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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Denn was sind diese Verfassungen in Deutschland?
Nichts als leeres Stroh, woraus die Fürsten die Körner für
sich herausgeklopft haben. Was sind unsere Landtage? Nichts
als langsame Fuhrwerke, die man einmal oder zweimal wohl
der Raubgier der Fürsten und ihrer Minister in den Weg
schieben, woraus man aber nimmermehr eine feste Burg für
deutsche Freiheit bauen kann. Was sind unsere Wahlgesetze?
Nichts als Verletzungen der Bürger- und Menschenrechte der
meisten Deutschen. Denkt an das Wahlgesetz im Großher-
zogthum, wornach keiner gewählt werden kann, der nicht hoch
begütert ist, wie rechtschaffen und gutgesinnt er auch sei, wohl
aber der Grolmann, der euch um die zwei Millionen be-
stehlen wollte. Denkt an die Verfassung des Großherzog-
thums. -- Nach den Artikeln derselben ist der Großherzog
unverletzlich, heilig und unverantwortlich. Seine Würde ist
erblich in seiner Familie, er hat das Recht Krieg zu führen
und ausschließliche Verfügung über das Militär. Er beruft
die Landstände, vertagt sie oder löst sie auf. Die Stände
dürfen keinen Gesetzesvorschlag machen, sondern sie müssen
um das Gesetz bitten und dem Gutdünken des Fürsten bleibt
es unbedingt überlassen, es zu geben oder zu verweigern.
Er bleibt im Besitze einer fast unumschränkten Gewalt, nur
darf er keine neuen Gesetze machen und keine neuen Steuern
ausschreiben ohne Zustimmung der Stände. Aber theils
kehrt er sich nicht an diese Zustimmung, theils genügen ihm
die alten Gesetze, die das Werk der Fürstengewalt sind, und
er bedarf darum keiner neuen Gesetze. Eine solche Ver-
fassung ist ein elend jämmerlich Ding. Was ist von Ständen
zu erwarten, die an eine solche Verfassung gebunden sind?
Wenn unter den Gewählten auch keine Volksverräther und

Denn was ſind dieſe Verfaſſungen in Deutſchland?
Nichts als leeres Stroh, woraus die Fürſten die Körner für
ſich herausgeklopft haben. Was ſind unſere Landtage? Nichts
als langſame Fuhrwerke, die man einmal oder zweimal wohl
der Raubgier der Fürſten und ihrer Miniſter in den Weg
ſchieben, woraus man aber nimmermehr eine feſte Burg für
deutſche Freiheit bauen kann. Was ſind unſere Wahlgeſetze?
Nichts als Verletzungen der Bürger- und Menſchenrechte der
meiſten Deutſchen. Denkt an das Wahlgeſetz im Großher-
zogthum, wornach keiner gewählt werden kann, der nicht hoch
begütert iſt, wie rechtſchaffen und gutgeſinnt er auch ſei, wohl
aber der Grolmann, der euch um die zwei Millionen be-
ſtehlen wollte. Denkt an die Verfaſſung des Großherzog-
thums. — Nach den Artikeln derſelben iſt der Großherzog
unverletzlich, heilig und unverantwortlich. Seine Würde iſt
erblich in ſeiner Familie, er hat das Recht Krieg zu führen
und ausſchließliche Verfügung über das Militär. Er beruft
die Landſtände, vertagt ſie oder löſt ſie auf. Die Stände
dürfen keinen Geſetzesvorſchlag machen, ſondern ſie müſſen
um das Geſetz bitten und dem Gutdünken des Fürſten bleibt
es unbedingt überlaſſen, es zu geben oder zu verweigern.
Er bleibt im Beſitze einer faſt unumſchränkten Gewalt, nur
darf er keine neuen Geſetze machen und keine neuen Steuern
ausſchreiben ohne Zuſtimmung der Stände. Aber theils
kehrt er ſich nicht an dieſe Zuſtimmung, theils genügen ihm
die alten Geſetze, die das Werk der Fürſtengewalt ſind, und
er bedarf darum keiner neuen Geſetze. Eine ſolche Ver-
faſſung iſt ein elend jämmerlich Ding. Was iſt von Ständen
zu erwarten, die an eine ſolche Verfaſſung gebunden ſind?
Wenn unter den Gewählten auch keine Volksverräther und

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[276/0472] Denn was ſind dieſe Verfaſſungen in Deutſchland? Nichts als leeres Stroh, woraus die Fürſten die Körner für ſich herausgeklopft haben. Was ſind unſere Landtage? Nichts als langſame Fuhrwerke, die man einmal oder zweimal wohl der Raubgier der Fürſten und ihrer Miniſter in den Weg ſchieben, woraus man aber nimmermehr eine feſte Burg für deutſche Freiheit bauen kann. Was ſind unſere Wahlgeſetze? Nichts als Verletzungen der Bürger- und Menſchenrechte der meiſten Deutſchen. Denkt an das Wahlgeſetz im Großher- zogthum, wornach keiner gewählt werden kann, der nicht hoch begütert iſt, wie rechtſchaffen und gutgeſinnt er auch ſei, wohl aber der Grolmann, der euch um die zwei Millionen be- ſtehlen wollte. Denkt an die Verfaſſung des Großherzog- thums. — Nach den Artikeln derſelben iſt der Großherzog unverletzlich, heilig und unverantwortlich. Seine Würde iſt erblich in ſeiner Familie, er hat das Recht Krieg zu führen und ausſchließliche Verfügung über das Militär. Er beruft die Landſtände, vertagt ſie oder löſt ſie auf. Die Stände dürfen keinen Geſetzesvorſchlag machen, ſondern ſie müſſen um das Geſetz bitten und dem Gutdünken des Fürſten bleibt es unbedingt überlaſſen, es zu geben oder zu verweigern. Er bleibt im Beſitze einer faſt unumſchränkten Gewalt, nur darf er keine neuen Geſetze machen und keine neuen Steuern ausſchreiben ohne Zuſtimmung der Stände. Aber theils kehrt er ſich nicht an dieſe Zuſtimmung, theils genügen ihm die alten Geſetze, die das Werk der Fürſtengewalt ſind, und er bedarf darum keiner neuen Geſetze. Eine ſolche Ver- faſſung iſt ein elend jämmerlich Ding. Was iſt von Ständen zu erwarten, die an eine ſolche Verfaſſung gebunden ſind? Wenn unter den Gewählten auch keine Volksverräther und

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/472>, abgerufen am 24.11.2024.