Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

eine unsägliche Angst. Du schreibst gleich, doch um Himmels-
willen nicht, wenn es dich Anstrengung kostet. Du sprachst
mir von einem Heilmittel; lieb Herz, schon lange schwebt es
mir auf der Zunge. Ich liebte aber so unser stilles Ge-
heimniß, -- doch sage deinem Vater Alles, -- doch zwei
Bedingungen: Schweigen, selbst bei den nächsten Ver-
wandten. Ich mag nicht hinter jedem Kusse die Kochtöpfe
rasseln hören und bei den verschiedenen Tanten das Familien-
vatersgesicht ziehen. Dann: nicht eher an meine Eltern zu
schreiben, als bis ich selbst geschrieben. Ich überlasse dir
Alles, thue, was dich beruhigen kann. Was kann ich sagen,
als daß ich dich liebe; was versprechen, als was in dem
Worte Liebe schon liegt, Treue? Aber die sogenannte Ver-
sorgung? Student noch zwei Jahre; die gewisse Aussicht
auf ein stürmisches Leben, vielleicht bald auf fremdem Boden!

Zum Schlusse trete ich zu dir und singe dir einen alten
Wiegengesang:

War nicht umsonst so still und schwach,
Verlass'ne Liebe trug sie nach.
In ihrer kleinen Kammer hoch
Sie stets an der Erinnerung sog;
An ihrem Brodschrank an der Wand
Er immer, immer vor ihr stand,
Und wenn ein Schlaf sie übernahm,
Er immer, immer wieder kam.

Und dann:

Denn immer, immer, immer doch
Schwebt ihr das Bild an Wänden noch
Von einem Menschen, welcher kam
Und ihr als Kind das Herze nahm.
Fast ausgelöscht ist sein Gesicht,
Doch seiner Worte Kraft noch nicht,

eine unſägliche Angſt. Du ſchreibſt gleich, doch um Himmels-
willen nicht, wenn es dich Anſtrengung koſtet. Du ſprachſt
mir von einem Heilmittel; lieb Herz, ſchon lange ſchwebt es
mir auf der Zunge. Ich liebte aber ſo unſer ſtilles Ge-
heimniß, — doch ſage deinem Vater Alles, — doch zwei
Bedingungen: Schweigen, ſelbſt bei den nächſten Ver-
wandten. Ich mag nicht hinter jedem Kuſſe die Kochtöpfe
raſſeln hören und bei den verſchiedenen Tanten das Familien-
vatersgeſicht ziehen. Dann: nicht eher an meine Eltern zu
ſchreiben, als bis ich ſelbſt geſchrieben. Ich überlaſſe dir
Alles, thue, was dich beruhigen kann. Was kann ich ſagen,
als daß ich dich liebe; was verſprechen, als was in dem
Worte Liebe ſchon liegt, Treue? Aber die ſogenannte Ver-
ſorgung? Student noch zwei Jahre; die gewiſſe Ausſicht
auf ein ſtürmiſches Leben, vielleicht bald auf fremdem Boden!

Zum Schluſſe trete ich zu dir und ſinge dir einen alten
Wiegengeſang:

War nicht umſonſt ſo ſtill und ſchwach,
Verlaſſ'ne Liebe trug ſie nach.
In ihrer kleinen Kammer hoch
Sie ſtets an der Erinnerung ſog;
An ihrem Brodſchrank an der Wand
Er immer, immer vor ihr ſtand,
Und wenn ein Schlaf ſie übernahm,
Er immer, immer wieder kam.

Und dann:

