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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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seinem Fürsten eine gute Empfehlung gewesen, daß er vor-
her im Dienste des "großen Alliirten" gestanden. So trieb
den jungen Arzt die Dankbarkeit in's Lager der "Franzö-
sischen", nicht minder als die Loyalität; man kannte im
Ländchen die gut napoleonische Gesinnung des ehemaligen
Landgrafen und jetzigen Großherzogs.

Grundverschiedene Einflüsse hatten bei der Mutter des
Dichters ein grundverschiedenes Resultat hervorgebracht.
Caroline Büchner war bei der Geburt Georgs kaum
neunzehnjährig. Sie war 1794 dem hessischen Kammerrath
Reuß als erste Tochter geboren worden, Dr. Ernst Büchner
hatte das ebenso liebliche als geistvolle Mädchen 1812 als
Gattin heimgeführt. Wie sie den Reiz der äußeren Er-
scheinung von ihrer Mutter geerbt, welche einst am kleinen,
aber geräuschvollen Pirmasenser Hofe als hochgefeierte Schön-
heit geglänzt, so die hervorragende Begabung und den energi-
schen Bildungstrieb vom Vater. Rath Reiß war ein ernster,
wackerer Mann, nicht blos klug und welterfahren, sondern
auch hochgebildet, ein genauer Kenner und eifriger Verehrer
der deutschen Literatur und schon darum national gesinnt,
abgesehen davon, daß er auch sonst Grund hatte, die Fran-
zosen zu hassen. Die Invasion hatte seine amtliche Stellung
erschüttert, den Kreis seiner Pflichten erweitert, den seiner
Rechte eingeengt. Sein Haß gegen den "gallischen Eindring-
ling", seine Liebe für deutsches Wesen pflanzten sich, noch
weitaus verstärkt, in seiner Lieblingstochter fort; sie sog
durch ihr weiches, schwärmerisches, für und durch das Schöne
leicht entflammtes Gemüth aus den patriotischen Dichtern,
namentlich aus Schiller und Körner, eine wahrhaft grenzen-
lose Begeisterung für ihr Volksthum. Ihr schien der

ſeinem Fürſten eine gute Empfehlung geweſen, daß er vor-
her im Dienſte des "großen Alliirten" geſtanden. So trieb
den jungen Arzt die Dankbarkeit in's Lager der "Franzö-
ſiſchen", nicht minder als die Loyalität; man kannte im
Ländchen die gut napoleoniſche Geſinnung des ehemaligen
Landgrafen und jetzigen Großherzogs.

Grundverſchiedene Einflüſſe hatten bei der Mutter des
Dichters ein grundverſchiedenes Reſultat hervorgebracht.
Caroline Büchner war bei der Geburt Georgs kaum
neunzehnjährig. Sie war 1794 dem heſſiſchen Kammerrath
Reuß als erſte Tochter geboren worden, Dr. Ernſt Büchner
hatte das ebenſo liebliche als geiſtvolle Mädchen 1812 als
Gattin heimgeführt. Wie ſie den Reiz der äußeren Er-
ſcheinung von ihrer Mutter geerbt, welche einſt am kleinen,
aber geräuſchvollen Pirmaſenſer Hofe als hochgefeierte Schön-
heit geglänzt, ſo die hervorragende Begabung und den energi-
ſchen Bildungstrieb vom Vater. Rath Reiß war ein ernſter,
wackerer Mann, nicht blos klug und welterfahren, ſondern
auch hochgebildet, ein genauer Kenner und eifriger Verehrer
der deutſchen Literatur und ſchon darum national geſinnt,
abgeſehen davon, daß er auch ſonſt Grund hatte, die Fran-
zoſen zu haſſen. Die Invaſion hatte ſeine amtliche Stellung
erſchüttert, den Kreis ſeiner Pflichten erweitert, den ſeiner
Rechte eingeengt. Sein Haß gegen den "galliſchen Eindring-
ling", ſeine Liebe für deutſches Weſen pflanzten ſich, noch
weitaus verſtärkt, in ſeiner Lieblingstochter fort; ſie ſog
durch ihr weiches, ſchwärmeriſches, für und durch das Schöne
leicht entflammtes Gemüth aus den patriotiſchen Dichtern,
namentlich aus Schiller und Körner, eine wahrhaft grenzen-
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[VII/0023] ſeinem Fürſten eine gute Empfehlung geweſen, daß er vor- her im Dienſte des "großen Alliirten" geſtanden. So trieb den jungen Arzt die Dankbarkeit in's Lager der "Franzö- ſiſchen", nicht minder als die Loyalität; man kannte im Ländchen die gut napoleoniſche Geſinnung des ehemaligen Landgrafen und jetzigen Großherzogs. Grundverſchiedene Einflüſſe hatten bei der Mutter des Dichters ein grundverſchiedenes Reſultat hervorgebracht. Caroline Büchner war bei der Geburt Georgs kaum neunzehnjährig. Sie war 1794 dem heſſiſchen Kammerrath Reuß als erſte Tochter geboren worden, Dr. Ernſt Büchner hatte das ebenſo liebliche als geiſtvolle Mädchen 1812 als Gattin heimgeführt. Wie ſie den Reiz der äußeren Er- ſcheinung von ihrer Mutter geerbt, welche einſt am kleinen, aber geräuſchvollen Pirmaſenſer Hofe als hochgefeierte Schön- heit geglänzt, ſo die hervorragende Begabung und den energi- ſchen Bildungstrieb vom Vater. Rath Reiß war ein ernſter, wackerer Mann, nicht blos klug und welterfahren, ſondern auch hochgebildet, ein genauer Kenner und eifriger Verehrer der deutſchen Literatur und ſchon darum national geſinnt, abgeſehen davon, daß er auch ſonſt Grund hatte, die Fran- zoſen zu haſſen. Die Invaſion hatte ſeine amtliche Stellung erſchüttert, den Kreis ſeiner Pflichten erweitert, den ſeiner Rechte eingeengt. Sein Haß gegen den "galliſchen Eindring- ling", ſeine Liebe für deutſches Weſen pflanzten ſich, noch weitaus verſtärkt, in ſeiner Lieblingstochter fort; ſie ſog durch ihr weiches, ſchwärmeriſches, für und durch das Schöne leicht entflammtes Gemüth aus den patriotiſchen Dichtern, namentlich aus Schiller und Körner, eine wahrhaft grenzen- loſe Begeiſterung für ihr Volksthum. Ihr ſchien der

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/23>, abgerufen am 23.11.2024.