Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879. Wozzeck. Du bist schön -- "wie die Sünde". Aber kann die Todsünde so schön sein, Marie? (Auffahrend.) Da! -- Hat er da gestanden, so, so? Marie. Ich kann den Leuten die Gasse nicht ver- bieten ... Wozzeck. Teufel! Hat er da gestanden? Marie. Dieweil der Tag lang und die Welt alt ist, können viel Menschen an einem Platze stehen, einer nach dem andern. Wozzeck. Ich hab ihn gesehen! Marie. Man kann viel sehen, wenn man zwei Augen hat, und wenn man nicht blind ist, und wenn die Sonn' scheint. Wozzeck. Du bei ihm! Marie (keck). Und wenn auch! Wozzeck (geht auf sie los). Mensch! Marie. Rühr' mich nicht an. Lieber ein Messer in den Leib, als eine Hand auf mich. Mein Vater hat's nicht gewagt, wie ich zehn Jahr alt war .. Wozzeck (sieht sie starr an, läßt langsam die Hand sinken). Lieber ein Messer! (Nach einer Pause, scheu flüsternd:) Der Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt Einem, wenn man hinunterschaut ... Mich schwindelt ... Wirthshaus. Tambour-Major. Wozzeck. Andres. Leute. Tambour-Major. Ich bin ein Mann! (Schlägt sich auf die Brust.) Ein Mann, sag' ich. Wer will was? Wer Wozzeck. Du biſt ſchön — "wie die Sünde". Aber kann die Todſünde ſo ſchön ſein, Marie? (Auffahrend.) Da! — Hat er da geſtanden, ſo, ſo? Marie. Ich kann den Leuten die Gaſſe nicht ver- bieten ... Wozzeck. Teufel! Hat er da geſtanden? Marie. Dieweil der Tag lang und die Welt alt iſt, können viel Menſchen an einem Platze ſtehen, einer nach dem andern. Wozzeck. Ich hab ihn geſehen! Marie. Man kann viel ſehen, wenn man zwei Augen hat, und wenn man nicht blind iſt, und wenn die Sonn' ſcheint. Wozzeck. Du bei ihm! Marie (keck). Und wenn auch! Wozzeck (geht auf ſie los). Menſch! Marie. Rühr' mich nicht an. Lieber ein Meſſer in den Leib, als eine Hand auf mich. Mein Vater hat's nicht gewagt, wie ich zehn Jahr alt war .. Wozzeck (ſieht ſie ſtarr an, läßt langſam die Hand ſinken). Lieber ein Meſſer! (Nach einer Pauſe, ſcheu flüſternd:) Der Menſch iſt ein Abgrund, es ſchwindelt Einem, wenn man hinunterſchaut ... Mich ſchwindelt ... Wirthshaus. Tambour-Major. Wozzeck. Andres. Leute. Tambour-Major. Ich bin ein Mann! (Schlägt ſich auf die Bruſt.) Ein Mann, ſag' ich. Wer will was? Wer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="scene" n="3"> <pb facs="#f0380" n="184"/> <sp who="#WOZ"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Wozzeck.</hi> </hi> </speaker> <p>Du biſt ſchön — "wie die Sünde". Aber<lb/> kann die Todſünde ſo ſchön ſein, Marie? <stage>(Auffahrend.)</stage> <hi rendition="#g">Da</hi>!<lb/> — Hat er da geſtanden, ſo, ſo?</p> </sp><lb/> <sp who="#MARIE"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Marie.</hi> </hi> </speaker> <p>Ich kann den Leuten die Gaſſe nicht ver-<lb/> bieten ...</p> </sp><lb/> <sp who="#WOZ"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Wozzeck.</hi> </hi> </speaker> <p>Teufel! Hat er da geſtanden?</p> </sp><lb/> <sp who="#MARIE"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Marie.</hi> </hi> </speaker> <p>Dieweil der Tag lang und die Welt alt iſt,<lb/> können viel Menſchen an einem Platze ſtehen, einer nach dem<lb/> andern.