Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Versammlung hergefallen sei und ohne Unterschied mehrere
Personen niedergemacht habe. Aehnliche Dinge sollen sich im
übrigen Rheinbayern zugetragen haben. Die liberale Partei
kann sich darüber grade nicht beklagen; man vergilt Gleiches
mit Gleichem, Gewalt mit Gewalt. Es wird sich finden,
wer der Stärkere ist. -- Wenn Ihr neulich bei hellem
Wetter bis auf das Münster hättet sehen können, so hättet
Ihr mich bei einem langhaarigen, bärtigen, jungen Mann
sitzend gefunden. Besagter hatte ein rothes Barett auf dem
Kopf, um den Hals einen Cashmir-Shawl, um den Cadaver
einen kurzen deutschen Rock, auf die Weste war der Name
"Rousseau" gestickt, an den Beinen enge Hosen mit Stegen,
in der Hand ein modisches Stöckchen. Ihr seht, die Carri-
catur ist aus mehreren Jahrhunderten und Welttheilen zu-
sammengesetzt: Asien um den Hals, Deutschland um den
Leib, Frankreich an den Beinen, 1400 auf dem Kopf und
1833 in der Hand. Er ist ein Kosmopolit -- nein, er ist
mehr, er ist St. Simonist! Ihr denkt nun, ich hätte
mit einem Narren gesprochen, und Ihr irrt. Es ist ein
liebenswürdiger junger Mann, viel gereist. -- Ohne sein
fatales Costüm hätte ich nie den St. Simonisten verspürt,
wenn er nicht von der femme in Deutschland gesprochen
hätte. Bei den Simonisten sind Mann und Frau gleich, sie
haben gleiche politische Rechte. Sie haben nun ihren
pere, der ist St. Simon, ihr Stifter; aber billigerweise
müßten sie auch eine mere haben. Die ist aber noch zu
suchen, und da haben sie sich denn auf den Weg gemacht,
wie Saul nach seines Vaters Eseln, mit dem Unterschied,
daß -- denn im neunzehnten Jahrhundert ist die Welt gar
weit vorangeschritten -- daß die Esel diesmal den Saul

Verſammlung hergefallen ſei und ohne Unterſchied mehrere
Perſonen niedergemacht habe. Aehnliche Dinge ſollen ſich im
übrigen Rheinbayern zugetragen haben. Die liberale Partei
kann ſich darüber grade nicht beklagen; man vergilt Gleiches
mit Gleichem, Gewalt mit Gewalt. Es wird ſich finden,
wer der Stärkere iſt. — Wenn Ihr neulich bei hellem
Wetter bis auf das Münſter hättet ſehen können, ſo hättet
Ihr mich bei einem langhaarigen, bärtigen, jungen Mann
ſitzend gefunden. Beſagter hatte ein rothes Barett auf dem
Kopf, um den Hals einen Caſhmir-Shawl, um den Cadaver
einen kurzen deutſchen Rock, auf die Weſte war der Name
"Rouſſeau" geſtickt, an den Beinen enge Hoſen mit Stegen,
in der Hand ein modiſches Stöckchen. Ihr ſeht, die Carri-
catur iſt aus mehreren Jahrhunderten und Welttheilen zu-
ſammengeſetzt: Aſien um den Hals, Deutſchland um den
Leib, Frankreich an den Beinen, 1400 auf dem Kopf und
1833 in der Hand. Er iſt ein Kosmopolit — nein, er iſt
mehr, er iſt St. Simoniſt! Ihr denkt nun, ich hätte
mit einem Narren geſprochen, und Ihr irrt. Es iſt ein
liebenswürdiger junger Mann, viel gereiſt. — Ohne ſein
fatales Coſtüm hätte ich nie den St. Simoniſten verſpürt,
wenn er nicht von der femme in Deutſchland geſprochen
hätte. Bei den Simoniſten ſind Mann und Frau gleich, ſie
haben gleiche politiſche Rechte. Sie haben nun ihren
père, der iſt St. Simon, ihr Stifter; aber billigerweiſe
müßten ſie auch eine mère haben. Die iſt aber noch zu
ſuchen, und da haben ſie ſich denn auf den Weg gemacht,
wie Saul nach ſeines Vaters Eſeln, mit dem Unterſchied,
daß — denn im neunzehnten Jahrhundert iſt die Welt gar
weit vorangeſchritten — daß die Eſel diesmal den Saul

