Die Kritik ist immer verlegen, wenn sie prüfend an die Werke des Genies herantritt. Sie, die sonst so schnelle und wortreiche Base, blickt hier scheu und wählt ängstlich in ihren Ausdrücken, um das Würdige mit Würde zu empfangen. Die Kritik kann hier nicht mehr sein, als der Kammerdiener, der die Thür des Salons öffnet und in die versammelte Menge laut des Eintretenden Namen hineinruft, das Uebrige wird das Genie selbst vollbringen. Es wird dem matten Gespräche pötzlich eine neue Wendung geben, es wird Ideen aus seinem Haupte schütteln. Das Genie bedarf keiner Empfehlung, das fühlen wir, wenn wir von Georg Büchner reden, und treten auch im Folgenden nur abseits in einen Winkel, um die Sache für sich selbst reden zu lassen.
Eine tragische Katastrophe der französischen Revolution entwickelt sich in Büchners "Danton" vor unseren Augen. Die Autorität Robespierre's ist im Steigen, und die zweite Reaction gegen die Revolution beginnt. Die erste Reaction
* Die vorstehende Kritik, aus Karl Gutzkow's Feder, ist die erste und eine der bemerkenswerthesten, welche das Werk er- fahren. Sie ist hier wortgetreu nach dem ersten Abdruck (im "Phönix", Frühlings-Zeitung für Deutschland, Nr. 162 vom 11. Juli 1835. S. 645-46) reproduzirt. F.
VII. Gutzkow über "Dantons Tod".*
Die Kritik iſt immer verlegen, wenn ſie prüfend an die Werke des Genies herantritt. Sie, die ſonſt ſo ſchnelle und wortreiche Baſe, blickt hier ſcheu und wählt ängſtlich in ihren Ausdrücken, um das Würdige mit Würde zu empfangen. Die Kritik kann hier nicht mehr ſein, als der Kammerdiener, der die Thür des Salons öffnet und in die verſammelte Menge laut des Eintretenden Namen hineinruft, das Uebrige wird das Genie ſelbſt vollbringen. Es wird dem matten Geſpräche pötzlich eine neue Wendung geben, es wird Ideen aus ſeinem Haupte ſchütteln. Das Genie bedarf keiner Empfehlung, das fühlen wir, wenn wir von Georg Büchner reden, und treten auch im Folgenden nur abſeits in einen Winkel, um die Sache für ſich ſelbſt reden zu laſſen.
Eine tragiſche Kataſtrophe der franzöſiſchen Revolution entwickelt ſich in Büchners "Danton" vor unſeren Augen. Die Autorität Robespierre's iſt im Steigen, und die zweite Reaction gegen die Revolution beginnt. Die erſte Reaction
* Die vorſtehende Kritik, aus Karl Gutzkow's Feder, iſt die erſte und eine der bemerkenswertheſten, welche das Werk er- fahren. Sie iſt hier wortgetreu nach dem erſten Abdruck (im "Phönix", Frühlings-Zeitung für Deutſchland, Nr. 162 vom 11. Juli 1835. S. 645-46) reproduzirt. F.
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VII. Gutzkow über "Dantons Tod". *
Die Kritik iſt immer verlegen, wenn ſie prüfend an die
Werke des Genies herantritt. Sie, die ſonſt ſo ſchnelle und
wortreiche Baſe, blickt hier ſcheu und wählt ängſtlich in ihren
Ausdrücken, um das Würdige mit Würde zu empfangen.
Die Kritik kann hier nicht mehr ſein, als der Kammerdiener,
der die Thür des Salons öffnet und in die verſammelte
Menge laut des Eintretenden Namen hineinruft, das Uebrige
wird das Genie ſelbſt vollbringen. Es wird dem matten
Geſpräche pötzlich eine neue Wendung geben, es wird Ideen
aus ſeinem Haupte ſchütteln. Das Genie bedarf keiner
Empfehlung, das fühlen wir, wenn wir von Georg Büchner
reden, und treten auch im Folgenden nur abſeits in einen
Winkel, um die Sache für ſich ſelbſt reden zu laſſen.
Eine tragiſche Kataſtrophe der franzöſiſchen Revolution
entwickelt ſich in Büchners "Danton" vor unſeren Augen.
Die Autorität Robespierre's iſt im Steigen, und die zweite
Reaction gegen die Revolution beginnt. Die erſte Reaction
* Die vorſtehende Kritik, aus Karl Gutzkow's Feder, iſt
die erſte und eine der bemerkenswertheſten, welche das Werk er-
fahren. Sie iſt hier wortgetreu nach dem erſten Abdruck (im
"Phönix", Frühlings-Zeitung für Deutſchland, Nr. 162 vom 11. Juli
1835. S. 645-46) reproduzirt. F.
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. [446]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/642>, abgerufen am 25.11.2024.
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