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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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ihm jene der Einheit. Auch darin erwies er sich als
"Teutscher von 1816", wie in vielen anderen Stücken; sein
Lieblingsdichter war Klopstock, wogegen er Goethe grimmig
haßte; die französische Revolution war ihm ein Gräuel, weil
sie die Vernunft als Göttin proclamirt, und der Gedanke
einer Emancipation der Juden schien ihm sündhaft, weil Gott
dieses Volk verstoßen. Während seine meisten Gesinnungs-
genossen allmählig von jenen christlich-germanischen Principien
abkamen und entweder zahme Staatsbürger wurden oder
moderne Freiheitsideen acceptirten, blieb Weidig, auf das
kleine Butzbach und den Verkehr mit Leuten, die er völlig
beeinflußte, angewiesen, denselben unwandelbar treu. Daraus
erklärt es sich auch, daß er keineswegs für eine deutsche
Republik schwärmte, auch keineswegs ein Freund der Fran-
zosen war -- sein Traum war die Aufrichtung eines mäch-
tigen Erbkaiserthums, welches Deutschland in seinen alten
Grenzen (Lothringen und Burgund einbegriffen) aufrichten
und, nach Italien hinübergreifend, der "Hydra des Papst-
thums" das Haupt zertreten sollte! Aber weil er mit allen
Liberalen und Demokraten das nächste Ziel: die Aenderung
der gegenwärtigen Zustände, gemeinsam hatte, so wußte er
sich auch, von einer seltenen Menschenkenntniß und einer
ungemeinen persönlichen Liebenswürdigkeit unterstützt, mit
Allen zu vertragen. Was gegen den Bundestag und die
Kleinstaaterei ging, konnte auf seine Hilfe zählen: darum
unterstützte er Gärth und Rauschenplath bei ihren Vor-
bereitungen zum Frankfurter Putsch, darum opferte er sein
ganzes, nicht unbeträchtliches Vermögen zur Unterstützung
der liberalen Presse, darum ließ er, der Mann der Revo-
lution, sich die Mühe nicht verdrießen, bei einer Gemeinde-

ihm jene der Einheit. Auch darin erwies er ſich als
"Teutſcher von 1816", wie in vielen anderen Stücken; ſein
Lieblingsdichter war Klopſtock, wogegen er Goethe grimmig
haßte; die franzöſiſche Revolution war ihm ein Gräuel, weil
ſie die Vernunft als Göttin proclamirt, und der Gedanke
einer Emancipation der Juden ſchien ihm ſündhaft, weil Gott
dieſes Volk verſtoßen. Während ſeine meiſten Geſinnungs-
genoſſen allmählig von jenen chriſtlich-germaniſchen Principien
abkamen und entweder zahme Staatsbürger wurden oder
moderne Freiheitsideen acceptirten, blieb Weidig, auf das
kleine Butzbach und den Verkehr mit Leuten, die er völlig
beeinflußte, angewieſen, denſelben unwandelbar treu. Daraus
erklärt es ſich auch, daß er keineswegs für eine deutſche
Republik ſchwärmte, auch keineswegs ein Freund der Fran-
zoſen war — ſein Traum war die Aufrichtung eines mäch-
tigen Erbkaiſerthums, welches Deutſchland in ſeinen alten
Grenzen (Lothringen und Burgund einbegriffen) aufrichten
und, nach Italien hinübergreifend, der "Hydra des Papſt-
thums" das Haupt zertreten ſollte! Aber weil er mit allen
Liberalen und Demokraten das nächſte Ziel: die Aenderung
der gegenwärtigen Zuſtände, gemeinſam hatte, ſo wußte er
ſich auch, von einer ſeltenen Menſchenkenntniß und einer
ungemeinen perſönlichen Liebenswürdigkeit unterſtützt, mit
Allen zu vertragen. Was gegen den Bundestag und die
Kleinſtaaterei ging, konnte auf ſeine Hilfe zählen: darum
unterſtützte er Gärth und Rauſchenplath bei ihren Vor-
bereitungen zum Frankfurter Putſch, darum opferte er ſein
ganzes, nicht unbeträchtliches Vermögen zur Unterſtützung
der liberalen Preſſe, darum ließ er, der Mann der Revo-
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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. C. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/116>, abgerufen am 24.11.2024.