meine Umstände daran gehindert sind und so lange nicht die Kräfte der Natur, denen wir alle unterthan sind, wie jeglicher Stoff, bestimmend auf uns einwirken. Wo wir mit diesen letzteren in Conflict kommen, da begegnen wir überall jener starren und unerbittlichen Nothwendig- keit, von der wir geredet haben. Es liegt in der Natur alles Lebendigen, daß es entstehe und vergehe, und noch kein Lebendiges hat jemals eine Ausnahme davon ge- macht; der Tod ist die sicherste Rechnung, die gemacht werden kann, und der unvermeidliche Schlußstein jedes individuellen Daseins. Seine Hand hält kein Flehen der Mutter, keine Thräne der Gattin, keine Verzweiflung des Mannes. "Die Naturgesetze", sagt Vogt, "sind rohe, unbeugsame Gewalten, welche weder Moral noch Gemüthlichkeit kennen." Keine Hand hält die Erde in ihrem Schwung, kein Gebot läßt die Sonne stille stehn oder stillt die Wuth der sich bekämpfanden Elemente, kein Ruf weckt den Schlaf des Todten; kein Engel befreit den um Freiheit flehenden Gefangenen aus seinem Kerker; keine Hand aus den Wolken reicht dem Hungern- den ein Brod, kein Zeichen am Himmel gewährt außer- natürliche Kenntniß. "Die Natur", sagt Feuerbach, antwortet nicht auf die Klagen und Fragen des Men- chen; sie schleudert unerbittlich ihn auf sich selbst zu- rück." Und Luther in seiner naiven Weise: "Denn das sehen wir in der Erfahrung, daß Gott dieses zeit-
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meine Umſtände daran gehindert ſind und ſo lange nicht die Kräfte der Natur, denen wir alle unterthan ſind, wie jeglicher Stoff, beſtimmend auf uns einwirken. Wo wir mit dieſen letzteren in Conflict kommen, da begegnen wir überall jener ſtarren und unerbittlichen Nothwendig- keit, von der wir geredet haben. Es liegt in der Natur alles Lebendigen, daß es entſtehe und vergehe, und noch kein Lebendiges hat jemals eine Ausnahme davon ge- macht; der Tod iſt die ſicherſte Rechnung, die gemacht werden kann, und der unvermeidliche Schlußſtein jedes individuellen Daſeins. Seine Hand hält kein Flehen der Mutter, keine Thräne der Gattin, keine Verzweiflung des Mannes. „Die Naturgeſetze‟, ſagt Vogt, „ſind rohe, unbeugſame Gewalten, welche weder Moral noch Gemüthlichkeit kennen.‟ Keine Hand hält die Erde in ihrem Schwung, kein Gebot läßt die Sonne ſtille ſtehn oder ſtillt die Wuth der ſich bekämpfanden Elemente, kein Ruf weckt den Schlaf des Todten; kein Engel befreit den um Freiheit flehenden Gefangenen aus ſeinem Kerker; keine Hand aus den Wolken reicht dem Hungern- den ein Brod, kein Zeichen am Himmel gewährt außer- natürliche Kenntniß. „Die Natur‟, ſagt Feuerbach, antwortet nicht auf die Klagen und Fragen des Men- chen; ſie ſchleudert unerbittlich ihn auf ſich ſelbſt zu- rück.‟ Und Luther in ſeiner naiven Weiſe: „Denn das ſehen wir in der Erfahrung, daß Gott dieſes zeit-
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meine Umſtände daran gehindert ſind und ſo lange nicht
die Kräfte der Natur, denen wir alle unterthan ſind, wie
jeglicher Stoff, beſtimmend auf uns einwirken. Wo wir
mit dieſen letzteren in Conflict kommen, da begegnen
wir überall jener ſtarren und unerbittlichen Nothwendig-
keit, von der wir geredet haben. Es liegt in der Natur
alles Lebendigen, daß es entſtehe und vergehe, und noch
kein Lebendiges hat jemals eine Ausnahme davon ge-
macht; der Tod iſt die ſicherſte Rechnung, die gemacht
werden kann, und der unvermeidliche Schlußſtein jedes
individuellen Daſeins. Seine Hand hält kein Flehen
der Mutter, keine Thräne der Gattin, keine Verzweiflung
des Mannes. „Die Naturgeſetze‟, ſagt Vogt, „ſind
rohe, unbeugſame Gewalten, welche weder Moral noch
Gemüthlichkeit kennen.‟ Keine Hand hält die Erde in
ihrem Schwung, kein Gebot läßt die Sonne ſtille ſtehn
oder ſtillt die Wuth der ſich bekämpfanden Elemente, kein
Ruf weckt den Schlaf des Todten; kein Engel befreit
den um Freiheit flehenden Gefangenen aus ſeinem
Kerker; keine Hand aus den Wolken reicht dem Hungern-
den ein Brod, kein Zeichen am Himmel gewährt außer-
natürliche Kenntniß. „Die Natur‟, ſagt Feuerbach,
antwortet nicht auf die Klagen und Fragen des Men-
chen; ſie ſchleudert unerbittlich ihn auf ſich ſelbſt zu-
rück.‟ Und Luther in ſeiner naiven Weiſe: „Denn
das ſehen wir in der Erfahrung, daß Gott dieſes zeit-
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/55>, abgerufen am 24.11.2024.
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