verzeichnen, ferner seinen Werth für diese Biographie als Quelle zur Erkenntniß von Büchner's Charakter und Ge- sinnung festzustellen, endlich zu prüfen, welche literarische und insbesondere welche historische Bedeutung ihm zuzuschreiben ist. Schon der Umstand, daß zwar jedes Geschichtswerk über jene Zeit den "Hessischen Landboten" eingehend, aber keines völlig wahrheitsgetreu behandelt, wird diese Ausführ- lichkeit rechtfertigen.
Die Flugschrift entstand, wie aus Nöllner's Actenwerke hervorgeht, Ende März 1834, also nach Begründung der Gießener "Gesellschaft der Menschenrechte" und vor Büchner's Reise nach Straßburg. Um den Plan wußte Niemand, auch Weidig, von dem Büchner hiezu eine Statistik des Groß- herzogthums entlieh, erfuhr nur nebenbei, daß dieser "etwas schreiben wolle". Doch kam die Schrift unmittelbar nach ihrer Vollendung in einer der ersten Sitzungen jener Gesell- schaft zur Verlesung, wurde eifrig debattirt und fand großen Beifall. An Weidig aber und zur Berathung im Butzbacher Conventikel gelangte sie erst Anfang Mai -- Becker war es, der Büchner's räthselhafte Zeichen (seine Handschrift war jederzeit, auch schon im Gymnasium, unglaublich schlecht und häßlich) leserlich umschrieb und Weidig überbrachte. Erst nachdem sich dieser entschieden geweigert, den Druck zu be- sorgen, kam es zu jenem obenerwähnten Kampf und Com- promiß. Weidig fügte sich und schlug nur vor, durch einige Zusätze religiöser Färbung die politisch-socialen Excurse der großen Masse mundgerecht zu machen. Das schien ein glück- licher Gedanke und Büchner willigte sofort darein, Weidig nach dieser Richtung freie Hand zu lassen. Doch nützte dieser die Gelegenheit auch zu sonstigen Streichungen und
verzeichnen, ferner ſeinen Werth für dieſe Biographie als Quelle zur Erkenntniß von Büchner's Charakter und Ge- ſinnung feſtzuſtellen, endlich zu prüfen, welche literariſche und insbeſondere welche hiſtoriſche Bedeutung ihm zuzuſchreiben iſt. Schon der Umſtand, daß zwar jedes Geſchichtswerk über jene Zeit den "Heſſiſchen Landboten" eingehend, aber keines völlig wahrheitsgetreu behandelt, wird dieſe Ausführ- lichkeit rechtfertigen.
Die Flugſchrift entſtand, wie aus Nöllner's Actenwerke hervorgeht, Ende März 1834, alſo nach Begründung der Gießener "Geſellſchaft der Menſchenrechte" und vor Büchner's Reiſe nach Straßburg. Um den Plan wußte Niemand, auch Weidig, von dem Büchner hiezu eine Statiſtik des Groß- herzogthums entlieh, erfuhr nur nebenbei, daß dieſer "etwas ſchreiben wolle". Doch kam die Schrift unmittelbar nach ihrer Vollendung in einer der erſten Sitzungen jener Geſell- ſchaft zur Verleſung, wurde eifrig debattirt und fand großen Beifall. An Weidig aber und zur Berathung im Butzbacher Conventikel gelangte ſie erſt Anfang Mai — Becker war es, der Büchner's räthſelhafte Zeichen (ſeine Handſchrift war jederzeit, auch ſchon im Gymnaſium, unglaublich ſchlecht und häßlich) leſerlich umſchrieb und Weidig überbrachte. Erſt nachdem ſich dieſer entſchieden geweigert, den Druck zu be- ſorgen, kam es zu jenem obenerwähnten Kampf und Com- promiß. Weidig fügte ſich und ſchlug nur vor, durch einige Zuſätze religiöſer Färbung die politiſch-ſocialen Excurſe der großen Maſſe mundgerecht zu machen. Das ſchien ein glück- licher Gedanke und Büchner willigte ſofort darein, Weidig nach dieſer Richtung freie Hand zu laſſen. Doch nützte dieſer die Gelegenheit auch zu ſonſtigen Streichungen und
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[CXII/0128]
verzeichnen, ferner ſeinen Werth für dieſe Biographie als
Quelle zur Erkenntniß von Büchner's Charakter und Ge-
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insbeſondere welche hiſtoriſche Bedeutung ihm zuzuſchreiben
iſt. Schon der Umſtand, daß zwar jedes Geſchichtswerk
über jene Zeit den "Heſſiſchen Landboten" eingehend, aber
keines völlig wahrheitsgetreu behandelt, wird dieſe Ausführ-
lichkeit rechtfertigen.
Die Flugſchrift entſtand, wie aus Nöllner's Actenwerke
hervorgeht, Ende März 1834, alſo nach Begründung der
Gießener "Geſellſchaft der Menſchenrechte" und vor Büchner's
Reiſe nach Straßburg. Um den Plan wußte Niemand, auch
Weidig, von dem Büchner hiezu eine Statiſtik des Groß-
herzogthums entlieh, erfuhr nur nebenbei, daß dieſer "etwas
ſchreiben wolle". Doch kam die Schrift unmittelbar nach
ihrer Vollendung in einer der erſten Sitzungen jener Geſell-
ſchaft zur Verleſung, wurde eifrig debattirt und fand großen
Beifall. An Weidig aber und zur Berathung im Butzbacher
Conventikel gelangte ſie erſt Anfang Mai — Becker war
es, der Büchner's räthſelhafte Zeichen (ſeine Handſchrift war
jederzeit, auch ſchon im Gymnaſium, unglaublich ſchlecht und
häßlich) leſerlich umſchrieb und Weidig überbrachte. Erſt
nachdem ſich dieſer entſchieden geweigert, den Druck zu be-
ſorgen, kam es zu jenem obenerwähnten Kampf und Com-
promiß. Weidig fügte ſich und ſchlug nur vor, durch einige
Zuſätze religiöſer Färbung die politiſch-ſocialen Excurſe der
großen Maſſe mundgerecht zu machen. Das ſchien ein glück-
licher Gedanke und Büchner willigte ſofort darein, Weidig
nach dieſer Richtung freie Hand zu laſſen. Doch nützte
dieſer die Gelegenheit auch zu ſonſtigen Streichungen und
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/128>, abgerufen am 24.11.2024.
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