dieses Volkes zu kennen, wie sie sich an theoretischen Er- örterungen über den Begriff der Menschenrechte abmühten, ohne die nächsten praktischen Erfordernisse zu beachten, wie sie einerseits in allzugroßer Zaghaftigkeit nicht einmal die schwachen Waffen, welche ihnen ihre Verfassungen gewährten, recht ausnützten, andrerseits, fünfzig Köpfe stark, den deutschen Bund mit den Waffen in der Hand sprengen wollten. Georg Büchner aber ist von diesen Irrthümern frei, gänzlich frei geblieben; er begriff, was im Rückblick auf jene Zeit selbst- verständlich erscheint und damals den Besten verhüllt blieb: daß die Freiheits- und Einheitsfrage in Deutschland schlicht- weg eine Machtfrage sei, daß eine Bewegung, wenn sie er- folgreich sein solle, nicht von den Gebildeten allein ausgehen dürfe, sondern von der Masse, daß also diese zunächst ge- wonnen werden müsse, und daß letzteres nur geschehen könne, indem man nicht die Preßfreiheit, sondern die "große Magen- frage" in den Vordergrund stelle! ... Muß man auch bezüglich der nationalen Gesinnung Büchners an den Ein- fluß seiner nächsten Umgebung in Straßburg, bezüglich seiner Klarheit über die deutschen Verhältnisse an die Thatsache er- innern, daß er sie ja objectiv aus der Ferne beurtheilen und mit den Zuständen eines Volkes vergleichen konnte, welches eben eine Revolution vollbracht, so wird doch immerhin solche Schärfe und Consequenz merkwürdig erscheinen und man wird zu ihrer Erklärung nur eben auf seine mächtigen Geistes- gaben, auf seine geniale Anlage hinweisen können.
Diese Darstellung stützt sich auf Geständnisse, welche später "Mitschuldige" Büchner's vor mehr als einem Menschen- alter dem Untersuchungsrichter über ihre und ihres Führers politische Entwickelung gemacht. Für ihre Richtigkeit jedoch
dieſes Volkes zu kennen, wie ſie ſich an theoretiſchen Er- örterungen über den Begriff der Menſchenrechte abmühten, ohne die nächſten praktiſchen Erforderniſſe zu beachten, wie ſie einerſeits in allzugroßer Zaghaftigkeit nicht einmal die ſchwachen Waffen, welche ihnen ihre Verfaſſungen gewährten, recht ausnützten, andrerſeits, fünfzig Köpfe ſtark, den deutſchen Bund mit den Waffen in der Hand ſprengen wollten. Georg Büchner aber iſt von dieſen Irrthümern frei, gänzlich frei geblieben; er begriff, was im Rückblick auf jene Zeit ſelbſt- verſtändlich erſcheint und damals den Beſten verhüllt blieb: daß die Freiheits- und Einheitsfrage in Deutſchland ſchlicht- weg eine Machtfrage ſei, daß eine Bewegung, wenn ſie er- folgreich ſein ſolle, nicht von den Gebildeten allein ausgehen dürfe, ſondern von der Maſſe, daß alſo dieſe zunächſt ge- wonnen werden müſſe, und daß letzteres nur geſchehen könne, indem man nicht die Preßfreiheit, ſondern die "große Magen- frage" in den Vordergrund ſtelle! ... Muß man auch bezüglich der nationalen Geſinnung Büchners an den Ein- fluß ſeiner nächſten Umgebung in Straßburg, bezüglich ſeiner Klarheit über die deutſchen Verhältniſſe an die Thatſache er- innern, daß er ſie ja objectiv aus der Ferne beurtheilen und mit den Zuſtänden eines Volkes vergleichen konnte, welches eben eine Revolution vollbracht, ſo wird doch immerhin ſolche Schärfe und Conſequenz merkwürdig erſcheinen und man wird zu ihrer Erklärung nur eben auf ſeine mächtigen Geiſtes- gaben, auf ſeine geniale Anlage hinweiſen können.
Dieſe Darſtellung ſtützt ſich auf Geſtändniſſe, welche ſpäter "Mitſchuldige" Büchner's vor mehr als einem Menſchen- alter dem Unterſuchungsrichter über ihre und ihres Führers politiſche Entwickelung gemacht. Für ihre Richtigkeit jedoch
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[LII/0068]
dieſes Volkes zu kennen, wie ſie ſich an theoretiſchen Er-
örterungen über den Begriff der Menſchenrechte abmühten,
ohne die nächſten praktiſchen Erforderniſſe zu beachten, wie
ſie einerſeits in allzugroßer Zaghaftigkeit nicht einmal die
ſchwachen Waffen, welche ihnen ihre Verfaſſungen gewährten,
recht ausnützten, andrerſeits, fünfzig Köpfe ſtark, den deutſchen
Bund mit den Waffen in der Hand ſprengen wollten. Georg
Büchner aber iſt von dieſen Irrthümern frei, gänzlich frei
geblieben; er begriff, was im Rückblick auf jene Zeit ſelbſt-
verſtändlich erſcheint und damals den Beſten verhüllt blieb:
daß die Freiheits- und Einheitsfrage in Deutſchland ſchlicht-
weg eine Machtfrage ſei, daß eine Bewegung, wenn ſie er-
folgreich ſein ſolle, nicht von den Gebildeten allein ausgehen
dürfe, ſondern von der Maſſe, daß alſo dieſe zunächſt ge-
wonnen werden müſſe, und daß letzteres nur geſchehen könne,
indem man nicht die Preßfreiheit, ſondern die "große Magen-
frage" in den Vordergrund ſtelle! ... Muß man auch
bezüglich der nationalen Geſinnung Büchners an den Ein-
fluß ſeiner nächſten Umgebung in Straßburg, bezüglich ſeiner
Klarheit über die deutſchen Verhältniſſe an die Thatſache er-
innern, daß er ſie ja objectiv aus der Ferne beurtheilen und
mit den Zuſtänden eines Volkes vergleichen konnte, welches
eben eine Revolution vollbracht, ſo wird doch immerhin ſolche
Schärfe und Conſequenz merkwürdig erſcheinen und man
wird zu ihrer Erklärung nur eben auf ſeine mächtigen Geiſtes-
gaben, auf ſeine geniale Anlage hinweiſen können.
Dieſe Darſtellung ſtützt ſich auf Geſtändniſſe, welche
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/68>, abgerufen am 27.11.2024.
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