Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
Hand! ja, jetzt besinn' ich mich. O Danton, das war ent- setzlich. Danton. Was denn? Camille. Ich lag so zwischen Traum und Wachen. Da schwand die Decke und der Mond sank herein, ganz nahe, ganz dicht, mein Arm erfaßt' ihn. Die Himmelsdecke mit ihren Lichtern hatte sich gesenkt, ich stieß daran, ich be- tastete die Sterne, ich taumelte wie ein Ertrinkender unter der Eisdecke. Das war entsetzlich, Danton. Danton. Die Lampe wirft einen runden Schein an die Decke, das sahst du. Camille. Meinetwegen, es braucht gerade nicht viel, um Einem das bischen Verstand verlieren zu machen. Der Wahnsinn faßt mich bei den Haaren. (Er erhebt sich.) Ich mag nicht mehr schlafen, ich mag nicht verrückt werden. (Er greift nach einem Buch.) Danton. Was nimmst du? Camille. Die Nachtgedanken. Danton. Willst du zum voraus sterben? Ich nehme die Pucelle. Ich will mich aus dem Leben nicht wie aus dem Betstuhl, sondern wie aus dem Bett einer barmherzigen Schwester wegschleichen. Es ist eine feile Dirne; es treibt mit der ganzen Welt Unzucht.
Hand! ja, jetzt beſinn' ich mich. O Danton, das war ent- ſetzlich. Danton. Was denn? Camille. Ich lag ſo zwiſchen Traum und Wachen. Da ſchwand die Decke und der Mond ſank herein, ganz nahe, ganz dicht, mein Arm erfaßt' ihn. Die Himmelsdecke mit ihren Lichtern hatte ſich geſenkt, ich ſtieß daran, ich be- taſtete die Sterne, ich taumelte wie ein Ertrinkender unter der Eisdecke. Das war entſetzlich, Danton. Danton. Die Lampe wirft einen runden Schein an die Decke, das ſahſt du. Camille. Meinetwegen, es braucht gerade nicht viel, um Einem das bischen Verſtand verlieren zu machen. Der Wahnſinn faßt mich bei den Haaren. (Er erhebt ſich.) Ich mag nicht mehr ſchlafen, ich mag nicht verrückt werden. (Er greift nach einem Buch.) Danton. Was nimmſt du? Camille. Die Nachtgedanken. Danton. Willſt du zum voraus ſterben? Ich nehme die Pucelle. Ich will mich aus dem Leben nicht wie aus dem Betſtuhl, ſondern wie aus dem Bett einer barmherzigen Schweſter wegſchleichen. Es iſt eine feile Dirne; es treibt mit der ganzen Welt Unzucht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#CAM"> <p><pb facs="#f0282" n="86"/> Hand! ja, jetzt beſinn' ich mich. O Danton, das war ent-<lb/> ſetzlich.</p> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker> <p>Was denn?</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>Ich lag ſo zwiſchen Traum und Wachen.<lb/> Da ſchwand die Decke und der Mond ſank herein, ganz<lb/> nahe, ganz dicht, mein Arm erfaßt' ihn. Die Himmelsdecke<lb/> mit ihren Lichtern hatte ſich geſenkt, ich ſtieß daran, ich be-<lb/> taſtete die Sterne, ich taumelte wie ein Ertrinkender unter<lb/> der Eisdecke. Das war entſetzlich, Danton.</p> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker> <p>Die Lampe wirft einen runden Schein an<lb/> die Decke, das ſahſt du.</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>Meinetwegen, es braucht gerade nicht viel,<lb/> um Einem das bischen Verſtand verlieren zu machen. Der<lb/> Wahnſinn faßt mich bei den Haaren. <stage>(Er erhebt ſich.)</stage> Ich<lb/> mag nicht mehr ſchlafen, ich mag nicht verrückt werden.</p> <stage>(Er<lb/> greift nach einem Buch.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker> <p>Was nimmſt du?</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>Die Nachtgedanken.</p> </sp><lb/> <sp who="#DANTON"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker> <p>Willſt du zum voraus ſterben? Ich nehme<lb/> die Pucelle. Ich will mich aus dem Leben nicht wie aus<lb/> dem Betſtuhl, ſondern wie aus dem Bett einer barmherzigen<lb/> Schweſter wegſchleichen. Es iſt eine feile Dirne; es treibt<lb/> mit der ganzen Welt Unzucht.</p> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0282]
Hand! ja, jetzt beſinn' ich mich. O Danton, das war ent-
ſetzlich.
Danton. Was denn?
Camille. Ich lag ſo zwiſchen Traum und Wachen.
Da ſchwand die Decke und der Mond ſank herein, ganz
nahe, ganz dicht, mein Arm erfaßt' ihn. Die Himmelsdecke
mit ihren Lichtern hatte ſich geſenkt, ich ſtieß daran, ich be-
taſtete die Sterne, ich taumelte wie ein Ertrinkender unter
der Eisdecke. Das war entſetzlich, Danton.
Danton. Die Lampe wirft einen runden Schein an
die Decke, das ſahſt du.
Camille. Meinetwegen, es braucht gerade nicht viel,
um Einem das bischen Verſtand verlieren zu machen. Der
Wahnſinn faßt mich bei den Haaren. (Er erhebt ſich.) Ich
mag nicht mehr ſchlafen, ich mag nicht verrückt werden. (Er
greift nach einem Buch.)
Danton. Was nimmſt du?
Camille. Die Nachtgedanken.
Danton. Willſt du zum voraus ſterben? Ich nehme
die Pucelle. Ich will mich aus dem Leben nicht wie aus
dem Betſtuhl, ſondern wie aus dem Bett einer barmherzigen
Schweſter wegſchleichen. Es iſt eine feile Dirne; es treibt
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Zitationshilfe: | Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/282>, abgerufen am 16.07.2024. |