Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879. Leonce. Ach Rosetta, ich habe die entsetzliche Arbeit ... Rosetta. Nun? Leonce. Nichts zu thun ... Rosetta. Als zu lieben? Leonce. Freilich Arbeit! Rosetta (beleidigt). Leonce! Leonce. Oder Beschäftigung. Rosetta. Oder Müßiggang. Leonce. Du hast Recht wie immer. Du bist ein kluges Mädchen, und ich halte viel auf deinen Scharfsinn. Rosetta. So liebst Du mich aus Langeweile? Leonce. Nein, ich habe Langeweile, weil ich dich liebe. Aber ich liebe meine Langeweile wie dich. Ihr seid eins. O dolce far niente, ich träume über deinen Augen, wie an wunderheimlichen tiefen Quellen, das Kosen deiner Lippen schläfert mich ein, wie Wellenrauschen. (Er umfaßt sie.) Komm, liebe Langeweile, deine Küsse sind ein wollüstiges Gähnen, und deine Schritte sind ein zierlicher Hiatus. Rosetta. Du liebst mich, Leonce? Leonce. Ei warum nicht? Rosetta. Und immer? Leonce. Das ist ein langes Wort: immer! Wenn ich dich nun noch fünftausend Jahre und sieben Monate liebe, ist's genug? Es ist zwar viel weniger, als immer, ist aber doch eine erkleckliche Zeit, und wir können uns Zeit nehmen, uns zu lieben. Rosetta. Oder die Zeit kann uns das Lieben nehmen. Leonce. Oder das Lieben uns die Zeit. Tanze, Rosetta, tanze, daß die Zeit mit dem Takt deiner niedlichen Füße geht. Rosetta. Meine Füße gingen lieber aus der Zeit. Leonce. Ach Roſetta, ich habe die entſetzliche Arbeit ... Roſetta. Nun? Leonce. Nichts zu thun ... Roſetta. Als zu lieben? Leonce. Freilich Arbeit! Roſetta (beleidigt). Leonce! Leonce. Oder Beſchäftigung. Roſetta. Oder Müßiggang. Leonce. Du haſt Recht wie immer. Du biſt ein kluges Mädchen, und ich halte viel auf deinen Scharfſinn. Roſetta. So liebſt Du mich aus Langeweile? Leonce. Nein, ich habe Langeweile, weil ich dich liebe. Aber ich liebe meine Langeweile wie dich. Ihr ſeid eins. O dolce far niente, ich träume über deinen Augen, wie an wunderheimlichen tiefen Quellen, das Koſen deiner Lippen ſchläfert mich ein, wie Wellenrauſchen. (Er umfaßt ſie.) Komm, liebe Langeweile, deine Küſſe ſind ein wollüſtiges Gähnen, und deine Schritte ſind ein zierlicher Hiatus. Roſetta. Du liebſt mich, Leonce? Leonce. Ei warum nicht? Roſetta. Und immer? Leonce. Das iſt ein langes Wort: immer! Wenn ich dich nun noch fünftauſend Jahre und ſieben Monate liebe, iſt's genug? Es iſt zwar viel weniger, als immer, iſt aber doch eine erkleckliche Zeit, und wir können uns Zeit nehmen, uns zu lieben. Roſetta. Oder die Zeit kann uns das Lieben nehmen. Leonce. Oder das Lieben uns die Zeit. Tanze, Roſetta, tanze, daß die Zeit mit dem Takt deiner niedlichen Füße geht. Roſetta. 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Roſetta. So liebſt Du mich aus Langeweile?
Leonce. Nein, ich habe Langeweile, weil ich dich liebe.
Aber ich liebe meine Langeweile wie dich. Ihr ſeid eins.
O dolce far niente, ich träume über deinen Augen, wie an
wunderheimlichen tiefen Quellen, das Koſen deiner Lippen
ſchläfert mich ein, wie Wellenrauſchen. (Er umfaßt ſie.) Komm,
liebe Langeweile, deine Küſſe ſind ein wollüſtiges Gähnen,
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dich nun noch fünftauſend Jahre und ſieben Monate liebe,
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Leonce. Oder das Lieben uns die Zeit. Tanze, Roſetta,
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Zitationshilfe: | Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/320>, abgerufen am 16.02.2025. |