dem Münster zu verweilen, neben dem weiten Ausblick zog ihn auch dessen Bauart an, welche einen Gegenstand seiner Lieblingsstudien bildete. Er pflegte stets die 635 Stufen bis zur Spitze des nördlichen Thurmes, der "Laterne" und "Krone" emporzusteigen, und wäre einmal an einem Herbst- tage von 1832 beinahe von der schwindelnden Höhe herab- gestürzt, als er sich rasch nach einem entfallenen Fernglase bückte -- die rettende Hand eines Freundes riß ihn zurück. Auf dem Münster, sowie in den Auen an der Ill brachte er seine Erholungsstunden zu, von Bällen und Gesellschaften hielt er sich fern.
Das stille Glück, welches er zu Hause gefunden, mochte ihm solche Enthaltsamkeit leicht machen. Nicht blos von allem Düsteren, sondern auch von allem Heiteren, was ihm zu Straßburg begegnete, hat er gewissenhaft den Eltern be- richtet, nur nicht von dem Liebsten und Heitersten: seinem Mädchen. Wie Büchner in Straßburg in einzelnen Zügen an den stud. jur. Goethe erinnert, so noch weit mehr Minna Jaegle an die Pfarrerstochter von Sesenheim. Freilich ist dabei vor Allem der große Unterschied festzuhalten, daß hier beiderseits tiefste Liebe waltete, welche erst der Tod trennte. Es ist uns kein Bild des Mädchens erhalten, welches dies kampfdurchlohte Leben schmückte, wie die Rose den Sturm- helm des Gewappneten, kein anderes Bild, als es die Briefe, welche Büchner später aus Gießen und Darmstadt schrieb, bieten. "Doch wer gute Augen hat und er schaut in diese Lieder" (denn es sind Dithyramben in Prosa) der sieht die Schöne, wie hold und schlicht, wie gut und muthig sie war, eine liebliche Mischung durchgeistigten Gemüthes und natür- lichster Anmuth. Von äußerem Detail ist nur zu verzeichnen,
dem Münſter zu verweilen, neben dem weiten Ausblick zog ihn auch deſſen Bauart an, welche einen Gegenſtand ſeiner Lieblingsſtudien bildete. Er pflegte ſtets die 635 Stufen bis zur Spitze des nördlichen Thurmes, der "Laterne" und "Krone" emporzuſteigen, und wäre einmal an einem Herbſt- tage von 1832 beinahe von der ſchwindelnden Höhe herab- geſtürzt, als er ſich raſch nach einem entfallenen Fernglaſe bückte — die rettende Hand eines Freundes riß ihn zurück. Auf dem Münſter, ſowie in den Auen an der Ill brachte er ſeine Erholungsſtunden zu, von Bällen und Geſellſchaften hielt er ſich fern.
Das ſtille Glück, welches er zu Hauſe gefunden, mochte ihm ſolche Enthaltſamkeit leicht machen. Nicht blos von allem Düſteren, ſondern auch von allem Heiteren, was ihm zu Straßburg begegnete, hat er gewiſſenhaft den Eltern be- richtet, nur nicht von dem Liebſten und Heiterſten: ſeinem Mädchen. Wie Büchner in Straßburg in einzelnen Zügen an den stud. jur. Goethe erinnert, ſo noch weit mehr Minna Jaeglé an die Pfarrerstochter von Seſenheim. Freilich iſt dabei vor Allem der große Unterſchied feſtzuhalten, daß hier beiderſeits tiefſte Liebe waltete, welche erſt der Tod trennte. Es iſt uns kein Bild des Mädchens erhalten, welches dies kampfdurchlohte Leben ſchmückte, wie die Roſe den Sturm- helm des Gewappneten, kein anderes Bild, als es die Briefe, welche Büchner ſpäter aus Gießen und Darmſtadt ſchrieb, bieten. "Doch wer gute Augen hat und er ſchaut in dieſe Lieder" (denn es ſind Dithyramben in Proſa) der ſieht die Schöne, wie hold und ſchlicht, wie gut und muthig ſie war, eine liebliche Miſchung durchgeiſtigten Gemüthes und natür- lichſter Anmuth. Von äußerem Detail iſt nur zu verzeichnen,
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[LIX/0075]
dem Münſter zu verweilen, neben dem weiten Ausblick zog
ihn auch deſſen Bauart an, welche einen Gegenſtand ſeiner
Lieblingsſtudien bildete. Er pflegte ſtets die 635 Stufen
bis zur Spitze des nördlichen Thurmes, der "Laterne" und
"Krone" emporzuſteigen, und wäre einmal an einem Herbſt-
tage von 1832 beinahe von der ſchwindelnden Höhe herab-
geſtürzt, als er ſich raſch nach einem entfallenen Fernglaſe
bückte — die rettende Hand eines Freundes riß ihn zurück.
Auf dem Münſter, ſowie in den Auen an der Ill brachte
er ſeine Erholungsſtunden zu, von Bällen und Geſellſchaften
hielt er ſich fern.
Das ſtille Glück, welches er zu Hauſe gefunden, mochte
ihm ſolche Enthaltſamkeit leicht machen. Nicht blos von
allem Düſteren, ſondern auch von allem Heiteren, was ihm
zu Straßburg begegnete, hat er gewiſſenhaft den Eltern be-
richtet, nur nicht von dem Liebſten und Heiterſten: ſeinem
Mädchen. Wie Büchner in Straßburg in einzelnen Zügen
an den stud. jur. Goethe erinnert, ſo noch weit mehr Minna
Jaeglé an die Pfarrerstochter von Seſenheim. Freilich iſt
dabei vor Allem der große Unterſchied feſtzuhalten, daß hier
beiderſeits tiefſte Liebe waltete, welche erſt der Tod trennte.
Es iſt uns kein Bild des Mädchens erhalten, welches dies
kampfdurchlohte Leben ſchmückte, wie die Roſe den Sturm-
helm des Gewappneten, kein anderes Bild, als es die Briefe,
welche Büchner ſpäter aus Gießen und Darmſtadt ſchrieb,
bieten. "Doch wer gute Augen hat und er ſchaut in dieſe
Lieder" (denn es ſind Dithyramben in Proſa) der ſieht die
Schöne, wie hold und ſchlicht, wie gut und muthig ſie war,
eine liebliche Miſchung durchgeiſtigten Gemüthes und natür-
lichſter Anmuth. Von äußerem Detail iſt nur zu verzeichnen,
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/75>, abgerufen am 26.11.2024.
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