Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
St. Just. Ich will ihn den seinigen wie St. Denis
tragen machen.
Robespierre. (liest weiter). "Sollte man glauben, daß
der saubere Frack des Messias das Leichenhemd Frankreichs
ist, und daß seine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden
Finger Guillotinenmesser sind? -- Und du Barrere, der du
gesagt hast: auf dem Revolutionsplatze werde Münze ge-
schlagen! Doch ich will den alten Sack nicht aufwühlen, er
ist eine Wittwe, die schon ein halbes Dutzend Männer hatte,
und die sie begraben half. Wer kann was dafür? Das
ist so seine Gabe, er sieht den Leuten ein halbes Jahr vor
dem Tode das hippokratische Gesicht an. Wer mag sich auch
zu Leichen setzen und den Gestank riechen?" -- Also auch
du, Camille! -- Weg mit ihnen! Rasch! nur die Todten
kommen nicht wieder. Hast du die Anklage bereit?
St. Just. Es macht sich leicht. Du hast die An-
deutungen bei den Jakobinern gemacht.
Robespierre. Ich wollte sie schrecken.
St. Just. Ich brauche nur durchzuführen, die Fälscher
geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. -- Sie sterben
an der Mahlzeit; ich gebe dir mein Wort.
Robespierre. Dann rasch, morgen! Keinen langen
Todeskampf! Ich bin empfindlich seit einigen Tagen. Nur
rasch!
(St. Just ab.)
Robespierre. Ja wohl, Blutmessias, der opfert und
nicht geopfert wird. Er hat sie mit seinem Blut erlöst, und
ich erlöse sie mit ihrem eigenen. Er hat sie sündigen ge-
macht, und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die
Wollust des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers.
Wer hat sich mehr verleugnet? Ich oder er? -- Und doch
3 *
St. Juſt. Ich will ihn den ſeinigen wie St. Denis
tragen machen.
Robespierre. (lieſt weiter). "Sollte man glauben, daß
der ſaubere Frack des Meſſias das Leichenhemd Frankreichs
iſt, und daß ſeine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden
Finger Guillotinenmeſſer ſind? — Und du Barrère, der du
geſagt haſt: auf dem Revolutionsplatze werde Münze ge-
ſchlagen! Doch ich will den alten Sack nicht aufwühlen, er
iſt eine Wittwe, die ſchon ein halbes Dutzend Männer hatte,
und die ſie begraben half. Wer kann was dafür? Das
iſt ſo ſeine Gabe, er ſieht den Leuten ein halbes Jahr vor
dem Tode das hippokratiſche Geſicht an. Wer mag ſich auch
zu Leichen ſetzen und den Geſtank riechen?" — Alſo auch
du, Camille! — Weg mit ihnen! Raſch! nur die Todten
kommen nicht wieder. Haſt du die Anklage bereit?
St. Juſt. Es macht ſich leicht. Du haſt die An-
deutungen bei den Jakobinern gemacht.
Robespierre. Ich wollte ſie ſchrecken.
St. Juſt. Ich brauche nur durchzuführen, die Fälſcher
geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. — Sie ſterben
an der Mahlzeit; ich gebe dir mein Wort.
Robespierre. Dann raſch, morgen! Keinen langen
Todeskampf! Ich bin empfindlich ſeit einigen Tagen. Nur
raſch!
(St. Juſt ab.)
Robespierre. Ja wohl, Blutmeſſias, der opfert und
nicht geopfert wird. Er hat ſie mit ſeinem Blut erlöſt, und
ich erlöſe ſie mit ihrem eigenen. Er hat ſie ſündigen ge-
macht, und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die
Wolluſt des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers.
