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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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haben wir uns hier des Näheren zu beschäftigen. Es mag
auch heute noch schwer sein, ein endgültiges Urtheil über sie
zu formuliren; es mag schwer sein, dem Verstande dieser
Männer gerecht zu werden, welche ohne eigentlichen Anhang
im Volke das Volk befreien, ohne jegliche Macht die Macht
ihrer Gegner gewaltsam brechen wollten -- ihrem edlen,
schwärmerischen, opferfreudigen Herzen aber wird man
gern und leicht Gerechtigkeit widerfahren lassen. Fast alle
Tugenden, freilich auch alle Fehler heißblütiger Jugend klebten
dieser Partei an, die ja auch wirklich zum größeren Theil
aus Studenten bestand, zum geringeren aus jungen Lehrern,
Aerzten, Pfarrern, Advocaten u. s. w. Nur in Frankfurt
und Stuttgart konnte sie auf einige ältere und einflußreiche
Genossen zählen; in Oberhessen jedoch stand an ihrer Spitze,
bis zur Zeit, wo Georg Büchner zeitweilig die Führung
übernahm, ein Mann in bescheidener Lebensstellung, doch
von seltenen Geistesgaben und stählernem Character, der
Schuldirector zu Butzbach bei Gießen, Pfarrer Dr. Fried-
rich Ludwig Weidig. Die Geschichte nennt diesen Mann
unter den Märtyrern für die Freiheit seines Volkes, und
von seinen persönlichen Eigenschaften werden wir noch später
zu berichten haben. Aber so viel sei hier schon erwähnt,
daß er nicht etwa aus persönlichem Ehrgeiz, sondern natur-
gemäß als einer der Aeltesten -- er war 1791 geboren --
und sicherlich als der Rastloseste unter seinen Gesinnungs-
genossen an ihre Spitze getreten. Auch diesem Manne, der
später so tollkühne Pläne gehegt, war bis zum Sommer
1832 jede revolutionäre Idee fern geblieben, erst unter dem
Druck jener verhängnißvollen Ordonnanzen keimte in ihm
der Gedanke einer allgemeinen Erhebung, welche zunächst

haben wir uns hier des Näheren zu beſchäftigen. Es mag
auch heute noch ſchwer ſein, ein endgültiges Urtheil über ſie
zu formuliren; es mag ſchwer ſein, dem Verſtande dieſer
Männer gerecht zu werden, welche ohne eigentlichen Anhang
im Volke das Volk befreien, ohne jegliche Macht die Macht
ihrer Gegner gewaltſam brechen wollten — ihrem edlen,
ſchwärmeriſchen, opferfreudigen Herzen aber wird man
gern und leicht Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Faſt alle
Tugenden, freilich auch alle Fehler heißblütiger Jugend klebten
dieſer Partei an, die ja auch wirklich zum größeren Theil
aus Studenten beſtand, zum geringeren aus jungen Lehrern,
Aerzten, Pfarrern, Advocaten u. ſ. w. Nur in Frankfurt
und Stuttgart konnte ſie auf einige ältere und einflußreiche
Genoſſen zählen; in Oberheſſen jedoch ſtand an ihrer Spitze,
bis zur Zeit, wo Georg Büchner zeitweilig die Führung
übernahm, ein Mann in beſcheidener Lebensſtellung, doch
von ſeltenen Geiſtesgaben und ſtählernem Character, der
Schuldirector zu Butzbach bei Gießen, Pfarrer Dr. Fried-
rich Ludwig Weidig. Die Geſchichte nennt dieſen Mann
unter den Märtyrern für die Freiheit ſeines Volkes, und
von ſeinen perſönlichen Eigenſchaften werden wir noch ſpäter
zu berichten haben. Aber ſo viel ſei hier ſchon erwähnt,
daß er nicht etwa aus perſönlichem Ehrgeiz, ſondern natur-
gemäß als einer der Aelteſten — er war 1791 geboren —
und ſicherlich als der Raſtloſeſte unter ſeinen Geſinnungs-
genoſſen an ihre Spitze getreten. Auch dieſem Manne, der
ſpäter ſo tollkühne Pläne gehegt, war bis zum Sommer
1832 jede revolutionäre Idee fern geblieben, erſt unter dem
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[LXXXIV/0100] haben wir uns hier des Näheren zu beſchäftigen. Es mag auch heute noch ſchwer ſein, ein endgültiges Urtheil über ſie zu formuliren; es mag ſchwer ſein, dem Verſtande dieſer Männer gerecht zu werden, welche ohne eigentlichen Anhang im Volke das Volk befreien, ohne jegliche Macht die Macht ihrer Gegner gewaltſam brechen wollten — ihrem edlen, ſchwärmeriſchen, opferfreudigen Herzen aber wird man gern und leicht Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Faſt alle Tugenden, freilich auch alle Fehler heißblütiger Jugend klebten dieſer Partei an, die ja auch wirklich zum größeren Theil aus Studenten beſtand, zum geringeren aus jungen Lehrern, Aerzten, Pfarrern, Advocaten u. ſ. w. Nur in Frankfurt und Stuttgart konnte ſie auf einige ältere und einflußreiche Genoſſen zählen; in Oberheſſen jedoch ſtand an ihrer Spitze, bis zur Zeit, wo Georg Büchner zeitweilig die Führung übernahm, ein Mann in beſcheidener Lebensſtellung, doch von ſeltenen Geiſtesgaben und ſtählernem Character, der Schuldirector zu Butzbach bei Gießen, Pfarrer Dr. Fried- rich Ludwig Weidig. Die Geſchichte nennt dieſen Mann unter den Märtyrern für die Freiheit ſeines Volkes, und von ſeinen perſönlichen Eigenſchaften werden wir noch ſpäter zu berichten haben. Aber ſo viel ſei hier ſchon erwähnt, daß er nicht etwa aus perſönlichem Ehrgeiz, ſondern natur- gemäß als einer der Aelteſten — er war 1791 geboren — und ſicherlich als der Raſtloſeſte unter ſeinen Geſinnungs- genoſſen an ihre Spitze getreten. Auch dieſem Manne, der ſpäter ſo tollkühne Pläne gehegt, war bis zum Sommer 1832 jede revolutionäre Idee fern geblieben, erſt unter dem Druck jener verhängnißvollen Ordonnanzen keimte in ihm der Gedanke einer allgemeinen Erhebung, welche zunächſt

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/100>, abgerufen am 24.11.2024.