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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Er nannte das Palais royal den Ceramicus, er wollte eine
Republik, worin man patriotisch wäre, wie Demosthenes,
weise wie Sokrates und genial in den Sitten, wie die
Kreise, die sich um Aspasia sammelten. Die dritte Phase
der Revolution war die religiös-fanatische Robespierre's. Die
Revolution war ein Cultus geworden und hatte ihre Altäre,
ihre Dogmen, ihre Ceremonie. Dem Blut-Messias Robes-
pierre, wie ihn Camille nannte, stand St. Just zur Seite,
die Apokalypse neben dem Evangelium.

Nichts bezeichnet die drei blutigen Epochen der fran-
zösischen Revolution besser, als die Begriffe, die zu ver-
schiedenen Zeiten über die Revolution herrschten. Die Gironde
hielt die Revolution für etwas, das man ersetzen könne,
Danton für etwas, das man abschließen könne, Robespierre
für eine Offenbarung, welche ganz außer dem Bereiche des
menschlichen Willens läge, also für die Vorsehung und die
Gottheit selbst. Aber alle sahen sie die Revolution als
etwas fertiges, abgegränztes über ihrem Haupte: die ersten
als eine Last, die zweiten als ein Hinderniß, die dritten als
eine Idee, wie die Messiasidee, in welche sie sich hinein-
schoben, wie auch Christus nichts anders that, als eine Vor-
stellung seiner Nation adoptiren und sich selbst zum Substrat
und Subject einer Thatsache machen. Eine Idee despotisirte
hier die Menschen, die Menschen waren nur Beamte eines
Begriffes. Alle beriefen sich auf die Revolution, wie auf
eine unsichtbare Gottheit, die sie doch wahrlich in Händen
hatten, wie einen Hut, der mein ist!

Georg Büchners Auffassung der französischen Revolution
verräth eine tiefe Kenntniß derselben. Seine Charakteristiken
der Tendenzen und der Personen sind meisterhaft. Seine

Er nannte das Palais royal den Ceramicus, er wollte eine
Republik, worin man patriotiſch wäre, wie Demoſthenes,
weiſe wie Sokrates und genial in den Sitten, wie die
Kreiſe, die ſich um Aspaſia ſammelten. Die dritte Phaſe
der Revolution war die religiös-fanatiſche Robespierre's. Die
Revolution war ein Cultus geworden und hatte ihre Altäre,
ihre Dogmen, ihre Ceremonie. Dem Blut-Meſſias Robes-
pierre, wie ihn Camille nannte, ſtand St. Juſt zur Seite,
die Apokalypſe neben dem Evangelium.

Nichts bezeichnet die drei blutigen Epochen der fran-
zöſiſchen Revolution beſſer, als die Begriffe, die zu ver-
ſchiedenen Zeiten über die Revolution herrſchten. Die Gironde
hielt die Revolution für etwas, das man erſetzen könne,
Danton für etwas, das man abſchließen könne, Robespierre
für eine Offenbarung, welche ganz außer dem Bereiche des
menſchlichen Willens läge, alſo für die Vorſehung und die
Gottheit ſelbſt. Aber alle ſahen ſie die Revolution als
etwas fertiges, abgegränztes über ihrem Haupte: die erſten
als eine Laſt, die zweiten als ein Hinderniß, die dritten als
eine Idee, wie die Meſſiasidee, in welche ſie ſich hinein-
ſchoben, wie auch Chriſtus nichts anders that, als eine Vor-
ſtellung ſeiner Nation adoptiren und ſich ſelbſt zum Subſtrat
und Subject einer Thatſache machen. Eine Idee despotiſirte
hier die Menſchen, die Menſchen waren nur Beamte eines
Begriffes. Alle beriefen ſich auf die Revolution, wie auf
eine unſichtbare Gottheit, die ſie doch wahrlich in Händen
hatten, wie einen Hut, der mein iſt!

Georg Büchners Auffaſſung der franzöſiſchen Revolution
verräth eine tiefe Kenntniß derſelben. Seine Charakteriſtiken
der Tendenzen und der Perſonen ſind meiſterhaft. Seine

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[448/0644] Er nannte das Palais royal den Ceramicus, er wollte eine Republik, worin man patriotiſch wäre, wie Demoſthenes, weiſe wie Sokrates und genial in den Sitten, wie die Kreiſe, die ſich um Aspaſia ſammelten. Die dritte Phaſe der Revolution war die religiös-fanatiſche Robespierre's. Die Revolution war ein Cultus geworden und hatte ihre Altäre, ihre Dogmen, ihre Ceremonie. Dem Blut-Meſſias Robes- pierre, wie ihn Camille nannte, ſtand St. Juſt zur Seite, die Apokalypſe neben dem Evangelium. Nichts bezeichnet die drei blutigen Epochen der fran- zöſiſchen Revolution beſſer, als die Begriffe, die zu ver- ſchiedenen Zeiten über die Revolution herrſchten. Die Gironde hielt die Revolution für etwas, das man erſetzen könne, Danton für etwas, das man abſchließen könne, Robespierre für eine Offenbarung, welche ganz außer dem Bereiche des menſchlichen Willens läge, alſo für die Vorſehung und die Gottheit ſelbſt. Aber alle ſahen ſie die Revolution als etwas fertiges, abgegränztes über ihrem Haupte: die erſten als eine Laſt, die zweiten als ein Hinderniß, die dritten als eine Idee, wie die Meſſiasidee, in welche ſie ſich hinein- ſchoben, wie auch Chriſtus nichts anders that, als eine Vor- ſtellung ſeiner Nation adoptiren und ſich ſelbſt zum Subſtrat und Subject einer Thatſache machen. Eine Idee despotiſirte hier die Menſchen, die Menſchen waren nur Beamte eines Begriffes. Alle beriefen ſich auf die Revolution, wie auf eine unſichtbare Gottheit, die ſie doch wahrlich in Händen hatten, wie einen Hut, der mein iſt! Georg Büchners Auffaſſung der franzöſiſchen Revolution verräth eine tiefe Kenntniß derſelben. Seine Charakteriſtiken der Tendenzen und der Perſonen ſind meiſterhaft. Seine

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/644>, abgerufen am 25.11.2024.