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0526" n="330"/>
Ver&#x017F;ammlung hergefallen &#x017F;ei und ohne Unter&#x017F;chied mehrere<lb/>
Per&#x017F;onen niedergemacht habe. Aehnliche Dinge &#x017F;ollen &#x017F;ich im<lb/>
übrigen Rheinbayern zugetragen haben. Die liberale Partei<lb/>
kann &#x017F;ich darüber grade nicht beklagen; man vergilt Gleiches<lb/>
mit Gleichem, Gewalt mit Gewalt. Es wird &#x017F;ich finden,<lb/>
wer der Stärkere i&#x017F;t. &#x2014; Wenn Ihr neulich bei hellem<lb/>
Wetter bis auf das Mün&#x017F;ter hättet &#x017F;ehen können, &#x017F;o hättet<lb/>
Ihr mich bei einem langhaarigen, bärtigen, jungen Mann<lb/>
&#x017F;itzend gefunden. Be&#x017F;agter hatte ein rothes Barett auf dem<lb/>
Kopf, um den Hals einen Ca&#x017F;hmir-Shawl, um den Cadaver<lb/>
einen kurzen deut&#x017F;chen Rock, auf die We&#x017F;te war der Name<lb/>
"Rou&#x017F;&#x017F;eau" ge&#x017F;tickt, an den Beinen enge Ho&#x017F;en mit Stegen,<lb/>
in der Hand ein modi&#x017F;ches Stöckchen. Ihr &#x017F;eht, die Carri-<lb/>
catur i&#x017F;t aus mehreren Jahrhunderten und Welttheilen zu-<lb/>
&#x017F;ammenge&#x017F;etzt: A&#x017F;ien um den Hals, Deut&#x017F;chland um den<lb/>
Leib, Frankreich an den Beinen, 1400 auf dem Kopf und<lb/>
1833 in der Hand. Er i&#x017F;t ein Kosmopolit &#x2014; nein, er i&#x017F;t<lb/>
mehr, er i&#x017F;t <hi rendition="#g">St</hi>. <hi rendition="#g">Simoni&#x017F;t</hi>! Ihr denkt nun, ich hätte<lb/>
mit einem Narren ge&#x017F;prochen, und Ihr irrt. Es i&#x017F;t ein<lb/>
liebenswürdiger junger Mann, viel gerei&#x017F;t. &#x2014; Ohne &#x017F;ein<lb/>
fatales Co&#x017F;tüm hätte ich nie den St. Simoni&#x017F;ten ver&#x017F;pürt,<lb/>
wenn er nicht von der <hi rendition="#aq">femme</hi> in Deut&#x017F;chland ge&#x017F;prochen<lb/>
hätte. Bei den Simoni&#x017F;ten &#x017F;ind Mann und Frau gleich, &#x017F;ie<lb/>
haben gleiche <hi rendition="#g">politi&#x017F;che</hi> Rechte. Sie haben nun ihren<lb/><hi rendition="#aq">père,</hi> der i&#x017F;t <hi rendition="#g">St</hi>. <hi rendition="#g">Simon</hi>, ihr Stifter; aber billigerwei&#x017F;e<lb/>
müßten &#x017F;ie auch eine <hi rendition="#aq">mère</hi> haben. Die i&#x017F;t aber noch zu<lb/>
&#x017F;uchen, und da haben &#x017F;ie &#x017F;ich denn auf den Weg gemacht,<lb/>
wie Saul nach &#x017F;eines Vaters E&#x017F;eln, mit dem Unter&#x017F;chied,<lb/>
daß &#x2014; denn im neunzehnten Jahrhundert i&#x017F;t die Welt gar<lb/>
weit vorange&#x017F;chritten &#x2014; daß die E&#x017F;el diesmal den Saul<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0526] Verſammlung hergefallen ſei und ohne Unterſchied mehrere Perſonen niedergemacht habe. Aehnliche Dinge ſollen ſich im übrigen Rheinbayern zugetragen haben. Die liberale Partei kann ſich darüber grade nicht beklagen; man vergilt Gleiches mit Gleichem, Gewalt mit Gewalt. Es wird ſich finden, wer der Stärkere iſt. — Wenn Ihr neulich bei hellem Wetter bis auf das Münſter hättet ſehen können, ſo hättet Ihr mich bei einem langhaarigen, bärtigen, jungen Mann ſitzend gefunden. Beſagter hatte ein rothes Barett auf dem Kopf, um den Hals einen Caſhmir-Shawl, um den Cadaver einen kurzen deutſchen Rock, auf die Weſte war der Name "Rouſſeau" geſtickt, an den Beinen enge Hoſen mit Stegen, in der Hand ein modiſches Stöckchen. Ihr ſeht, die Carri- catur iſt aus mehreren Jahrhunderten und Welttheilen zu- ſammengeſetzt: Aſien um den Hals, Deutſchland um den Leib, Frankreich an den Beinen, 1400 auf dem Kopf und 1833 in der Hand. Er iſt ein Kosmopolit — nein, er iſt mehr, er iſt St. Simoniſt! Ihr denkt nun, ich hätte mit einem Narren geſprochen, und Ihr irrt. Es iſt ein liebenswürdiger junger Mann, viel gereiſt. — Ohne ſein fatales Coſtüm hätte ich nie den St. Simoniſten verſpürt, wenn er nicht von der femme in Deutſchland geſprochen hätte. Bei den Simoniſten ſind Mann und Frau gleich, ſie haben gleiche politiſche Rechte. Sie haben nun ihren père, der iſt St. Simon, ihr Stifter; aber billigerweiſe müßten ſie auch eine mère haben. Die iſt aber noch zu ſuchen, und da haben ſie ſich denn auf den Weg gemacht, wie Saul nach ſeines Vaters Eſeln, mit dem Unterſchied, daß — denn im neunzehnten Jahrhundert iſt die Welt gar weit vorangeſchritten — daß die Eſel diesmal den Saul

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/526
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/526>, abgerufen am 24.11.2024.