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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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In dieser Zeit, so wetterschwül und bang,
Die noch im Ohr der Kindheit Glockenklang,
Und mit der Hand schon nach dem Schwerte zittert,
Zur Hälfte todt, zur Hälfte neugeboren,
Gleich einer Pflanze, die den Frühling wittert
Und ihre alten Blätter nicht verloren.
Er hätte -- aber gönnt ihm seine Ruh'!
Die Augen fielen einem Müden zu;
Doch hat er, funkelnd in Begeisterung,
Vom Himmelslichte trunken, sie geschlossen,
Der Dichtung Quelle hat sich voll und jung
Noch in den stillen Ocean ergossen.
Und eine Braut nahm ihn der andern ab;
Vor der verhaucht' er friedlich sanft sein Leben,
Die Freiheit trug den Jünger in das Grab,
Und legt sich bis zum jüngsten Tag daneben.
Auch nicht allein ist er dahingegangen,
Zwei Pfeiler unsrer Kirche stürzten ein;
Erst als den freisten Mann die Gruft empfangen,
Senkt man auch Büchner in den Todtenschrein.
Büchner und Börne, -- deutsche Dioskuren,
Weh', daß der Lorbeer nicht auf deutschen Fluren
Für solch geweihte Häupter wachsen darf!
Der Wind im Norden weht noch rauh und scharf,
Der Lorbeer will im Treibhaus nur gedeihen,
Ein freier Mann holt sich ihn aus dem Freien!
-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

O bleibe, Freund, bei deinem Danton liegen!
's ist besser, als mit unsern Adlern fliegen. --
Der Frühling kommt, da will ich Blumen brechen
Auf deinem Grab und zu den Deutschen sprechen:
"Kein Held noch, noch kein Ziska oder Tell?
Und Eure Trommel noch das alte Fell?"

Zürich, im Februar 1841



In dieſer Zeit, ſo wetterſchwül und bang,
Die noch im Ohr der Kindheit Glockenklang,
Und mit der Hand ſchon nach dem Schwerte zittert,
Zur Hälfte todt, zur Hälfte neugeboren,
Gleich einer Pflanze, die den Frühling wittert
Und ihre alten Blätter nicht verloren.
Er hätte — aber gönnt ihm ſeine Ruh'!
Die Augen fielen einem Müden zu;
Doch hat er, funkelnd in Begeiſterung,
Vom Himmelslichte trunken, ſie geſchloſſen,
Der Dichtung Quelle hat ſich voll und jung
Noch in den ſtillen Ocean ergoſſen.
Und eine Braut nahm ihn der andern ab;
Vor der verhaucht' er friedlich ſanft ſein Leben,
Die Freiheit trug den Jünger in das Grab,
Und legt ſich bis zum jüngſten Tag daneben.
Auch nicht allein iſt er dahingegangen,
Zwei Pfeiler unſrer Kirche ſtürzten ein;
Erſt als den freiſten Mann die Gruft empfangen,
Senkt man auch Büchner in den Todtenſchrein.
Büchner und Börne, — deutſche Dioskuren,
Weh', daß der Lorbeer nicht auf deutſchen Fluren
Für ſolch geweihte Häupter wachſen darf!
Der Wind im Norden weht noch rauh und ſcharf,
Der Lorbeer will im Treibhaus nur gedeihen,
Ein freier Mann holt ſich ihn aus dem Freien!
— — — — — — — — — — — — — —

O bleibe, Freund, bei deinem Danton liegen!
's iſt beſſer, als mit unſern Adlern fliegen. —
Der Frühling kommt, da will ich Blumen brechen
Auf deinem Grab und zu den Deutſchen ſprechen:
"Kein Held noch, noch kein Ziska oder Tell?
Und Eure Trommel noch das alte Fell?"

Zürich, im Februar 1841



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[442/0638] In dieſer Zeit, ſo wetterſchwül und bang, Die noch im Ohr der Kindheit Glockenklang, Und mit der Hand ſchon nach dem Schwerte zittert, Zur Hälfte todt, zur Hälfte neugeboren, Gleich einer Pflanze, die den Frühling wittert Und ihre alten Blätter nicht verloren. Er hätte — aber gönnt ihm ſeine Ruh'! Die Augen fielen einem Müden zu; Doch hat er, funkelnd in Begeiſterung, Vom Himmelslichte trunken, ſie geſchloſſen, Der Dichtung Quelle hat ſich voll und jung Noch in den ſtillen Ocean ergoſſen. Und eine Braut nahm ihn der andern ab; Vor der verhaucht' er friedlich ſanft ſein Leben, Die Freiheit trug den Jünger in das Grab, Und legt ſich bis zum jüngſten Tag daneben. Auch nicht allein iſt er dahingegangen, Zwei Pfeiler unſrer Kirche ſtürzten ein; Erſt als den freiſten Mann die Gruft empfangen, Senkt man auch Büchner in den Todtenſchrein. Büchner und Börne, — deutſche Dioskuren, Weh', daß der Lorbeer nicht auf deutſchen Fluren Für ſolch geweihte Häupter wachſen darf! Der Wind im Norden weht noch rauh und ſcharf, Der Lorbeer will im Treibhaus nur gedeihen, Ein freier Mann holt ſich ihn aus dem Freien! — — — — — — — — — — — — — — O bleibe, Freund, bei deinem Danton liegen! 's iſt beſſer, als mit unſern Adlern fliegen. — Der Frühling kommt, da will ich Blumen brechen Auf deinem Grab und zu den Deutſchen ſprechen: "Kein Held noch, noch kein Ziska oder Tell? Und Eure Trommel noch das alte Fell?" Zürich, im Februar 1841

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/638>, abgerufen am 25.11.2024.