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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Verzweiflung, er hatte gehofft, so lange in Darmstadt bleiben
zu können, bis das Geld aus Frankfurt eintraf, denn er
zweifelte keinen Augenblick daran, daß Gutzkow die Firma
Sauerländer zur Uebernahme des Verlags und sofortiger
Honorirung veranlassen werde. Wie sollte er sich jetzt,
binnen achtundvierzig Stunden, die Mittel zur Flucht schaffen?
Nun besaß Wilhelm allerdings zwei Louisdors, welche ihm
der Vater am Morgen zur Beschaffung einiger Lehrbücher
übergeben, aber er wagte es nicht dies Geld zu opfern, und
auch Georg mochte ihn nicht dem Zorne des Vaters aus-
setzen. So schieden beide am Nachmittag des 27. Februar
in düsterster Stimmung. "Wir sehen uns nie wieder", sagte
Georg, und die traurige Ahnung hat sich erfüllt.

Wilhelm Büchner ist, wie erwähnt, unser einziger Be-
richterstatter über jene Tage. Was sich nach seinem Abgange
begeben, wie Georg die letzten Stunden im elterlichen Hause
verbracht, woher er die Mittel zur Flucht genommen, war
nicht zu erkunden. Höchstwahrscheinlich hat er in der Frühe
des ersten März, knapp vor Ablauf des Termines, welchen
ihm jener milde, barmherzige Richter gestellt, Darmstadt ver-
lassen. Der Vater und die Geschwister ahnten nichts da-
von; hingegen scheint die Mutter seinen Plan erfahren und
ihm einige Unterstützung gegeben zu haben. Diese Ver-
muthung ist durch das innige Verhältniß zwischen Frau Ca-
roline und ihrem Liebling wohlberechtigt, auch darum, weil
nur so erklärlich wird, daß dieser in letzter Stunde denn
doch plötzlich über die nöthigen Mittel verfügte. Die Krise
ging, wie er später nach Hause berichtete, "rasch und bequem"
vor sich; allerorts wurde er von Anhängern seiner Partei
gastlich aufgenommen und weiter befördert, zunächst nach

G. Büchner's Werke. l

Verzweiflung, er hatte gehofft, ſo lange in Darmſtadt bleiben
zu können, bis das Geld aus Frankfurt eintraf, denn er
zweifelte keinen Augenblick daran, daß Gutzkow die Firma
Sauerländer zur Uebernahme des Verlags und ſofortiger
Honorirung veranlaſſen werde. Wie ſollte er ſich jetzt,
binnen achtundvierzig Stunden, die Mittel zur Flucht ſchaffen?
Nun beſaß Wilhelm allerdings zwei Louisdors, welche ihm
der Vater am Morgen zur Beſchaffung einiger Lehrbücher
übergeben, aber er wagte es nicht dies Geld zu opfern, und
auch Georg mochte ihn nicht dem Zorne des Vaters aus-
ſetzen. So ſchieden beide am Nachmittag des 27. Februar
in düſterſter Stimmung. "Wir ſehen uns nie wieder", ſagte
Georg, und die traurige Ahnung hat ſich erfüllt.

Wilhelm Büchner iſt, wie erwähnt, unſer einziger Be-
richterſtatter über jene Tage. Was ſich nach ſeinem Abgange
begeben, wie Georg die letzten Stunden im elterlichen Hauſe
verbracht, woher er die Mittel zur Flucht genommen, war
nicht zu erkunden. Höchſtwahrſcheinlich hat er in der Frühe
des erſten März, knapp vor Ablauf des Termines, welchen
ihm jener milde, barmherzige Richter geſtellt, Darmſtadt ver-
laſſen. Der Vater und die Geſchwiſter ahnten nichts da-
von; hingegen ſcheint die Mutter ſeinen Plan erfahren und
ihm einige Unterſtützung gegeben zu haben. Dieſe Ver-
muthung iſt durch das innige Verhältniß zwiſchen Frau Ca-
roline und ihrem Liebling wohlberechtigt, auch darum, weil
nur ſo erklärlich wird, daß dieſer in letzter Stunde denn
doch plötzlich über die nöthigen Mittel verfügte. Die Kriſe
ging, wie er ſpäter nach Hauſe berichtete, "raſch und bequem"
vor ſich; allerorts wurde er von Anhängern ſeiner Partei
gaſtlich aufgenommen und weiter befördert, zunächſt nach

G. Büchner's Werke. l
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[CLXI/0177] Verzweiflung, er hatte gehofft, ſo lange in Darmſtadt bleiben zu können, bis das Geld aus Frankfurt eintraf, denn er zweifelte keinen Augenblick daran, daß Gutzkow die Firma Sauerländer zur Uebernahme des Verlags und ſofortiger Honorirung veranlaſſen werde. Wie ſollte er ſich jetzt, binnen achtundvierzig Stunden, die Mittel zur Flucht ſchaffen? Nun beſaß Wilhelm allerdings zwei Louisdors, welche ihm der Vater am Morgen zur Beſchaffung einiger Lehrbücher übergeben, aber er wagte es nicht dies Geld zu opfern, und auch Georg mochte ihn nicht dem Zorne des Vaters aus- ſetzen. So ſchieden beide am Nachmittag des 27. Februar in düſterſter Stimmung. "Wir ſehen uns nie wieder", ſagte Georg, und die traurige Ahnung hat ſich erfüllt. Wilhelm Büchner iſt, wie erwähnt, unſer einziger Be- richterſtatter über jene Tage. Was ſich nach ſeinem Abgange begeben, wie Georg die letzten Stunden im elterlichen Hauſe verbracht, woher er die Mittel zur Flucht genommen, war nicht zu erkunden. Höchſtwahrſcheinlich hat er in der Frühe des erſten März, knapp vor Ablauf des Termines, welchen ihm jener milde, barmherzige Richter geſtellt, Darmſtadt ver- laſſen. Der Vater und die Geſchwiſter ahnten nichts da- von; hingegen ſcheint die Mutter ſeinen Plan erfahren und ihm einige Unterſtützung gegeben zu haben. Dieſe Ver- muthung iſt durch das innige Verhältniß zwiſchen Frau Ca- roline und ihrem Liebling wohlberechtigt, auch darum, weil nur ſo erklärlich wird, daß dieſer in letzter Stunde denn doch plötzlich über die nöthigen Mittel verfügte. Die Kriſe ging, wie er ſpäter nach Hauſe berichtete, "raſch und bequem" vor ſich; allerorts wurde er von Anhängern ſeiner Partei gaſtlich aufgenommen und weiter befördert, zunächſt nach G. Büchner's Werke. l

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CLXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/177>, abgerufen am 23.11.2024.