Schmerz. Nicht den Todten gilt dies Weh -- ich beneide sie! -- sondern meinem gesunkenen Vaterlande. Mein Deutsch- land, wann wirst du frei?" Kurz: in jeder Zeile aus jenen Jahren lodert der politische Enthusiasmus, und besonders schön und schwungvoll äußert sich dieses feurige Gefühl in seiner Abschiedsrede vom Gymnasium, in welcher er den Selbst- mord des jüngeren Cato (47 n. Ch.) vertheidigt. Der Aufsatz liegt dem Leser vor (S. 398-408), er ist ein wichtiges Actenstück zur Biographie. Von der Einleitung, wo jener Männer gedacht ist, die "gleich Meteoren aus dem Dunkel menschlichen Elends und Verderbens hervorstrahlen", bis zum Schlußwort: "Noch steht Cato's Name neben der Tugend und wird neben ihr stehen, so lange das große Ur- gefühl für Vaterland und Freiheit in der Brust des Menschen glüht!" ist diese Rede ein stürmischer und doch logisch ge- gliederter Dithyrambus der Freiheit, und wer sie, unbeirrt durch einige geschmacklose Wendungen, auf sich wirken läßt, dem schlägt auch schon aus diesen Worten ein Hauch jenes Geistes entgegen, der später Alles für seine Ideale gewagt!
Aber auch aus anderen Gesichtspunkten ist die Rede bemerkenswerth; sie zeugt von der Kunst und Kraft des Stils, welche sich der früher so unbehülfliche Schüler er- worben, und beweist eine beachtenswerthe Schärfe und Selbst- ständigkeit der Gedanken. Gegen die psychologischen und phi- losophischen Bemerkungen des achtzehnjährigen Abiturienten wird nicht viel einzuwenden sein. Charakteristisch ist nament- lich die scharfe Ablehnung des "christlichen Standpunkts" und die Vermeidung jedes religiösen Motivs. Das ist kein Zufall und leitet uns zu dem zweiten Hauptzug seines geänderten Wesens über: er verlor den Glauben, und seine Empörung
Schmerz. Nicht den Todten gilt dies Weh — ich beneide ſie! — ſondern meinem geſunkenen Vaterlande. Mein Deutſch- land, wann wirſt du frei?" Kurz: in jeder Zeile aus jenen Jahren lodert der politiſche Enthuſiasmus, und beſonders ſchön und ſchwungvoll äußert ſich dieſes feurige Gefühl in ſeiner Abſchiedsrede vom Gymnaſium, in welcher er den Selbſt- mord des jüngeren Cato (47 n. Ch.) vertheidigt. Der Aufſatz liegt dem Leſer vor (S. 398-408), er iſt ein wichtiges Actenſtück zur Biographie. Von der Einleitung, wo jener Männer gedacht iſt, die "gleich Meteoren aus dem Dunkel menſchlichen Elends und Verderbens hervorſtrahlen", bis zum Schlußwort: "Noch ſteht Cato's Name neben der Tugend und wird neben ihr ſtehen, ſo lange das große Ur- gefühl für Vaterland und Freiheit in der Bruſt des Menſchen glüht!" iſt dieſe Rede ein ſtürmiſcher und doch logiſch ge- gliederter Dithyrambus der Freiheit, und wer ſie, unbeirrt durch einige geſchmackloſe Wendungen, auf ſich wirken läßt, dem ſchlägt auch ſchon aus dieſen Worten ein Hauch jenes Geiſtes entgegen, der ſpäter Alles für ſeine Ideale gewagt!
Aber auch aus anderen Geſichtspunkten iſt die Rede bemerkenswerth; ſie zeugt von der Kunſt und Kraft des Stils, welche ſich der früher ſo unbehülfliche Schüler er- worben, und beweiſt eine beachtenswerthe Schärfe und Selbſt- ſtändigkeit der Gedanken. Gegen die pſychologiſchen und phi- loſophiſchen Bemerkungen des achtzehnjährigen Abiturienten wird nicht viel einzuwenden ſein. Charakteriſtiſch iſt nament- lich die ſcharfe Ablehnung des "chriſtlichen Standpunkts" und die Vermeidung jedes religiöſen Motivs. Das iſt kein Zufall und leitet uns zu dem zweiten Hauptzug ſeines geänderten Weſens über: er verlor den Glauben, und ſeine Empörung
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Schmerz. Nicht den Todten gilt dies Weh — ich beneide
ſie! — ſondern meinem geſunkenen Vaterlande. Mein Deutſch-
land, wann wirſt du frei?" Kurz: in jeder Zeile aus jenen
Jahren lodert der politiſche Enthuſiasmus, und beſonders ſchön
und ſchwungvoll äußert ſich dieſes feurige Gefühl in ſeiner
Abſchiedsrede vom Gymnaſium, in welcher er den Selbſt-
mord des jüngeren Cato (47 n. Ch.) vertheidigt. Der
Aufſatz liegt dem Leſer vor (S. 398-408), er iſt ein
wichtiges Actenſtück zur Biographie. Von der Einleitung,
wo jener Männer gedacht iſt, die "gleich Meteoren aus dem
Dunkel menſchlichen Elends und Verderbens hervorſtrahlen",
bis zum Schlußwort: "Noch ſteht Cato's Name neben der
Tugend und wird neben ihr ſtehen, ſo lange das große Ur-
gefühl für Vaterland und Freiheit in der Bruſt des Menſchen
glüht!" iſt dieſe Rede ein ſtürmiſcher und doch logiſch ge-
gliederter Dithyrambus der Freiheit, und wer ſie, unbeirrt
durch einige geſchmackloſe Wendungen, auf ſich wirken läßt,
dem ſchlägt auch ſchon aus dieſen Worten ein Hauch jenes
Geiſtes entgegen, der ſpäter Alles für ſeine Ideale gewagt!
Aber auch aus anderen Geſichtspunkten iſt die Rede
bemerkenswerth; ſie zeugt von der Kunſt und Kraft des
Stils, welche ſich der früher ſo unbehülfliche Schüler er-
worben, und beweiſt eine beachtenswerthe Schärfe und Selbſt-
ſtändigkeit der Gedanken. Gegen die pſychologiſchen und phi-
loſophiſchen Bemerkungen des achtzehnjährigen Abiturienten
wird nicht viel einzuwenden ſein. Charakteriſtiſch iſt nament-
lich die ſcharfe Ablehnung des "chriſtlichen Standpunkts" und
die Vermeidung jedes religiöſen Motivs. Das iſt kein Zufall
und leitet uns zu dem zweiten Hauptzug ſeines geänderten
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XXX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/46>, abgerufen am 23.11.2024.
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