auf das römische Recht basirte "Gemeine Recht" charakterisirt. Es ist nicht Uebertreibung, sondern buchstäbliche Wahrheit, wenn Büchner ausruft: "Diese Gerechtigkeit spricht nach Gesetzen, die ihr nicht versteht, nach Grundsätzen, von denen ihr nichts wißt, Urtheile, von denen ihr nichts begreift!" -- und ebenso berechtigt ist seine Klage über die politische Servilität des Richterstandes -- war doch die von der Ver- fassung verbürgte Unabhängigkeit dieser Beamten längst durch administrative Verordnungen auf ein Minimum herabgedrückt worden! -- ebenso berechtigt seine Erinnerung an die Opfer des Bauernaufstands -- diese Justiz urtheilte in politischen Prozessen mit unerhörter, wahrhaft barbarischer Strenge, weil sie jedem Wink von Oben willig gehorchte, gehorchen mußte! Und vollends berechtigt werden uns die meisten Anklagen der Flugschrift erscheinen, wenn wir uns auf jenen Standpunkt versetzen, von dem sie geschrieben ist, den Stand- punkt des armen, bedrückten, rechtlosen Bauers und Arbeiters. Neben dem streng logischen Aufbau, neben der leidenschaft- lichen und doch so kühl und schlau berechnenden Tendenz ist dieser Standpunkt die dritte und wichtigste Eigenschaft des "Landboten", welche ihm ein eigenthümliches, von ähnlichen Flugschriften jener Zeit überaus verschiedenes Gepräge gibt. Zum ersten Male in Deutschland tritt darin ein Demokrat nicht für die geistigen Güter der Gebildeten ein, sondern für die materiellen der Armen und Unwissenden, zum ersten Male ist hier nicht von Preßfreiheit, Vereinsrecht und Wahl- census die Rede, sondern von der "großen Magenfrage", zum ersten Male tritt hier an die Stelle der politisch- demokratischen Agitation die social-demokratische Klage und Anklage.
auf das römiſche Recht baſirte "Gemeine Recht" charakteriſirt. Es iſt nicht Uebertreibung, ſondern buchſtäbliche Wahrheit, wenn Büchner ausruft: "Dieſe Gerechtigkeit ſpricht nach Geſetzen, die ihr nicht verſteht, nach Grundſätzen, von denen ihr nichts wißt, Urtheile, von denen ihr nichts begreift!" — und ebenſo berechtigt iſt ſeine Klage über die politiſche Servilität des Richterſtandes — war doch die von der Ver- faſſung verbürgte Unabhängigkeit dieſer Beamten längſt durch adminiſtrative Verordnungen auf ein Minimum herabgedrückt worden! — ebenſo berechtigt ſeine Erinnerung an die Opfer des Bauernaufſtands — dieſe Juſtiz urtheilte in politiſchen Prozeſſen mit unerhörter, wahrhaft barbariſcher Strenge, weil ſie jedem Wink von Oben willig gehorchte, gehorchen mußte! Und vollends berechtigt werden uns die meiſten Anklagen der Flugſchrift erſcheinen, wenn wir uns auf jenen Standpunkt verſetzen, von dem ſie geſchrieben iſt, den Stand- punkt des armen, bedrückten, rechtloſen Bauers und Arbeiters. Neben dem ſtreng logiſchen Aufbau, neben der leidenſchaft- lichen und doch ſo kühl und ſchlau berechnenden Tendenz iſt dieſer Standpunkt die dritte und wichtigſte Eigenſchaft des "Landboten", welche ihm ein eigenthümliches, von ähnlichen Flugſchriften jener Zeit überaus verſchiedenes Gepräge gibt. Zum erſten Male in Deutſchland tritt darin ein Demokrat nicht für die geiſtigen Güter der Gebildeten ein, ſondern für die materiellen der Armen und Unwiſſenden, zum erſten Male iſt hier nicht von Preßfreiheit, Vereinsrecht und Wahl- cenſus die Rede, ſondern von der "großen Magenfrage", zum erſten Male tritt hier an die Stelle der politiſch- demokratiſchen Agitation die ſocial-demokratiſche Klage und Anklage.
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[CXIX/0135]
auf das römiſche Recht baſirte "Gemeine Recht" charakteriſirt.
Es iſt nicht Uebertreibung, ſondern buchſtäbliche Wahrheit,
wenn Büchner ausruft: "Dieſe Gerechtigkeit ſpricht nach
Geſetzen, die ihr nicht verſteht, nach Grundſätzen, von denen
ihr nichts wißt, Urtheile, von denen ihr nichts begreift!" —
und ebenſo berechtigt iſt ſeine Klage über die politiſche
Servilität des Richterſtandes — war doch die von der Ver-
faſſung verbürgte Unabhängigkeit dieſer Beamten längſt durch
adminiſtrative Verordnungen auf ein Minimum herabgedrückt
worden! — ebenſo berechtigt ſeine Erinnerung an die Opfer
des Bauernaufſtands — dieſe Juſtiz urtheilte in politiſchen
Prozeſſen mit unerhörter, wahrhaft barbariſcher Strenge,
weil ſie jedem Wink von Oben willig gehorchte, gehorchen
mußte! Und vollends berechtigt werden uns die meiſten
Anklagen der Flugſchrift erſcheinen, wenn wir uns auf jenen
Standpunkt verſetzen, von dem ſie geſchrieben iſt, den Stand-
punkt des armen, bedrückten, rechtloſen Bauers und Arbeiters.
Neben dem ſtreng logiſchen Aufbau, neben der leidenſchaft-
lichen und doch ſo kühl und ſchlau berechnenden Tendenz iſt
dieſer Standpunkt die dritte und wichtigſte Eigenſchaft des
"Landboten", welche ihm ein eigenthümliches, von ähnlichen
Flugſchriften jener Zeit überaus verſchiedenes Gepräge gibt.
Zum erſten Male in Deutſchland tritt darin ein Demokrat
nicht für die geiſtigen Güter der Gebildeten ein, ſondern für
die materiellen der Armen und Unwiſſenden, zum erſten
Male iſt hier nicht von Preßfreiheit, Vereinsrecht und Wahl-
cenſus die Rede, ſondern von der "großen Magenfrage",
zum erſten Male tritt hier an die Stelle der politiſch-
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/135>, abgerufen am 18.12.2024.
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