</p> </sp><lb/> <sp who="#WOZ"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Wozzeck.</hi> </hi> </speaker> <p>Ich hab ihn geſehen!</p> </sp><lb/> <sp who="#MARIE"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Marie.</hi> </hi> </speaker> <p>Man kann viel ſehen, wenn man zwei Augen<lb/> hat, und wenn man nicht blind iſt, und wenn die Sonn'<lb/> ſcheint.</p> </sp><lb/> <sp who="#WOZ"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Wozzeck.</hi> </hi> </speaker> <p>Du bei ihm!</p> </sp><lb/> <sp who="#MARIE"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Marie</hi> </hi> </speaker> <stage>(keck).</stage> <p>Und wenn auch!</p> </sp><lb/> <sp who="#WOZ"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Wozzeck</hi> </hi> </speaker> <stage>(geht auf ſie los).</stage> <p>Menſch!</p> </sp><lb/> <sp who="#MARIE"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Marie.</hi> </hi> </speaker> <p>Rühr' mich nicht an. Lieber ein Meſſer in<lb/> den Leib, als eine Hand auf mich. Mein Vater hat's nicht<lb/> gewagt, wie ich zehn Jahr alt war ..</p> </sp><lb/> <sp who="#WOZ"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Wozzeck</hi> </hi> </speaker> <stage>(ſieht ſie ſtarr an, läßt langſam die Hand ſinken).</stage><lb/> <p>Lieber ein Meſſer! <stage>(Nach einer Pauſe, ſcheu flüſternd:)</stage> Der<lb/> Menſch iſt ein Abgrund, es ſchwindelt Einem, wenn man<lb/> hinunterſchaut ... Mich ſchwindelt ...</p> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div type="scene" n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Wirthshaus</hi>.</hi> </hi> </hi> </head><lb/> <stage> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Tambour-Major. Wozzeck. Andres. Leute.</hi> </hi> </hi> </stage><lb/> <sp who="#TAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Tambour-Major.</hi> </hi> </speaker> <p>Ich bin ein Mann! <stage>(Schlägt ſich auf<lb/> die Bruſt.)</stage> Ein Mann, ſag' ich. Wer will was? Wer<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [184/0380]
Wozzeck. Du biſt ſchön — "wie die Sünde". Aber
kann die Todſünde ſo ſchön ſein, Marie? (Auffahrend.) Da!
— Hat er da geſtanden, ſo, ſo?
Marie. Ich kann den Leuten die Gaſſe nicht ver-
bieten ...
Wozzeck. Teufel! Hat er da geſtanden?
Marie. Dieweil der Tag lang und die Welt alt iſt,
können viel Menſchen an einem Platze ſtehen, einer nach dem
andern.
Wozzeck. Ich hab ihn geſehen!
Marie. Man kann viel ſehen, wenn man zwei Augen
hat, und wenn man nicht blind iſt, und wenn die Sonn'
ſcheint.
Wozzeck. Du bei ihm!
Marie (keck). Und wenn auch!
Wozzeck (geht auf ſie los). Menſch!
Marie. Rühr' mich nicht an. Lieber ein Meſſer in
den Leib, als eine Hand auf mich. Mein Vater hat's nicht
gewagt, wie ich zehn Jahr alt war ..
Wozzeck (ſieht ſie ſtarr an, läßt langſam die Hand ſinken).
Lieber ein Meſſer! (Nach einer Pauſe, ſcheu flüſternd:) Der
Menſch iſt ein Abgrund, es ſchwindelt Einem, wenn man
hinunterſchaut ... Mich ſchwindelt ...
Wirthshaus.
Tambour-Major. Wozzeck. Andres. Leute.
Tambour-Major. Ich bin ein Mann! (Schlägt ſich auf
die Bruſt.) Ein Mann, ſag' ich. Wer will was? Wer
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/380 |
Zitationshilfe: | Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/380>, abgerufen am 16.02.2025. |