unbestreitbare Thatsache einer einmal festgesetzten und unabänderlichen Weltordnung mit dem Glauben an ein individuelles schaffendes Princip vereinigen zu können glaubten. Auch alle religiösen Vorstellungen lehnen mehr oder weniger an diese Jdee an, nur mit dem Unter- schiede, daß sie den Weltgeist nach der Schöpfung zwar ruhend, aber doch als Jndividuum, das seine gegebenen Gesetze jederzeit wieder aufheben kann, denken. Es kön- nen uns diese Vorstellungen nicht weiter beschäftigen, da sie keine philosophische Denkweise befolgen, sondern individuell-menschliche Eigenschaften und Unvollkommen- heiten auf absolute Begriffe übertragen. Was demnach die letztgenannte Vorstellungsweise in ihrer philosophi- schen. Bedeutung anlangt, so hieße es Eulen nach Athen tragen, wollten wir uns bemühen, ihre Halt- und Nutz- losigkeit darzuthun. Schon die Anwendung des endlichen Zeitbegriff's auf die Schöpferkraft enthält eine Unge- reimtheit; eine noch größere ihre Entstehung aus dem Nichts. "Aus Nichts kann keine Kraft entstehen", sagt Liebig. Wenn aber die Schöpferkraft nicht vor Ent- stehung der Dinge da sein konnte, wenn sie nicht nach derselben sein kann, wenn es endlich nicht denkbar ist, daß sie nur eine momentane Existenz besaß; wenn der Stoff unsterblich ist, wenn es keinen Stoff ohne Kraft, keine Kraft ohne Stoff gibt -- dann mag uns wohl kein Zweifel darüber bleiben dürfen, daß die Welt
unbeſtreitbare Thatſache einer einmal feſtgeſetzten und unabänderlichen Weltordnung mit dem Glauben an ein individuelles ſchaffendes Princip vereinigen zu können glaubten. Auch alle religiöſen Vorſtellungen lehnen mehr oder weniger an dieſe Jdee an, nur mit dem Unter- ſchiede, daß ſie den Weltgeiſt nach der Schöpfung zwar ruhend, aber doch als Jndividuum, das ſeine gegebenen Geſetze jederzeit wieder aufheben kann, denken. Es kön- nen uns dieſe Vorſtellungen nicht weiter beſchäftigen, da ſie keine philoſophiſche Denkweiſe befolgen, ſondern individuell-menſchliche Eigenſchaften und Unvollkommen- heiten auf abſolute Begriffe übertragen. Was demnach die letztgenannte Vorſtellungsweiſe in ihrer philoſophi- ſchen. Bedeutung anlangt, ſo hieße es Eulen nach Athen tragen, wollten wir uns bemühen, ihre Halt- und Nutz- loſigkeit darzuthun. Schon die Anwendung des endlichen Zeitbegriff’s auf die Schöpferkraft enthält eine Unge- reimtheit; eine noch größere ihre Entſtehung aus dem Nichts. „Aus Nichts kann keine Kraft entſtehen‟, ſagt Liebig. Wenn aber die Schöpferkraft nicht vor Ent- ſtehung der Dinge da ſein konnte, wenn ſie nicht nach derſelben ſein kann, wenn es endlich nicht denkbar iſt, daß ſie nur eine momentane Exiſtenz beſaß; wenn der Stoff unſterblich iſt, wenn es keinen Stoff ohne Kraft, keine Kraft ohne Stoff gibt — dann mag uns wohl kein Zweifel darüber bleiben dürfen, daß die Welt
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unbeſtreitbare Thatſache einer einmal feſtgeſetzten und
unabänderlichen Weltordnung mit dem Glauben an ein
individuelles ſchaffendes Princip vereinigen zu können
glaubten. Auch alle religiöſen Vorſtellungen lehnen
mehr oder weniger an dieſe Jdee an, nur mit dem Unter-
ſchiede, daß ſie den Weltgeiſt nach der Schöpfung zwar
ruhend, aber doch als Jndividuum, das ſeine gegebenen
Geſetze jederzeit wieder aufheben kann, denken. Es kön-
nen uns dieſe Vorſtellungen nicht weiter beſchäftigen,
da ſie keine philoſophiſche Denkweiſe befolgen, ſondern
individuell-menſchliche Eigenſchaften und Unvollkommen-
heiten auf abſolute Begriffe übertragen. Was demnach
die letztgenannte Vorſtellungsweiſe in ihrer philoſophi-
ſchen. Bedeutung anlangt, ſo hieße es Eulen nach Athen
tragen, wollten wir uns bemühen, ihre Halt- und Nutz-
loſigkeit darzuthun. Schon die Anwendung des endlichen
Zeitbegriff’s auf die Schöpferkraft enthält eine Unge-
reimtheit; eine noch größere ihre Entſtehung aus dem
Nichts. „Aus Nichts kann keine Kraft entſtehen‟, ſagt
Liebig. Wenn aber die Schöpferkraft nicht vor Ent-
ſtehung der Dinge da ſein konnte, wenn ſie nicht nach
derſelben ſein kann, wenn es endlich nicht denkbar
iſt, daß ſie nur eine momentane Exiſtenz beſaß; wenn
der Stoff unſterblich iſt, wenn es keinen Stoff ohne
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wohl kein Zweifel darüber bleiben dürfen, daß die Welt
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/29>, abgerufen am 21.11.2024.
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