Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

bloße Aenderung der Gesetze bedeute, sondern zugleich eine
Reform der Gesellschaft. Und endlich kräftigten sich auch
seine socialistischen Ueberzeugungen, als er den deutschen
Verhältnissen näher trat. Diese schienen ihm unleidlich, em-
pörten ihn und drängten ihm die Ueberzeugung auf, daß
nur die Gewalt eine radicale Aenderung herbeiführen könne.
Auf die Liberalen konnte man dabei nicht zählen. Und
wenn auch -- Büchner wünschte ihnen den Sieg nicht, weil
er von ihnen nicht jene völlige Aenderung aller Verhältnisse
erwartete, wie er sie aus Mitleid und Patriotismus wünschte.
"Sollte es den Constitutionellen gelingen", äußerte er zu
Becker, "die deutschen Regierungen zu stürzen und eine all-
gemeine Monarchie oder Republik einzuführen, so bekommen
wir hier einen Geldaristokratismus, wie in Frankreich, und
lieber soll es bleiben, wie es jetzt ist!" Die letzten Worte,
die recht befremdlich klingen, finden darin ihre Erklärung,
weil Büchner das Verhältniß zwischen Armen und Reichen
für "das einzige revolutionäre Element in der Welt" hielt.
"Der Hunger allein", schrieb er noch später hierüber "kann
die Freiheitsgöttin, und nur ein Moses, der uns die sieben
ägyptischen Plagen auf den Hals schickte, könnte ein Messias
werden". Darum hielt er die Sache der Revolution nur
so lange nicht verloren, als unleidliche Zustände herrschten.
Eine allmählige Besserung werde höchstens der Geistesfreiheit
zu Nutzen werden, nicht einer gerechten Ordnung der mate-
riellen Interessen. Man sieht, der "Landbote" ist nicht
deßhalb socialistisch tingirt, damit der Proletarier entflammt
werde, für den Gebildeten die Kastanien aus dem Feuer zu
holen, sondern Büchner war wirklich Socialist aus Ueber-
zeugung. Aber noch mehr: er war der Erste in Deutsch-

bloße Aenderung der Geſetze bedeute, ſondern zugleich eine
Reform der Geſellſchaft. Und endlich kräftigten ſich auch
ſeine ſocialiſtiſchen Ueberzeugungen, als er den deutſchen
Verhältniſſen näher trat. Dieſe ſchienen ihm unleidlich, em-
pörten ihn und drängten ihm die Ueberzeugung auf, daß
nur die Gewalt eine radicale Aenderung herbeiführen könne.
Auf die Liberalen konnte man dabei nicht zählen. Und
wenn auch — Büchner wünſchte ihnen den Sieg nicht, weil
er von ihnen nicht jene völlige Aenderung aller Verhältniſſe
erwartete, wie er ſie aus Mitleid und Patriotismus wünſchte.
"Sollte es den Conſtitutionellen gelingen", äußerte er zu
Becker, "die deutſchen Regierungen zu ſtürzen und eine all-
gemeine Monarchie oder Republik einzuführen, ſo bekommen
wir hier einen Geldariſtokratismus, wie in Frankreich, und
lieber ſoll es bleiben, wie es jetzt iſt!" Die letzten Worte,
die recht befremdlich klingen, finden darin ihre Erklärung,
weil Büchner das Verhältniß zwiſchen Armen und Reichen
für "das einzige revolutionäre Element in der Welt" hielt.
"Der Hunger allein", ſchrieb er noch ſpäter hierüber "kann
die Freiheitsgöttin, und nur ein Moſes, der uns die ſieben
ägyptiſchen Plagen auf den Hals ſchickte, könnte ein Meſſias
werden". Darum hielt er die Sache der Revolution nur
ſo lange nicht verloren, als unleidliche Zuſtände herrſchten.
