Alle beseelten Wesen streben nach Vergnügen und Entfernung des Schmerzes. Darin besteht nun das höchste Gut, weil in dem Zustande des Vergnügens jedes beseelte Wesen befriedigt ist und nichts weiter begehrt.
Doch gab Epikur zu, daß es Arten des Vergnügens gebe, welche durch ihre Folgen nachtheilig sind, nur daß diese aus dem letzten Zweck des Menschen ausgeschlossen werden müßten. Uebrigens theilt Epikur das Vergnügen, so wie den Schmerz, in körperlichen und geistigen, und be- hauptet, daß Lust und Unlust des Geistes die überwiegenden seien, weil der Körper nur von dem gegenwärtigen Schmerz und Vergnügen, die Seele aber auch von dem vergangenen und künftigen afficirt werde. Eine andere und wichtige Ein- theilung ist von der Art des Vergnügens an und für sich hergenommen.
Es gibt nämlich zweierlei Arten des Vergnügens, die eine, wenn das Gemüth angenehm afficirt wird, die zweite, wenn die Seele, ohne durch angenehme oder unangenehme Gefühle bewegt zu werden, in dem Zustande der Ruhe und Zufriedenheit ist.
Epikur rechnet nun zwar beide Arten zur Glückseligkeit, doch so, daß er der zweiten einen Vorrang zugesteht. Der Zustand der Schmerzlosigkeit ist das Ziel alles Bestrebens. Wenn eine Begierde auf den höchsten Grad gestiegen ist, so daß sie Befriedigung dringend fordert, so entsteht in der Seele ein unangenehmes Gefühl; wird die Begierde gestillt, so entspringt das Vergnügen und daraus ein Zustand der Ruhe, in welchem die Seele nichts mehr begehrt, also voll- kommen beglückt ist. Dieser Zustand ist das Höchste, welches kein Vergnügen übersteigen kann. Alle Veränderung in
G. Büchner's Werke. 20
Alle beſeelten Weſen ſtreben nach Vergnügen und Entfernung des Schmerzes. Darin beſteht nun das höchſte Gut, weil in dem Zuſtande des Vergnügens jedes beſeelte Weſen befriedigt iſt und nichts weiter begehrt.
Doch gab Epikur zu, daß es Arten des Vergnügens gebe, welche durch ihre Folgen nachtheilig ſind, nur daß dieſe aus dem letzten Zweck des Menſchen ausgeſchloſſen werden müßten. Uebrigens theilt Epikur das Vergnügen, ſo wie den Schmerz, in körperlichen und geiſtigen, und be- hauptet, daß Luſt und Unluſt des Geiſtes die überwiegenden ſeien, weil der Körper nur von dem gegenwärtigen Schmerz und Vergnügen, die Seele aber auch von dem vergangenen und künftigen afficirt werde. Eine andere und wichtige Ein- theilung iſt von der Art des Vergnügens an und für ſich hergenommen.
Es gibt nämlich zweierlei Arten des Vergnügens, die eine, wenn das Gemüth angenehm afficirt wird, die zweite, wenn die Seele, ohne durch angenehme oder unangenehme Gefühle bewegt zu werden, in dem Zuſtande der Ruhe und Zufriedenheit iſt.
Epikur rechnet nun zwar beide Arten zur Glückſeligkeit, doch ſo, daß er der zweiten einen Vorrang zugeſteht. Der Zuſtand der Schmerzloſigkeit iſt das Ziel alles Beſtrebens. Wenn eine Begierde auf den höchſten Grad geſtiegen iſt, ſo daß ſie Befriedigung dringend fordert, ſo entſteht in der Seele ein unangenehmes Gefühl; wird die Begierde geſtillt, ſo entſpringt das Vergnügen und daraus ein Zuſtand der Ruhe, in welchem die Seele nichts mehr begehrt, alſo voll- kommen beglückt iſt. Dieſer Zuſtand iſt das Höchſte, welches kein Vergnügen überſteigen kann. Alle Veränderung in
G. Büchner's Werke. 20
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Alle beſeelten Weſen ſtreben nach Vergnügen und
Entfernung des Schmerzes. Darin beſteht nun das
höchſte Gut, weil in dem Zuſtande des Vergnügens jedes
beſeelte Weſen befriedigt iſt und nichts weiter begehrt.
Doch gab Epikur zu, daß es Arten des Vergnügens
gebe, welche durch ihre Folgen nachtheilig ſind, nur daß dieſe
aus dem letzten Zweck des Menſchen ausgeſchloſſen werden
müßten. Uebrigens theilt Epikur das Vergnügen, ſo wie
den Schmerz, in körperlichen und geiſtigen, und be-
hauptet, daß Luſt und Unluſt des Geiſtes die überwiegenden
ſeien, weil der Körper nur von dem gegenwärtigen Schmerz
und Vergnügen, die Seele aber auch von dem vergangenen
und künftigen afficirt werde. Eine andere und wichtige Ein-
theilung iſt von der Art des Vergnügens an und für ſich
hergenommen.
Es gibt nämlich zweierlei Arten des Vergnügens, die
eine, wenn das Gemüth angenehm afficirt wird,
die zweite, wenn die Seele, ohne durch angenehme
oder unangenehme Gefühle bewegt zu werden,
in dem Zuſtande der Ruhe und Zufriedenheit iſt.
Epikur rechnet nun zwar beide Arten zur Glückſeligkeit,
doch ſo, daß er der zweiten einen Vorrang zugeſteht. Der
Zuſtand der Schmerzloſigkeit iſt das Ziel alles Beſtrebens.
Wenn eine Begierde auf den höchſten Grad geſtiegen iſt,
ſo daß ſie Befriedigung dringend fordert, ſo entſteht in der
Seele ein unangenehmes Gefühl; wird die Begierde geſtillt,
ſo entſpringt das Vergnügen und daraus ein Zuſtand der
Ruhe, in welchem die Seele nichts mehr begehrt, alſo voll-
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G. Büchner's Werke. 20
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/501>, abgerufen am 24.11.2024.
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