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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Sache von der sinnlichen Seite zu nehmen) nicht von ein-
ander unterscheiden können, wir können aber dennoch wissen,
daß es zwei sind, wenn wir beide zugleich sehen. -- Da bis
jetzt über das Wesen der Substanz nichts weiter gesagt ist,
als daß eine Substanz durch sich selbst begriffen werde, so
sehe ich nicht ein, warum der Umstand, daß zwei Substanzen
von gleicher Natur nicht unterschieden werden können, zu dem
Schlusse berechtigt, daß überhaupt das Dasein derselben un-
möglich sei. Spinoza verwechselt das Unterscheiden und das
Sich denken können. Nach den vorgehenden Sätzen
können wir uns noch immer zwei Substanzen von gleicher
Natur, und deren jede durch sich selbst begriffen wird, als
nebeneinander existirend denken.

(Hiezu folgende spätere Randnote von Büchners Hand:)

Diese Anmerkung würde passen, wenn von Dingen und
Affectionen der Substanz die Rede wäre, es bezieht sich hier
aber Alles auf die Substanz allein. Immerhin beweist jedoch
Spinoza's Satz nur, daß wir zwei Substanzen von gleichen
Attributen nicht von einander unterscheiden, aber keineswegs,
daß sie nicht neben einander bestehen können; diese Unmög-
lichkeit ist durch nichts bewiesen.



Der elfte Lehrsatz des Spinoza lautet:

"Gott oder die aus unendlichen Attributen, deren jedes
eine einige und unendliche Wesenheit ausdrückt, bestehende
Substanz, existirt nothwendig."

Dies beweist Spinoza so:

"Wer dies leugnet, der stelle sich, wenn er kann, vor,
Gott existire nicht. Also schließt dann sein Wesen die

Sache von der ſinnlichen Seite zu nehmen) nicht von ein-
ander unterſcheiden können, wir können aber dennoch wiſſen,
daß es zwei ſind, wenn wir beide zugleich ſehen. — Da bis
jetzt über das Weſen der Subſtanz nichts weiter geſagt iſt,
als daß eine Subſtanz durch ſich ſelbſt begriffen werde, ſo
ſehe ich nicht ein, warum der Umſtand, daß zwei Subſtanzen
von gleicher Natur nicht unterſchieden werden können, zu dem
Schluſſe berechtigt, daß überhaupt das Daſein derſelben un-
möglich ſei. Spinoza verwechſelt das Unterſcheiden und das
Sich denken können. Nach den vorgehenden Sätzen
können wir uns noch immer zwei Subſtanzen von gleicher
Natur, und deren jede durch ſich ſelbſt begriffen wird, als
nebeneinander exiſtirend denken.

(Hiezu folgende ſpätere Randnote von Büchners Hand:)

Dieſe Anmerkung würde paſſen, wenn von Dingen und
Affectionen der Subſtanz die Rede wäre, es bezieht ſich hier
aber Alles auf die Subſtanz allein. Immerhin beweiſt jedoch
Spinoza's Satz nur, daß wir zwei Subſtanzen von gleichen
Attributen nicht von einander unterſcheiden, aber keineswegs,
daß ſie nicht neben einander beſtehen können; dieſe Unmög-
lichkeit iſt durch nichts bewieſen.



Der elfte Lehrſatz des Spinoza lautet:

"Gott oder die aus unendlichen Attributen, deren jedes
eine einige und unendliche Weſenheit ausdrückt, beſtehende
Subſtanz, exiſtirt nothwendig."

Dies beweiſt Spinoza ſo:

"Wer dies leugnet, der ſtelle ſich, wenn er kann, vor,
Gott exiſtire nicht. Alſo ſchließt dann ſein Weſen die

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[308/0504] Sache von der ſinnlichen Seite zu nehmen) nicht von ein- ander unterſcheiden können, wir können aber dennoch wiſſen, daß es zwei ſind, wenn wir beide zugleich ſehen. — Da bis jetzt über das Weſen der Subſtanz nichts weiter geſagt iſt, als daß eine Subſtanz durch ſich ſelbſt begriffen werde, ſo ſehe ich nicht ein, warum der Umſtand, daß zwei Subſtanzen von gleicher Natur nicht unterſchieden werden können, zu dem Schluſſe berechtigt, daß überhaupt das Daſein derſelben un- möglich ſei. Spinoza verwechſelt das Unterſcheiden und das Sich denken können. Nach den vorgehenden Sätzen können wir uns noch immer zwei Subſtanzen von gleicher Natur, und deren jede durch ſich ſelbſt begriffen wird, als nebeneinander exiſtirend denken. (Hiezu folgende ſpätere Randnote von Büchners Hand:) Dieſe Anmerkung würde paſſen, wenn von Dingen und Affectionen der Subſtanz die Rede wäre, es bezieht ſich hier aber Alles auf die Subſtanz allein. Immerhin beweiſt jedoch Spinoza's Satz nur, daß wir zwei Subſtanzen von gleichen Attributen nicht von einander unterſcheiden, aber keineswegs, daß ſie nicht neben einander beſtehen können; dieſe Unmög- lichkeit iſt durch nichts bewieſen. Der elfte Lehrſatz des Spinoza lautet: "Gott oder die aus unendlichen Attributen, deren jedes eine einige und unendliche Weſenheit ausdrückt, beſtehende Subſtanz, exiſtirt nothwendig." Dies beweiſt Spinoza ſo: "Wer dies leugnet, der ſtelle ſich, wenn er kann, vor, Gott exiſtire nicht. Alſo ſchließt dann ſein Weſen die

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/504>, abgerufen am 24.11.2024.