Eine allmählige Beſſerung werde höchſtens der Geiſtesfreiheit
zu Nutzen werden, nicht einer gerechten Ordnung der mate-
riellen Intereſſen. Man ſieht, der "Landbote" iſt nicht
deßhalb ſocialiſtiſch tingirt, damit der Proletarier entflammt
werde, für den Gebildeten die Kaſtanien aus dem Feuer zu
holen, ſondern Büchner war wirklich Socialiſt aus Ueber-
zeugung. Aber noch mehr: er war der Erſte in Deutſch-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0138" n="CXXII"/>
bloße Aenderung der Ge&#x017F;etze bedeute, &#x017F;ondern zugleich eine<lb/>
Reform der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Und endlich kräftigten &#x017F;ich auch<lb/>
&#x017F;eine &#x017F;ociali&#x017F;ti&#x017F;chen Ueberzeugungen, als er den deut&#x017F;chen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;en näher trat. Die&#x017F;e &#x017F;chienen ihm unleidlich, em-<lb/>
pörten ihn und drängten ihm die Ueberzeugung auf, daß<lb/>
nur die Gewalt eine radicale Aenderung herbeiführen könne.<lb/>
Auf die Liberalen konnte man dabei nicht zählen. Und<lb/>
wenn auch &#x2014; Büchner wün&#x017F;chte ihnen den Sieg nicht, weil<lb/>
er von ihnen nicht jene völlige Aenderung aller Verhältni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
erwartete, wie er &#x017F;ie aus Mitleid und Patriotismus wün&#x017F;chte.<lb/>
"Sollte es den Con&#x017F;titutionellen gelingen", äußerte er zu<lb/>
Becker, "die deut&#x017F;chen Regierungen zu &#x017F;türzen und eine all-<lb/>
gemeine Monarchie oder Republik einzuführen, &#x017F;o bekommen<lb/>
wir hier einen Geldari&#x017F;tokratismus, wie in Frankreich, und<lb/>
lieber &#x017F;oll es bleiben, wie es jetzt i&#x017F;t!" Die letzten Worte,<lb/>
die recht befremdlich klingen, finden darin ihre Erklärung,<lb/>
weil Büchner das Verhältniß zwi&#x017F;chen Armen und Reichen<lb/>
für "das einzige revolutionäre Element in der Welt" hielt.<lb/>
"Der Hunger allein", &#x017F;chrieb er noch &#x017F;päter hierüber "kann<lb/>
die Freiheitsgöttin, und nur ein Mo&#x017F;es, der uns die &#x017F;ieben<lb/>
ägypti&#x017F;chen Plagen auf den Hals &#x017F;chickte, könnte ein Me&#x017F;&#x017F;ias<lb/>
werden". Darum hielt er die Sache der Revolution nur<lb/>
&#x017F;o lange nicht verloren, als unleidliche Zu&#x017F;tände herr&#x017F;chten.<lb/>
Eine allmählige Be&#x017F;&#x017F;erung werde höch&#x017F;tens der Gei&#x017F;tesfreiheit<lb/>
zu Nutzen werden, nicht einer gerechten Ordnung der mate-<lb/>
riellen Intere&#x017F;&#x017F;en. Man &#x017F;ieht, der "Landbote" i&#x017F;t nicht<lb/>
deßhalb &#x017F;ociali&#x017F;ti&#x017F;ch tingirt, damit der Proletarier entflammt<lb/>
werde, für den Gebildeten die Ka&#x017F;tanien aus dem Feuer zu<lb/>
holen, &#x017F;ondern Büchner war wirklich Sociali&#x017F;t aus Ueber-<lb/>
zeugung. Aber noch mehr: er war der <hi rendition="#g">Er&#x017F;te</hi> in Deut&#x017F;ch-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[CXXII/0138] bloße Aenderung der Geſetze bedeute, ſondern zugleich eine Reform der Geſellſchaft. Und endlich kräftigten ſich auch ſeine ſocialiſtiſchen Ueberzeugungen, als er den deutſchen Verhältniſſen näher trat. Dieſe ſchienen ihm unleidlich, em- pörten ihn und drängten ihm die Ueberzeugung auf, daß nur die Gewalt eine radicale Aenderung herbeiführen könne. Auf die Liberalen konnte man dabei nicht zählen. Und wenn auch — Büchner wünſchte ihnen den Sieg nicht, weil er von ihnen nicht jene völlige Aenderung aller Verhältniſſe erwartete, wie er ſie aus Mitleid und Patriotismus wünſchte. "Sollte es den Conſtitutionellen gelingen", äußerte er zu Becker, "die deutſchen Regierungen zu ſtürzen und eine all- gemeine Monarchie oder Republik einzuführen, ſo bekommen wir hier einen Geldariſtokratismus, wie in Frankreich, und lieber ſoll es bleiben, wie es jetzt iſt!" Die letzten Worte, die recht befremdlich klingen, finden darin ihre Erklärung, weil Büchner das Verhältniß zwiſchen Armen und Reichen für "das einzige revolutionäre Element in der Welt" hielt. "Der Hunger allein", ſchrieb er noch ſpäter hierüber "kann die Freiheitsgöttin, und nur ein Moſes, der uns die ſieben ägyptiſchen Plagen auf den Hals ſchickte, könnte ein Meſſias werden". Darum hielt er die Sache der Revolution nur ſo lange nicht verloren, als unleidliche Zuſtände herrſchten. Eine allmählige Beſſerung werde höchſtens der Geiſtesfreiheit zu Nutzen werden, nicht einer gerechten Ordnung der mate- riellen Intereſſen. Man ſieht, der "Landbote" iſt nicht deßhalb ſocialiſtiſch tingirt, damit der Proletarier entflammt werde, für den Gebildeten die Kaſtanien aus dem Feuer zu holen, ſondern Büchner war wirklich Socialiſt aus Ueber- zeugung. Aber noch mehr: er war der Erſte in Deutſch-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/138
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/138>, abgerufen am 24.11.2024.