die Dritten sind tugendhaft, die Vierten lasterhaft, und ich gar nichts, gar nichts, ich mag mich nicht einmal umbringen: es ist zu langweilig:
O Gott! in Deines Lichtes Welle, In Deines glüh'nden Mittags Helle, Sind meine Augen wund gewacht. Wird es denn niemals wieder Nacht?
Oberlin blickte ihn unwillig an und wollte gehen. Lenz huschte ihm nach und, indem er ihn mit unheimlichen Augen ansah: Sehn Sie, jetzt kommt mir doch was ein, wenn ich nur unterschreiben könnte, ob ich träume oder wache; sehn Sie, das ist sehr wichtig, wir wollen es untersuchen, -- er huschte dann wieder ins Bett. Den Nachmittag wollte Oberlin in der Nähe einen Besuch machen; seine Frau war schon fort; er war im Begriffe wegzugehen, als es an seine Thüre klopfte, und Lenz hereintrat mit vorwärts gebogenem Leib, niederwärts hängendem Haupt, das Gesicht über und über und das Kleid hie und da mit Asche bestreut, mit der rechten Hand den linken Arm haltend. Er bat Oberlin, ihm den Arm zu ziehen, er hätte ihn verrenkt, er hätte sich zum Fenster heruntergestürzt; weil es aber Niemand gesehen, wolle er es auch Niemand sagen. Oberlin erschrack heftig, doch sagte er nichts, er that, was Lenz begehrte; zugleich schrieb er an den Schulmeister von Bellesoße, er möge herunterkommen, und gab ihm Instruktionen, dann ritt er weg. Der Mann kam. Lenz hatte ihn schon oft gesehen und hatte sich an ihn attachirt. Er that, als hätte er mit Oberlin etwas reden wollen, wollte dann wieder weg. Lenz bat ihn zu bleiben, und so blieben sie beisammen. Lenz schlug noch einen Spaziergang nach Fouday vor. Er be-
die Dritten ſind tugendhaft, die Vierten laſterhaft, und ich gar nichts, gar nichts, ich mag mich nicht einmal umbringen: es iſt zu langweilig:
O Gott! in Deines Lichtes Welle, In Deines glüh'nden Mittags Helle, Sind meine Augen wund gewacht. Wird es denn niemals wieder Nacht?
Oberlin blickte ihn unwillig an und wollte gehen. Lenz huſchte ihm nach und, indem er ihn mit unheimlichen Augen anſah: Sehn Sie, jetzt kommt mir doch was ein, wenn ich nur unterſchreiben könnte, ob ich träume oder wache; ſehn Sie, das iſt ſehr wichtig, wir wollen es unterſuchen, — er huſchte dann wieder ins Bett. Den Nachmittag wollte Oberlin in der Nähe einen Beſuch machen; ſeine Frau war ſchon fort; er war im Begriffe wegzugehen, als es an ſeine Thüre klopfte, und Lenz hereintrat mit vorwärts gebogenem Leib, niederwärts hängendem Haupt, das Geſicht über und über und das Kleid hie und da mit Aſche beſtreut, mit der rechten Hand den linken Arm haltend. Er bat Oberlin, ihm den Arm zu ziehen, er hätte ihn verrenkt, er hätte ſich zum Fenſter heruntergeſtürzt; weil es aber Niemand geſehen, wolle er es auch Niemand ſagen. Oberlin erſchrack heftig, doch ſagte er nichts, er that, was Lenz begehrte; zugleich ſchrieb er an den Schulmeiſter von Belleſoße, er möge herunterkommen, und gab ihm Inſtruktionen, dann ritt er weg. Der Mann kam. Lenz hatte ihn ſchon oft geſehen und hatte ſich an ihn attachirt. Er that, als hätte er mit Oberlin etwas reden wollen, wollte dann wieder weg. Lenz bat ihn zu bleiben, und ſo blieben ſie beiſammen. Lenz ſchlug noch einen Spaziergang nach Fouday vor. Er be-
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die Dritten ſind tugendhaft, die Vierten laſterhaft, und ich
gar nichts, gar nichts, ich mag mich nicht einmal umbringen:
es iſt zu langweilig:
O Gott! in Deines Lichtes Welle,
In Deines glüh'nden Mittags Helle,
Sind meine Augen wund gewacht.
Wird es denn niemals wieder Nacht?
Oberlin blickte ihn unwillig an und wollte gehen. Lenz
huſchte ihm nach und, indem er ihn mit unheimlichen Augen
anſah: Sehn Sie, jetzt kommt mir doch was ein, wenn ich
nur unterſchreiben könnte, ob ich träume oder wache; ſehn
Sie, das iſt ſehr wichtig, wir wollen es unterſuchen, — er
huſchte dann wieder ins Bett. Den Nachmittag wollte
Oberlin in der Nähe einen Beſuch machen; ſeine Frau war
ſchon fort; er war im Begriffe wegzugehen, als es an ſeine
Thüre klopfte, und Lenz hereintrat mit vorwärts gebogenem
Leib, niederwärts hängendem Haupt, das Geſicht über und
über und das Kleid hie und da mit Aſche beſtreut, mit der
rechten Hand den linken Arm haltend. Er bat Oberlin,
ihm den Arm zu ziehen, er hätte ihn verrenkt, er hätte ſich
zum Fenſter heruntergeſtürzt; weil es aber Niemand geſehen,
wolle er es auch Niemand ſagen. Oberlin erſchrack heftig,
doch ſagte er nichts, er that, was Lenz begehrte; zugleich
ſchrieb er an den Schulmeiſter von Belleſoße, er möge
herunterkommen, und gab ihm Inſtruktionen, dann ritt er
weg. Der Mann kam. Lenz hatte ihn ſchon oft geſehen
und hatte ſich an ihn attachirt. Er that, als hätte er mit
Oberlin etwas reden wollen, wollte dann wieder weg. Lenz
bat ihn zu bleiben, und ſo blieben ſie beiſammen. Lenz
ſchlug noch einen Spaziergang nach Fouday vor. Er be-
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/428>, abgerufen am 22.11.2024.
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