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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Für das Ministerium des Innern und der Gerechtig-
keitspflege werden bezahlt 1,110,607 Gulden. Dafür habt
ihr einen Wust von Gesetzen, zusammengehäuft aus will-
kürlichen Verordnungen aller Jahrhunderte, meist geschrieben
in einer fremden Sprache. Der Unsinn aller vorigen Ge-
schlechter hat sich darin auf euch vererbt, der Druck, unter
dem sie erlagen, sich auf euch fortgewälzt. Das Gesetz ist
das Eigenthum einer unbedeutenden Klasse von Vornehmen
und Gelehrten, die sich durch ihr eigenes Machwerk die
Herrschaft zuspricht. Diese Gerechtigkeit ist nur ein Mittel,
euch in Ordnung zu halten, damit man euch bequemer
schinde; sie spricht nach Gesetzen, die ihr nicht versteht, nach
Grundsätzen, von denen ihr nichts wißt, Urtheile, von denen
ihr nichts begreift. Unbestechlich ist sie, weil sie sich gerade
theuer genug bezahlen läßt, um keine Bestechung zu brauchen.
Aber die meisten ihrer Diener sind der Regierung mit Haut
und Haar verkauft. Ihre Ruhestühle stehen auf einem
Geldhaufen von 461,373 Gulden (so viel betragen die Aus-
gaben für die Gerichtshöfe und die Kriminalkosten). Die
Fräcke, Stöcke und Säbel ihrer unverletzlichen Diener sind
mit dem Silber von 197,502 Gulden beschlagen (so viel
kostet die Polizei überhaupt, die Gensdarmerie u. s. w.)
Die Justiz ist in Deutschland seit Jahrhunderten die Hure
der deutschen Fürsten. Jeden Schritt zu ihr müßt ihr mit
Silber pflastern, und mit Armuth und Erniedrigung erkauft
ihr ihre Sprüche. Denkt an das Stempelpapier, denkt an
euer Bücken in den Amtsstuben und euer Wachestehen vor
denselben. Denkt an die Sporteln für Schreiber und Ge-
richtsdiener. Ihr dürft euern Nachbar verklagen, der euch
eine Kartoffel stiehlt; aber klagt einmal über den Diebstahl,

Für das Miniſterium des Innern und der Gerechtig-
keitspflege werden bezahlt 1,110,607 Gulden. Dafür habt
ihr einen Wuſt von Geſetzen, zuſammengehäuft aus will-
kürlichen Verordnungen aller Jahrhunderte, meiſt geſchrieben
in einer fremden Sprache. Der Unſinn aller vorigen Ge-
ſchlechter hat ſich darin auf euch vererbt, der Druck, unter
dem ſie erlagen, ſich auf euch fortgewälzt. Das Geſetz iſt
das Eigenthum einer unbedeutenden Klaſſe von Vornehmen
und Gelehrten, die ſich durch ihr eigenes Machwerk die
Herrſchaft zuſpricht. Dieſe Gerechtigkeit iſt nur ein Mittel,
euch in Ordnung zu halten, damit man euch bequemer
ſchinde; ſie ſpricht nach Geſetzen, die ihr nicht verſteht, nach
Grundſätzen, von denen ihr nichts wißt, Urtheile, von denen
ihr nichts begreift. Unbeſtechlich iſt ſie, weil ſie ſich gerade
theuer genug bezahlen läßt, um keine Beſtechung zu brauchen.
Aber die meiſten ihrer Diener ſind der Regierung mit Haut
und Haar verkauft. Ihre Ruheſtühle ſtehen auf einem
Geldhaufen von 461,373 Gulden (ſo viel betragen die Aus-
gaben für die Gerichtshöfe und die Kriminalkoſten). Die
Fräcke, Stöcke und Säbel ihrer unverletzlichen Diener ſind
mit dem Silber von 197,502 Gulden beſchlagen (ſo viel
koſtet die Polizei überhaupt, die Gensdarmerie u. ſ. w.)
Die Juſtiz iſt in Deutſchland ſeit Jahrhunderten die Hure
der deutſchen Fürſten. Jeden Schritt zu ihr müßt ihr mit
Silber pflaſtern, und mit Armuth und Erniedrigung erkauft
ihr ihre Sprüche. Denkt an das Stempelpapier, denkt an
euer Bücken in den Amtsſtuben und euer Wacheſtehen vor
denſelben. Denkt an die Sporteln für Schreiber und Ge-
richtsdiener. Ihr dürft euern Nachbar verklagen, der euch
eine Kartoffel ſtiehlt; aber klagt einmal über den Diebſtahl,

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[268/0464] Für das Miniſterium des Innern und der Gerechtig- keitspflege werden bezahlt 1,110,607 Gulden. Dafür habt ihr einen Wuſt von Geſetzen, zuſammengehäuft aus will- kürlichen Verordnungen aller Jahrhunderte, meiſt geſchrieben in einer fremden Sprache. Der Unſinn aller vorigen Ge- ſchlechter hat ſich darin auf euch vererbt, der Druck, unter dem ſie erlagen, ſich auf euch fortgewälzt. Das Geſetz iſt das Eigenthum einer unbedeutenden Klaſſe von Vornehmen und Gelehrten, die ſich durch ihr eigenes Machwerk die Herrſchaft zuſpricht. Dieſe Gerechtigkeit iſt nur ein Mittel, euch in Ordnung zu halten, damit man euch bequemer ſchinde; ſie ſpricht nach Geſetzen, die ihr nicht verſteht, nach Grundſätzen, von denen ihr nichts wißt, Urtheile, von denen ihr nichts begreift. Unbeſtechlich iſt ſie, weil ſie ſich gerade theuer genug bezahlen läßt, um keine Beſtechung zu brauchen. Aber die meiſten ihrer Diener ſind der Regierung mit Haut und Haar verkauft. Ihre Ruheſtühle ſtehen auf einem Geldhaufen von 461,373 Gulden (ſo viel betragen die Aus- gaben für die Gerichtshöfe und die Kriminalkoſten). Die Fräcke, Stöcke und Säbel ihrer unverletzlichen Diener ſind mit dem Silber von 197,502 Gulden beſchlagen (ſo viel koſtet die Polizei überhaupt, die Gensdarmerie u. ſ. w.) Die Juſtiz iſt in Deutſchland ſeit Jahrhunderten die Hure der deutſchen Fürſten. Jeden Schritt zu ihr müßt ihr mit Silber pflaſtern, und mit Armuth und Erniedrigung erkauft ihr ihre Sprüche. Denkt an das Stempelpapier, denkt an euer Bücken in den Amtsſtuben und euer Wacheſtehen vor denſelben. Denkt an die Sporteln für Schreiber und Ge- richtsdiener. Ihr dürft euern Nachbar verklagen, der euch eine Kartoffel ſtiehlt; aber klagt einmal über den Diebſtahl,

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/464>, abgerufen am 24.11.2024.