wir dürfen Georg Büchner glücklich preisen, daß er nie er- fahren, wem er seine Rettung verdankte.
Johann Conrad Kuhl war ein Jugendfreund und Alters- genosse Weidig's und als der Sohn einer achtbaren Bürgers- familie zu Butzbach geboren, wo er eine große Oeconomie erbte. Ueberdies brachte ihm seine Gattin eine so bedeutende Mitgift zu, daß er als einer der reichsten Bürger jener Gegend gelten konnte. Er war ein Mensch von ungewöhn- licher Begabung, auch weit über seinen Stand hinaus ge- bildet, aber eine durch und durch verderbte Natur. Allen Lüsten und Leidenschaften ergeben, dabei von der krankhaften Sucht besessen, stets und überall eine große Rolle zu spielen, brachte er sich und die Seinen in verhältnißmäßig kurzer Zeit um Hab und Gut. Weidig, der reine und sittenstrenge Mann, fühlte sich durch diese Laster des einstigen Freundes abgestoßen und angewidert, ward aber immer wieder durch dessen großen Eifer für die revolutionäre Sache bestochen. Kuhl widmete ihr so viel Zeit, Kraft und Geld, als man nur immer heischte und unterzog sich mit besonderer Lust den gefährlichsten Aufträgen. Was ihn hiezu bewog, war sicher- lich nicht reine Begeisterung, deren seine verderbte Seele gar nicht fähig war, sondern der Stolz, als "verwegener Frei- heitsheld" zu gelten, ferner die Thatsache, daß der verlotterte Mann nur noch hiedurch den Verkehr, ja das Vertrauen braver und geachteter Männer genießen konnte, und schließ- lich, weil er so seinem Hange zu Tücken und Mücken schran- kenlos nachzugehen vermochte -- tausend bübische, gemeine, ja ekelhafte Streiche, welche damals gegen einzelne Beamte verübt und später an den armen "Hochverräthern" grimmig gerächt wurden, sind einzig von Kuhl angestiftet und ausge-
wir dürfen Georg Büchner glücklich preiſen, daß er nie er- fahren, wem er ſeine Rettung verdankte.
Johann Conrad Kuhl war ein Jugendfreund und Alters- genoſſe Weidig's und als der Sohn einer achtbaren Bürgers- familie zu Butzbach geboren, wo er eine große Oeconomie erbte. Ueberdies brachte ihm ſeine Gattin eine ſo bedeutende Mitgift zu, daß er als einer der reichſten Bürger jener Gegend gelten konnte. Er war ein Menſch von ungewöhn- licher Begabung, auch weit über ſeinen Stand hinaus ge- bildet, aber eine durch und durch verderbte Natur. Allen Lüſten und Leidenſchaften ergeben, dabei von der krankhaften Sucht beſeſſen, ſtets und überall eine große Rolle zu ſpielen, brachte er ſich und die Seinen in verhältnißmäßig kurzer Zeit um Hab und Gut. Weidig, der reine und ſittenſtrenge Mann, fühlte ſich durch dieſe Laſter des einſtigen Freundes abgeſtoßen und angewidert, ward aber immer wieder durch deſſen großen Eifer für die revolutionäre Sache beſtochen. Kuhl widmete ihr ſo viel Zeit, Kraft und Geld, als man nur immer heiſchte und unterzog ſich mit beſonderer Luſt den gefährlichſten Aufträgen. Was ihn hiezu bewog, war ſicher- lich nicht reine Begeiſterung, deren ſeine verderbte Seele gar nicht fähig war, ſondern der Stolz, als "verwegener Frei- heitsheld" zu gelten, ferner die Thatſache, daß der verlotterte Mann nur noch hiedurch den Verkehr, ja das Vertrauen braver und geachteter Männer genießen konnte, und ſchließ- lich, weil er ſo ſeinem Hange zu Tücken und Mücken ſchran- kenlos nachzugehen vermochte — tauſend bübiſche, gemeine, ja ekelhafte Streiche, welche damals gegen einzelne Beamte verübt und ſpäter an den armen "Hochverräthern" grimmig gerächt wurden, ſind einzig von Kuhl angeſtiftet und ausge-
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[CXXXIV/0150]
wir dürfen Georg Büchner glücklich preiſen, daß er nie er-
fahren, wem er ſeine Rettung verdankte.
Johann Conrad Kuhl war ein Jugendfreund und Alters-
genoſſe Weidig's und als der Sohn einer achtbaren Bürgers-
familie zu Butzbach geboren, wo er eine große Oeconomie
erbte. Ueberdies brachte ihm ſeine Gattin eine ſo bedeutende
Mitgift zu, daß er als einer der reichſten Bürger jener
Gegend gelten konnte. Er war ein Menſch von ungewöhn-
licher Begabung, auch weit über ſeinen Stand hinaus ge-
bildet, aber eine durch und durch verderbte Natur. Allen
Lüſten und Leidenſchaften ergeben, dabei von der krankhaften
Sucht beſeſſen, ſtets und überall eine große Rolle zu ſpielen,
brachte er ſich und die Seinen in verhältnißmäßig kurzer
Zeit um Hab und Gut. Weidig, der reine und ſittenſtrenge
Mann, fühlte ſich durch dieſe Laſter des einſtigen Freundes
abgeſtoßen und angewidert, ward aber immer wieder durch
deſſen großen Eifer für die revolutionäre Sache beſtochen.
Kuhl widmete ihr ſo viel Zeit, Kraft und Geld, als man
nur immer heiſchte und unterzog ſich mit beſonderer Luſt den
gefährlichſten Aufträgen. Was ihn hiezu bewog, war ſicher-
lich nicht reine Begeiſterung, deren ſeine verderbte Seele gar
nicht fähig war, ſondern der Stolz, als "verwegener Frei-
heitsheld" zu gelten, ferner die Thatſache, daß der verlotterte
Mann nur noch hiedurch den Verkehr, ja das Vertrauen
braver und geachteter Männer genießen konnte, und ſchließ-
lich, weil er ſo ſeinem Hange zu Tücken und Mücken ſchran-
kenlos nachzugehen vermochte — tauſend bübiſche, gemeine,
ja ekelhafte Streiche, welche damals gegen einzelne Beamte
verübt und ſpäter an den armen "Hochverräthern" grimmig
gerächt wurden, ſind einzig von Kuhl angeſtiftet und ausge-
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXXXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/150>, abgerufen am 23.11.2024.
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