſammeln, zu klären,
zu discipliniren. Aber zu einer einheitlichen Partei wuchſen
ſie nie zuſammen, weder damals, noch in der Folge, am
wenigſten zu einer Partei des "Umſturzes". An Rebellion
dachten 1830 und unmittelbar darauf, wenn überhaupt,
wohl nur ſehr wenige und völlig einflußloſe Männer unter
den "Liberalen". Nicht durch ihre Bemühungen alſo, ſondern
aus localen Verhältniſſen heraus loderten jene einzelnen Auf-
ſtände empor, welche im Spätherbſt 1830 die Herren in
Wien, Berlin und Frankfurt ſo ſehr erſchreckten. Wenn die
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[LXXIX/0095] Gleichwohl wird man ſich hüten müſſen, den Einfluß jener Revolution zu überſchätzen, oder gar in ihr die einzige Quelle all' deſſen zu erblicken, was nun in Deutſchland folgte. Die offiziellen Beſchlüſſe des Bundestags und nach ihnen die reactionäre Geſchichtsſchreibung haben dießbezüglich eine Legende zuſammengebraut, welche Jahrzehnte hindurch mit ſo pomp- hafter Sicherheit verkündet wurde, daß ſie noch heute viel- fach geglaubt wird: die Juli-Revolution habe eine "Umſturz- partei" in Deutſchland erweckt, welche die Aufſtände in Braunſchweig, Oberheſſen, Sachſen u. ſ. w. ſpäter den Frank- furter Putſch inſcenirt und nur durch die äußerſte Strenge habe unſchädlich gemacht werden können. Es iſt nicht unſeres Amtes, dieſe Legende eingehend zu widerlegen, wohl aber kurz an den wahren Sachverhalt zu erinnern. Nicht erſt die Juli-Revolution hat eine Partei der Unzufriedenen in Deutſchland geſchaffen, nicht "von der Seine her kam das ſchleichende Gift, deutſche Treue zu vernichten", ſondern jenes Ereigniß wirkte blos belebend und anregend auf alle jene Kreiſe, welchen die Schmach der öffentlichen Zuſtände auf dem Herzen laſtete: ſie begannen ſich zu ſammeln, zu klären, zu discipliniren. Aber zu einer einheitlichen Partei wuchſen ſie nie zuſammen, weder damals, noch in der Folge, am wenigſten zu einer Partei des "Umſturzes". An Rebellion dachten 1830 und unmittelbar darauf, wenn überhaupt, wohl nur ſehr wenige und völlig einflußloſe Männer unter den "Liberalen". Nicht durch ihre Bemühungen alſo, ſondern aus localen Verhältniſſen heraus loderten jene einzelnen Auf- ſtände empor, welche im Spätherbſt 1830 die Herren in Wien, Berlin und Frankfurt ſo ſehr erſchreckten. Wenn die Braunſchweiger Bürger und Adeligen ihren angeſtammten

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/95>, abgerufen am 25.11.2024.