demselben betrifft nicht den Grad, sondern nur die Art und Weise des Vergnügens.
Daher hat auch Epikur eine andere Formel für das höchste Gut, nämlich "keinen Schmerz empfinden".
An sich ist kein Unterschied zwischen den verschiedenen Empfindungen, nur das, was auf sie folgt und sie begleitet, macht einen Unterschied. Das Geschäft der Vernunft ist es, zu wählen und die große Summe des Angenehmen zusammen zu setzen; hierin ist der Entstehungs- grund der Tugenden.
Die Tugend ist ein Mittel zur Glückseligkeit. Sie hat keinen Werth an sich, ohne Rücksicht auf ihre Folgen. Tugend und Glückseligkeit sind unzertrennlich mit einander verbunden. Sie wird vorzüglich durch die Klugheit begründet, welche die Natur der angenehmen und unangenehmen Empfindungen er- forscht und bestimmt, was man zu wählen, was man zu meiden hat.
Unrecht ist an sich kein Uebel, es muß nur der etwaigen Fehler wegen gemieden werden. Es gibt kein anderes Material des Rechts, sowohl in Gesetzen als Verträgen, als den Nutzen für das gesellige Leben. Hieraus geht die Veränderlichkeit des Rechts hervor, wenn nämlich ein Gesetz oder Vertrag wegen veränderter Umstände nicht mehr den beabsichtigten Nutzen verschafft.
Die Glückseligkeit ist kein Werk des bloßen Zufalls, bei welchem der Mensch sich leidend verhält, er muß sich seine Glückseligkeit selbst schaffen durch den Gebrauch seiner Vernunft. Ein Mensch, der seine Glückseligkeit sich selbst verdankt, ist eben darum auch weniger von dem Schicksal abhängig. Die Freiheit des Menschen besteht in der Unabhängigkeit von dem Einfluß zwingender Naturkräfte. ....
demſelben betrifft nicht den Grad, ſondern nur die Art und Weiſe des Vergnügens.
Daher hat auch Epikur eine andere Formel für das höchſte Gut, nämlich "keinen Schmerz empfinden".
An ſich iſt kein Unterſchied zwiſchen den verſchiedenen Empfindungen, nur das, was auf ſie folgt und ſie begleitet, macht einen Unterſchied. Das Geſchäft der Vernunft iſt es, zu wählen und die große Summe des Angenehmen zuſammen zu ſetzen; hierin iſt der Entſtehungs- grund der Tugenden.
Die Tugend iſt ein Mittel zur Glückſeligkeit. Sie hat keinen Werth an ſich, ohne Rückſicht auf ihre Folgen. Tugend und Glückſeligkeit ſind unzertrennlich mit einander verbunden. Sie wird vorzüglich durch die Klugheit begründet, welche die Natur der angenehmen und unangenehmen Empfindungen er- forſcht und beſtimmt, was man zu wählen, was man zu meiden hat.
Unrecht iſt an ſich kein Uebel, es muß nur der etwaigen Fehler wegen gemieden werden. Es gibt kein anderes Material des Rechts, ſowohl in Geſetzen als Verträgen, als den Nutzen für das geſellige Leben. Hieraus geht die Veränderlichkeit des Rechts hervor, wenn nämlich ein Geſetz oder Vertrag wegen veränderter Umſtände nicht mehr den beabſichtigten Nutzen verſchafft.
Die Glückſeligkeit iſt kein Werk des bloßen Zufalls, bei welchem der Menſch ſich leidend verhält, er muß ſich ſeine Glückſeligkeit ſelbſt ſchaffen durch den Gebrauch ſeiner Vernunft. Ein Menſch, der ſeine Glückſeligkeit ſich ſelbſt verdankt, iſt eben darum auch weniger von dem Schickſal abhängig. Die Freiheit des Menſchen beſteht in der Unabhängigkeit von dem Einfluß zwingender Naturkräfte. ....
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demſelben betrifft nicht den Grad, ſondern nur die Art und
Weiſe des Vergnügens.
Daher hat auch Epikur eine andere Formel für das
höchſte Gut, nämlich "keinen Schmerz empfinden".
An ſich iſt kein Unterſchied zwiſchen den verſchiedenen
Empfindungen, nur das, was auf ſie folgt und ſie
begleitet, macht einen Unterſchied. Das Geſchäft der
Vernunft iſt es, zu wählen und die große Summe des
Angenehmen zuſammen zu ſetzen; hierin iſt der Entſtehungs-
grund der Tugenden.
Die Tugend iſt ein Mittel zur Glückſeligkeit. Sie hat
keinen Werth an ſich, ohne Rückſicht auf ihre Folgen. Tugend
und Glückſeligkeit ſind unzertrennlich mit einander verbunden.
Sie wird vorzüglich durch die Klugheit begründet, welche die
Natur der angenehmen und unangenehmen Empfindungen er-
forſcht und beſtimmt, was man zu wählen, was man zu meiden hat.
Unrecht iſt an ſich kein Uebel, es muß nur der etwaigen
Fehler wegen gemieden werden. Es gibt kein anderes Material
des Rechts, ſowohl in Geſetzen als Verträgen, als den Nutzen
für das geſellige Leben. Hieraus geht die Veränderlichkeit des
Rechts hervor, wenn nämlich ein Geſetz oder Vertrag wegen
veränderter Umſtände nicht mehr den beabſichtigten Nutzen
verſchafft.
Die Glückſeligkeit iſt kein Werk des bloßen Zufalls, bei
welchem der Menſch ſich leidend verhält, er muß ſich ſeine
Glückſeligkeit ſelbſt ſchaffen durch den Gebrauch ſeiner Vernunft.
Ein Menſch, der ſeine Glückſeligkeit ſich ſelbſt verdankt, iſt
eben darum auch weniger von dem Schickſal abhängig. Die
Freiheit des Menſchen beſteht in der Unabhängigkeit von dem
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/502>, abgerufen am 24.11.2024.
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