bemerkten Mienenspiel; er hätte dergleichen versucht im "Hofmeister" und den "Soldaten". Es sind die prosaischsten Menschen unter der Sonne; aber die Gefühlsader ist in fast allen Menschen gleich; nur ist die Hülle mehr oder weniger dicht, durch die sie brechen muß. Man muß nur Aug' und Ohren dafür haben. Wie ich gestern neben am Thale hinaufging, sah ich auf einem Steine zwei Mädchen sitzen, die eine band ihre Haare auf, die andere half ihr, das goldne Haar hing herab, ein ernstes bleiches Gesicht, und doch so jung, und die schwarze Tracht, und die andre so sorgsam bemüht. Die schönsten, innigsten Bilder der altdeutschen Schule geben kaum eine Ahnung davon. Man möchte manchmal ein Medusenhaupt sein, um so eine Gruppe in Stein verwandeln zu können, und den Leuten zurufen. Sie standen auf, die schöne Gruppe war zerstört; aber wie sie so hinabstiegen, zwischen den Felsen, war es wieder ein anderes Bild. Die schönsten Bilder, die schwellendsten Töne gruppiren, lösen sich auf.
Nur eins bleibt, eine unendliche Schönheit, die aus einer Form in die andere tritt, ewig aufgeblättert, verändert. Man kann sie aber freilich nicht immer festhalten und in Museen stellen und auf Noten ziehen, und dann Alt und Jung herbeirufen, und die Buben und Alten darüber radotiren und sich entzücken lassen. Man muß die Mensch- heit lieben, um in das eigenthümliche Wesen jedes einzu- dringen; es darf Einem keiner zu gering, keiner zu häßlich sein, erst dann kann man sie verstehen; das unbedeutendste Gesicht macht einen tieferen Eindruck, als die bloße Empfin- dung des Schönen, und man kann die Gestalten aus sich heraustreten lassen, ohne etwas vom Aeußeren hinein zu
bemerkten Mienenſpiel; er hätte dergleichen verſucht im "Hofmeiſter" und den "Soldaten". Es ſind die proſaiſchſten Menſchen unter der Sonne; aber die Gefühlsader iſt in faſt allen Menſchen gleich; nur iſt die Hülle mehr oder weniger dicht, durch die ſie brechen muß. Man muß nur Aug' und Ohren dafür haben. Wie ich geſtern neben am Thale hinaufging, ſah ich auf einem Steine zwei Mädchen ſitzen, die eine band ihre Haare auf, die andere half ihr, das goldne Haar hing herab, ein ernſtes bleiches Geſicht, und doch ſo jung, und die ſchwarze Tracht, und die andre ſo ſorgſam bemüht. Die ſchönſten, innigſten Bilder der altdeutſchen Schule geben kaum eine Ahnung davon. Man möchte manchmal ein Meduſenhaupt ſein, um ſo eine Gruppe in Stein verwandeln zu können, und den Leuten zurufen. Sie ſtanden auf, die ſchöne Gruppe war zerſtört; aber wie ſie ſo hinabſtiegen, zwiſchen den Felſen, war es wieder ein anderes Bild. Die ſchönſten Bilder, die ſchwellendſten Töne gruppiren, löſen ſich auf.
Nur eins bleibt, eine unendliche Schönheit, die aus einer Form in die andere tritt, ewig aufgeblättert, verändert. Man kann ſie aber freilich nicht immer feſthalten und in Muſeen ſtellen und auf Noten ziehen, und dann Alt und Jung herbeirufen, und die Buben und Alten darüber radotiren und ſich entzücken laſſen. Man muß die Menſch- heit lieben, um in das eigenthümliche Weſen jedes einzu- dringen; es darf Einem keiner zu gering, keiner zu häßlich ſein, erſt dann kann man ſie verſtehen; das unbedeutendſte Geſicht macht einen tieferen Eindruck, als die bloße Empfin- dung des Schönen, und man kann die Geſtalten aus ſich heraustreten laſſen, ohne etwas vom Aeußeren hinein zu
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bemerkten Mienenſpiel; er hätte dergleichen verſucht im
"Hofmeiſter" und den "Soldaten". Es ſind die proſaiſchſten
Menſchen unter der Sonne; aber die Gefühlsader iſt in
faſt allen Menſchen gleich; nur iſt die Hülle mehr oder
weniger dicht, durch die ſie brechen muß. Man muß nur
Aug' und Ohren dafür haben. Wie ich geſtern neben am
Thale hinaufging, ſah ich auf einem Steine zwei Mädchen
ſitzen, die eine band ihre Haare auf, die andere half ihr,
das goldne Haar hing herab, ein ernſtes bleiches Geſicht,
und doch ſo jung, und die ſchwarze Tracht, und die andre
ſo ſorgſam bemüht. Die ſchönſten, innigſten Bilder der
altdeutſchen Schule geben kaum eine Ahnung davon. Man
möchte manchmal ein Meduſenhaupt ſein, um ſo eine Gruppe
in Stein verwandeln zu können, und den Leuten zurufen.
Sie ſtanden auf, die ſchöne Gruppe war zerſtört; aber wie
ſie ſo hinabſtiegen, zwiſchen den Felſen, war es wieder ein
anderes Bild. Die ſchönſten Bilder, die ſchwellendſten Töne
gruppiren, löſen ſich auf.
Nur eins bleibt, eine unendliche Schönheit, die aus
einer Form in die andere tritt, ewig aufgeblättert, verändert.
Man kann ſie aber freilich nicht immer feſthalten und in
Muſeen ſtellen und auf Noten ziehen, und dann Alt und
Jung herbeirufen, und die Buben und Alten darüber
radotiren und ſich entzücken laſſen. Man muß die Menſch-
heit lieben, um in das eigenthümliche Weſen jedes einzu-
dringen; es darf Einem keiner zu gering, keiner zu häßlich
ſein, erſt dann kann man ſie verſtehen; das unbedeutendſte
Geſicht macht einen tieferen Eindruck, als die bloße Empfin-
dung des Schönen, und man kann die Geſtalten aus ſich
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/415>, abgerufen am 22.11.2024.
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