Denn immer, immer, immer doch
Schwebt ihr das Bild an Wänden noch
Von einem Menſchen, welcher kam
Und ihr als Kind das Herze nahm.
Faſt ausgelöſcht iſt ſein Geſicht,
Doch ſeiner Worte Kraft noch nicht,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0573" n="377"/>
eine un&#x017F;ägliche Ang&#x017F;t. Du &#x017F;chreib&#x017F;t gleich, doch um Himmels-<lb/>
willen nicht, wenn es dich An&#x017F;trengung ko&#x017F;tet. Du &#x017F;prach&#x017F;t<lb/>
mir von einem Heilmittel; lieb Herz, &#x017F;chon lange &#x017F;chwebt es<lb/>
mir auf der Zunge. Ich liebte aber &#x017F;o un&#x017F;er &#x017F;tilles Ge-<lb/>
heimniß, &#x2014; doch &#x017F;age deinem Vater Alles, &#x2014; doch zwei<lb/>
Bedingungen: <hi rendition="#g">Schweigen</hi>, &#x017F;elb&#x017F;t bei den näch&#x017F;ten Ver-<lb/>
wandten. Ich mag nicht hinter jedem Ku&#x017F;&#x017F;e die Kochtöpfe<lb/>
ra&#x017F;&#x017F;eln hören und bei den ver&#x017F;chiedenen Tanten das Familien-<lb/>
vatersge&#x017F;icht ziehen. Dann: nicht eher an meine Eltern zu<lb/>
&#x017F;chreiben, als bis ich &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;chrieben. Ich überla&#x017F;&#x017F;e dir<lb/>
Alles, thue, was dich beruhigen kann. Was kann ich &#x017F;agen,<lb/>
als daß ich dich liebe; was ver&#x017F;prechen, als was in dem<lb/>
Worte Liebe &#x017F;chon liegt, Treue? Aber die &#x017F;ogenannte Ver-<lb/>
&#x017F;orgung? Student noch zwei Jahre; die gewi&#x017F;&#x017F;e Aus&#x017F;icht<lb/>
auf ein &#x017F;türmi&#x017F;ches Leben, vielleicht bald auf fremdem Boden!</p><lb/>
            <p>Zum Schlu&#x017F;&#x017F;e trete ich zu dir und &#x017F;inge dir einen alten<lb/>
Wiegenge&#x017F;ang:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>War nicht um&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;till und &#x017F;chwach,</l><lb/>
              <l>Verla&#x017F;&#x017F;'ne Liebe trug &#x017F;ie nach.</l><lb/>
              <l>In ihrer kleinen Kammer hoch</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;tets an der Erinnerung &#x017F;og;</l><lb/>
              <l>An ihrem Brod&#x017F;chrank an der Wand</l><lb/>
              <l>Er immer, immer vor ihr &#x017F;tand,</l><lb/>
              <l>Und wenn ein Schlaf &#x017F;ie übernahm,</l><lb/>
              <l>Er immer, immer wieder kam.</l>
            </lg><lb/>
            <p>Und dann:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Denn immer, immer, immer doch</l><lb/>
              <l>Schwebt ihr das Bild an Wänden noch</l><lb/>
              <l>Von einem Men&#x017F;chen, welcher kam</l><lb/>
              <l>Und ihr als Kind das Herze nahm.</l><lb/>
              <l>Fa&#x017F;t ausgelö&#x017F;cht i&#x017F;t &#x017F;ein Ge&#x017F;icht,</l><lb/>
              <l>Doch &#x017F;einer Worte Kraft noch nicht,</l><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0573] eine unſägliche Angſt. Du ſchreibſt gleich, doch um Himmels- willen nicht, wenn es dich Anſtrengung koſtet. Du ſprachſt mir von einem Heilmittel; lieb Herz, ſchon lange ſchwebt es mir auf der Zunge. Ich liebte aber ſo unſer ſtilles Ge- heimniß, — doch ſage deinem Vater Alles, — doch zwei Bedingungen: Schweigen, ſelbſt bei den nächſten Ver- wandten. Ich mag nicht hinter jedem Kuſſe die Kochtöpfe raſſeln hören und bei den verſchiedenen Tanten das Familien- vatersgeſicht ziehen. Dann: nicht eher an meine Eltern zu ſchreiben, als bis ich ſelbſt geſchrieben. Ich überlaſſe dir Alles, thue, was dich beruhigen kann. Was kann ich ſagen, als daß ich dich liebe; was verſprechen, als was in dem Worte Liebe ſchon liegt, Treue? Aber die ſogenannte Ver- ſorgung? Student noch zwei Jahre; die gewiſſe Ausſicht auf ein ſtürmiſches Leben, vielleicht bald auf fremdem Boden! Zum Schluſſe trete ich zu dir und ſinge dir einen alten Wiegengeſang: War nicht umſonſt ſo ſtill und ſchwach, Verlaſſ'ne Liebe trug ſie nach. In ihrer kleinen Kammer hoch Sie ſtets an der Erinnerung ſog; An ihrem Brodſchrank an der Wand Er immer, immer vor ihr ſtand, Und wenn ein Schlaf ſie übernahm, Er immer, immer wieder kam. Und dann: Denn immer, immer, immer doch Schwebt ihr das Bild an Wänden noch Von einem Menſchen, welcher kam Und ihr als Kind das Herze nahm. Faſt ausgelöſcht iſt ſein Geſicht, Doch ſeiner Worte Kraft noch nicht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/573
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/573>, abgerufen am 22.11.2024.