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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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than. Er hatte dabei durchaus keinen ausschließlichen Haß
gegen die Großherzoglich Hessische Regierung; er meinte im
Gegentheil, daß sie eine der besten sei. Er haßte weder die
Fürsten, noch die Staatsdiener, sondern nur das monarchische
Princip, welches er für die Ursache alles Elends hielt. --
Mit der von ihm geschriebenen Flugschrift wollte er vor der
Hand nur die Stimmung des Volkes und der deutschen
Revolutionäre erforschen. Als er später hörte, daß die
Bauern die meisten gefundenen Flugschriften auf die Polizei
abgeliefert hätten, als er vernahm, daß sich auch die Patrioten
gegen seine Flugschrift ausgesprochen, gab er alle seine politischen
Hoffnungen in Bezug auf ein Anderswerden auf. Er glaubte
nicht, daß durch die constitutionelle, landständische Opposition
ein wahrhaft freier Zustand in Deutschland herbeigeführt
werden könne. Sollte es diesen Leuten gelingen, sagte er
oft, die deutschen Regierungen zu stürzen und eine allgemeine
Monarchie oder auch Republik einzuführen, so bekommen wir
hier einen Geldaristokratismus wie in Frankreich, und lieber
soll es bleiben, wie es jetzt ist. Um nun auf die Frage
selbst zurückzukommen, muß ich noch bemerken, daß Büchner
und seine Freunde in Gießen die Absicht hatten, wenn der
Versuch mit dieser ersten Flugschrift gelinge, dahin zu wirken,
daß auch in anderen Ländern ähnliche Schriften verfaßt
würden. Dies ist aber nicht geschehen, da der Versuch so
ungünstig ausgefallen war.

Frage. "Theilte Weidig diese Ansichten Büchner's?"

Antwort. Zum Theil; doch stimmte er in Manchem
mit Büchner überein. So erinnere ich mich, daß Büchner
einst Streit über Wahlcensus mit ihm hatte. Büchner meinte,
in einer gerechten Republik, wie in den meisten nordamerika-

than. Er hatte dabei durchaus keinen ausſchließlichen Haß
gegen die Großherzoglich Heſſiſche Regierung; er meinte im
Gegentheil, daß ſie eine der beſten ſei. Er haßte weder die
Fürſten, noch die Staatsdiener, ſondern nur das monarchiſche
Princip, welches er für die Urſache alles Elends hielt. —
Mit der von ihm geſchriebenen Flugſchrift wollte er vor der
Hand nur die Stimmung des Volkes und der deutſchen
Revolutionäre erforſchen. Als er ſpäter hörte, daß die
Bauern die meiſten gefundenen Flugſchriften auf die Polizei
abgeliefert hätten, als er vernahm, daß ſich auch die Patrioten
gegen ſeine Flugſchrift ausgeſprochen, gab er alle ſeine politiſchen
Hoffnungen in Bezug auf ein Anderswerden auf. Er glaubte
nicht, daß durch die conſtitutionelle, landſtändiſche Oppoſition
ein wahrhaft freier Zuſtand in Deutſchland herbeigeführt
werden könne. Sollte es dieſen Leuten gelingen, ſagte er
oft, die deutſchen Regierungen zu ſtürzen und eine allgemeine
Monarchie oder auch Republik einzuführen, ſo bekommen wir
hier einen Geldariſtokratismus wie in Frankreich, und lieber
ſoll es bleiben, wie es jetzt iſt. Um nun auf die Frage
ſelbſt zurückzukommen, muß ich noch bemerken, daß Büchner
und ſeine Freunde in Gießen die Abſicht hatten, wenn der
Verſuch mit dieſer erſten Flugſchrift gelinge, dahin zu wirken,
daß auch in anderen Ländern ähnliche Schriften verfaßt
würden. Dies iſt aber nicht geſchehen, da der Verſuch ſo
ungünſtig ausgefallen war.

Frage. "Theilte Weidig dieſe Anſichten Büchner's?"

Antwort. Zum Theil; doch ſtimmte er in Manchem
mit Büchner überein. So erinnere ich mich, daß Büchner
einſt Streit über Wahlcenſus mit ihm hatte. Büchner meinte,
in einer gerechten Republik, wie in den meiſten nordamerika-

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[416/0612] than. Er hatte dabei durchaus keinen ausſchließlichen Haß gegen die Großherzoglich Heſſiſche Regierung; er meinte im Gegentheil, daß ſie eine der beſten ſei. Er haßte weder die Fürſten, noch die Staatsdiener, ſondern nur das monarchiſche Princip, welches er für die Urſache alles Elends hielt. — Mit der von ihm geſchriebenen Flugſchrift wollte er vor der Hand nur die Stimmung des Volkes und der deutſchen Revolutionäre erforſchen. Als er ſpäter hörte, daß die Bauern die meiſten gefundenen Flugſchriften auf die Polizei abgeliefert hätten, als er vernahm, daß ſich auch die Patrioten gegen ſeine Flugſchrift ausgeſprochen, gab er alle ſeine politiſchen Hoffnungen in Bezug auf ein Anderswerden auf. Er glaubte nicht, daß durch die conſtitutionelle, landſtändiſche Oppoſition ein wahrhaft freier Zuſtand in Deutſchland herbeigeführt werden könne. Sollte es dieſen Leuten gelingen, ſagte er oft, die deutſchen Regierungen zu ſtürzen und eine allgemeine Monarchie oder auch Republik einzuführen, ſo bekommen wir hier einen Geldariſtokratismus wie in Frankreich, und lieber ſoll es bleiben, wie es jetzt iſt. Um nun auf die Frage ſelbſt zurückzukommen, muß ich noch bemerken, daß Büchner und ſeine Freunde in Gießen die Abſicht hatten, wenn der Verſuch mit dieſer erſten Flugſchrift gelinge, dahin zu wirken, daß auch in anderen Ländern ähnliche Schriften verfaßt würden. Dies iſt aber nicht geſchehen, da der Verſuch ſo ungünſtig ausgefallen war. Frage. "Theilte Weidig dieſe Anſichten Büchner's?" Antwort. Zum Theil; doch ſtimmte er in Manchem mit Büchner überein. So erinnere ich mich, daß Büchner einſt Streit über Wahlcenſus mit ihm hatte. Büchner meinte, in einer gerechten Republik, wie in den meiſten nordamerika-

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/612>, abgerufen am 24.11.2024.