lichen Lebens sich fürnemlich nicht annimmt." -- "Ein Geist, der in seinen Aeußerungen von der Naturgewalt unabhängig ist", wie ihn Liebig bezeichnet, kann nicht existiren; denn niemals hat ein vorurtheilsfreier Ver- stand solche Aeußerungen wahrgenommen. Und wie könnte es anders sein? Wie wäre es möglich, daß die unab- änderliche Ordnung, in der die Dinge sich bewegen, je- mals gestört würde, ohne einen unheilbaren Riß durch die Welt zu machen, ohne uns und das All einer trost- losen Willkühr zu überliefern, ohne jede Wissenschaft als kindischen Quark, jedes irdische Bemühen als vergebliche Arbeit erscheinen zu lassen? -- Solche Ausnahmen von der Regel, solche Ueberhebungen über die natürliche Ord- nung des Daseins hat man Wunder genannt, und es hat deren zu allen Zeiten angeblich in Menge gegeben. Jhre Entstehung verdanken sie theils der Berechnung, theils dem Aberglauben und jener eigenthümlichen Sucht nach dem Wunderbaren und Uebernatürlichen, welche der menschlichen Natur eingeprägt scheint. Es fällt dem Menschen schwer, so offen auch die Thatsachen es dar- thun, sich von der ihn aller Orten und in allen Be- ziehungen umgebenden unveränderlichen Gesetzmäßigkeit, welche ihm ein drückendes Gefühl verursacht, zu über- zeugen, und die Sucht verläßt ihn nicht, etwas zu ent- decken, das dieser Gesetzmäßigkeit eine Nase dreht. Je jünger und unerzogener das Menschengeschlecht war, um
lichen Lebens ſich fürnemlich nicht annimmt.‟ — „Ein Geiſt, der in ſeinen Aeußerungen von der Naturgewalt unabhängig iſt‟, wie ihn Liebig bezeichnet, kann nicht exiſtiren; denn niemals hat ein vorurtheilsfreier Ver- ſtand ſolche Aeußerungen wahrgenommen. Und wie könnte es anders ſein? Wie wäre es möglich, daß die unab- änderliche Ordnung, in der die Dinge ſich bewegen, je- mals geſtört würde, ohne einen unheilbaren Riß durch die Welt zu machen, ohne uns und das All einer troſt- loſen Willkühr zu überliefern, ohne jede Wiſſenſchaft als kindiſchen Quark, jedes irdiſche Bemühen als vergebliche Arbeit erſcheinen zu laſſen? — Solche Ausnahmen von der Regel, ſolche Ueberhebungen über die natürliche Ord- nung des Daſeins hat man Wunder genannt, und es hat deren zu allen Zeiten angeblich in Menge gegeben. Jhre Entſtehung verdanken ſie theils der Berechnung, theils dem Aberglauben und jener eigenthümlichen Sucht nach dem Wunderbaren und Uebernatürlichen, welche der menſchlichen Natur eingeprägt ſcheint. Es fällt dem Menſchen ſchwer, ſo offen auch die Thatſachen es dar- thun, ſich von der ihn aller Orten und in allen Be- ziehungen umgebenden unveränderlichen Geſetzmäßigkeit, welche ihm ein drückendes Gefühl verurſacht, zu über- zeugen, und die Sucht verläßt ihn nicht, etwas zu ent- decken, das dieſer Geſetzmäßigkeit eine Naſe dreht. Je jünger und unerzogener das Menſchengeſchlecht war, um
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lichen Lebens ſich fürnemlich nicht annimmt.‟ — „Ein
Geiſt, der in ſeinen Aeußerungen von der Naturgewalt
unabhängig iſt‟, wie ihn Liebig bezeichnet, kann nicht
exiſtiren; denn niemals hat ein vorurtheilsfreier Ver-
ſtand ſolche Aeußerungen wahrgenommen. Und wie könnte
es anders ſein? Wie wäre es möglich, daß die unab-
änderliche Ordnung, in der die Dinge ſich bewegen, je-
mals geſtört würde, ohne einen unheilbaren Riß durch
die Welt zu machen, ohne uns und das All einer troſt-
loſen Willkühr zu überliefern, ohne jede Wiſſenſchaft als
kindiſchen Quark, jedes irdiſche Bemühen als vergebliche
Arbeit erſcheinen zu laſſen? — Solche Ausnahmen von
der Regel, ſolche Ueberhebungen über die natürliche Ord-
nung des Daſeins hat man Wunder genannt, und es
hat deren zu allen Zeiten angeblich in Menge gegeben.
Jhre Entſtehung verdanken ſie theils der Berechnung,
theils dem Aberglauben und jener eigenthümlichen Sucht
nach dem Wunderbaren und Uebernatürlichen, welche der
menſchlichen Natur eingeprägt ſcheint. Es fällt dem
Menſchen ſchwer, ſo offen auch die Thatſachen es dar-
thun, ſich von der ihn aller Orten und in allen Be-
ziehungen umgebenden unveränderlichen Geſetzmäßigkeit,
welche ihm ein drückendes Gefühl verurſacht, zu über-
zeugen, und die Sucht verläßt ihn nicht, etwas zu ent-
decken, das dieſer Geſetzmäßigkeit eine Naſe dreht. Je
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/56>, abgerufen am 24.11.2024.
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