Wer hat ſich mehr verleugnet? Ich oder er? — Und doch
3 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div type="act" n="3">
            <div type="scene" n="4">
              <pb facs="#f0231" n="35"/>
              <sp who="#ST ">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">St. Ju&#x017F;t.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Ich will ihn den &#x017F;einigen wie St. Denis<lb/>
tragen machen.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ROB">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Robespierre.</hi> </hi> </speaker>
                <stage>(lie&#x017F;t weiter).</stage>
                <p>"Sollte man glauben, daß<lb/>
der &#x017F;aubere Frack des Me&#x017F;&#x017F;ias das Leichenhemd Frankreichs<lb/>
i&#x017F;t, und daß &#x017F;eine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden<lb/>
Finger Guillotinenme&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ind? &#x2014; Und du Barr<hi rendition="#aq">è</hi>re, der du<lb/>
ge&#x017F;agt ha&#x017F;t: auf dem Revolutionsplatze werde Münze ge-<lb/>
&#x017F;chlagen! Doch ich will den alten Sack nicht aufwühlen, er<lb/>
i&#x017F;t eine Wittwe, die &#x017F;chon ein halbes Dutzend Männer hatte,<lb/>
und die &#x017F;ie begraben half. Wer kann was dafür? Das<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;eine Gabe, er &#x017F;ieht den Leuten ein halbes Jahr vor<lb/>
dem Tode das hippokrati&#x017F;che Ge&#x017F;icht an. Wer mag &#x017F;ich auch<lb/>
zu Leichen &#x017F;etzen und den Ge&#x017F;tank riechen?" &#x2014; Al&#x017F;o auch<lb/>
du, Camille! &#x2014; Weg mit ihnen! Ra&#x017F;ch! nur die Todten<lb/>
kommen nicht wieder. Ha&#x017F;t du die Anklage bereit?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ST ">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">St. Ju&#x017F;t.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Es macht &#x017F;ich leicht. Du ha&#x017F;t die An-<lb/>
deutungen bei den Jakobinern gemacht.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ROB">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Robespierre.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Ich wollte &#x017F;ie &#x017F;chrecken.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ST ">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">St. Ju&#x017F;t.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Ich brauche nur durchzuführen, die Fäl&#x017F;cher<lb/>
geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. &#x2014; Sie &#x017F;terben<lb/>
an der Mahlzeit; ich gebe dir mein Wort.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ROB">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Robespierre.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Dann ra&#x017F;ch, morgen! Keinen langen<lb/>
Todeskampf! Ich bin empfindlich &#x017F;eit einigen Tagen. Nur<lb/>
ra&#x017F;ch!</p>
                <stage> <hi rendition="#et">(<hi rendition="#fr"><hi rendition="#b">St. Ju&#x017F;t</hi></hi> ab.)</hi> </stage>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ROB">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Robespierre.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Ja wohl, Blutme&#x017F;&#x017F;ias, der opfert und<lb/>
nicht geopfert wird. Er hat &#x017F;ie mit &#x017F;einem Blut erlö&#x017F;t, und<lb/>
ich erlö&#x017F;e &#x017F;ie mit ihrem eigenen. Er hat &#x017F;ie &#x017F;ündigen ge-<lb/>
macht, und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die<lb/>
Wollu&#x017F;t des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers.<lb/>
Wer hat &#x017F;ich mehr verleugnet? Ich oder er? &#x2014; Und doch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3 *</fw><lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0231] St. Juſt. Ich will ihn den ſeinigen wie St. Denis tragen machen. Robespierre. (lieſt weiter). "Sollte man glauben, daß der ſaubere Frack des Meſſias das Leichenhemd Frankreichs iſt, und daß ſeine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden Finger Guillotinenmeſſer ſind? — Und du Barrère, der du geſagt haſt: auf dem Revolutionsplatze werde Münze ge- ſchlagen! Doch ich will den alten Sack nicht aufwühlen, er iſt eine Wittwe, die ſchon ein halbes Dutzend Männer hatte, und die ſie begraben half. Wer kann was dafür? Das iſt ſo ſeine Gabe, er ſieht den Leuten ein halbes Jahr vor dem Tode das hippokratiſche Geſicht an. Wer mag ſich auch zu Leichen ſetzen und den Geſtank riechen?" — Alſo auch du, Camille! — Weg mit ihnen! Raſch! nur die Todten kommen nicht wieder. Haſt du die Anklage bereit? St. Juſt. Es macht ſich leicht. Du haſt die An- deutungen bei den Jakobinern gemacht. Robespierre. Ich wollte ſie ſchrecken. St. Juſt. Ich brauche nur durchzuführen, die Fälſcher geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. — Sie ſterben an der Mahlzeit; ich gebe dir mein Wort. Robespierre. Dann raſch, morgen! Keinen langen Todeskampf! Ich bin empfindlich ſeit einigen Tagen. Nur raſch! (St. Juſt ab.) Robespierre. Ja wohl, Blutmeſſias, der opfert und nicht geopfert wird. Er hat ſie mit ſeinem Blut erlöſt, und ich erlöſe ſie mit ihrem eigenen. Er hat ſie ſündigen ge- macht, und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die Wolluſt des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers. Wer hat ſich mehr verleugnet? Ich oder er? — Und doch 3 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/231
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/231>, abgerufen am 21.11.2024.