"fälschlichen Vorhalt" zu nennen pflegt, durch eine Wen- dung, welche mit moralischen Consequenzen Na- turwahrheiten bekämpfen will, und welche so gänzlich unwissenschaftlich genannt werden muß, daß schwer zu begreifen ist, wie sich Jemand entschließen konnte, sie vor einer Versammlung wissenschaftlich ge- bildeter Männer vorzubringen. Der Lohn dafür ist ihrem Urheber freilich sogleich geworden, und der all- gemeine Unwille der Versammlung sprach sich nach den darüber laut gewordenen Berichten unverholen genug aus. "Die Lehre", rief Professor und Hofrath Rudolf Wagner in der letzten Versammlung deutscher Natur- forscher und Aerzte in Göttingen, "die Lehre, die aus der materialistischen Weltanschauung folgt, ist: laßt uns essen und trinken, morgen sind wir todt. Alle großen und ernsten Gedanken sind eitle Träume, Phantasmen, Spiele mechanischer, mit zwei Armen und Beinen herum- laufender Apparate, die sich in chemische Atome auflösen, wieder zusammenfügen etc., dem Tanze Wahnsinniger in einem Jrrenhause vergleichbar, ohne Zukunft, ohne sitt- liche Basis etc." Die Jdee, welche diesem unüberlegten Zornausbruche zu Grunde liegt, fällt so sehr mit den Einwendungen zusammen, welche wir im vorigen Kapitel zu bekämpfen Gelegenheit fanden, daß wir uns wohl der Mühe überheben können, diesen fälschlichen und übel angebrachten Vorhalt hier nochmals genauer zu kritisiren.
„fälſchlichen Vorhalt‟ zu nennen pflegt, durch eine Wen- dung, welche mit moraliſchen Conſequenzen Na- turwahrheiten bekämpfen will, und welche ſo gänzlich unwiſſenſchaftlich genannt werden muß, daß ſchwer zu begreifen iſt, wie ſich Jemand entſchließen konnte, ſie vor einer Verſammlung wiſſenſchaftlich ge- bildeter Männer vorzubringen. Der Lohn dafür iſt ihrem Urheber freilich ſogleich geworden, und der all- gemeine Unwille der Verſammlung ſprach ſich nach den darüber laut gewordenen Berichten unverholen genug aus. „Die Lehre‟, rief Profeſſor und Hofrath Rudolf Wagner in der letzten Verſammlung deutſcher Natur- forſcher und Aerzte in Göttingen, „die Lehre, die aus der materialiſtiſchen Weltanſchauung folgt, iſt: laßt uns eſſen und trinken, morgen ſind wir todt. Alle großen und ernſten Gedanken ſind eitle Träume, Phantasmen, Spiele mechaniſcher, mit zwei Armen und Beinen herum- laufender Apparate, die ſich in chemiſche Atome auflöſen, wieder zuſammenfügen ꝛc., dem Tanze Wahnſinniger in einem Jrrenhauſe vergleichbar, ohne Zukunft, ohne ſitt- liche Baſis ꝛc.‟ Die Jdee, welche dieſem unüberlegten Zornausbruche zu Grunde liegt, fällt ſo ſehr mit den Einwendungen zuſammen, welche wir im vorigen Kapitel zu bekämpfen Gelegenheit fanden, daß wir uns wohl der Mühe überheben können, dieſen fälſchlichen und übel angebrachten Vorhalt hier nochmals genauer zu kritiſiren.
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„fälſchlichen Vorhalt‟ zu nennen pflegt, durch eine Wen-
dung, welche mit moraliſchen Conſequenzen Na-
turwahrheiten bekämpfen will, und welche ſo
gänzlich unwiſſenſchaftlich genannt werden muß, daß
ſchwer zu begreifen iſt, wie ſich Jemand entſchließen
konnte, ſie vor einer Verſammlung wiſſenſchaftlich ge-
bildeter Männer vorzubringen. Der Lohn dafür iſt
ihrem Urheber freilich ſogleich geworden, und der all-
gemeine Unwille der Verſammlung ſprach ſich nach den
darüber laut gewordenen Berichten unverholen genug
aus. „Die Lehre‟, rief Profeſſor und Hofrath Rudolf
Wagner in der letzten Verſammlung deutſcher Natur-
forſcher und Aerzte in Göttingen, „die Lehre, die aus
der materialiſtiſchen Weltanſchauung folgt, iſt: laßt uns
eſſen und trinken, morgen ſind wir todt. Alle großen
und ernſten Gedanken ſind eitle Träume, Phantasmen,
Spiele mechaniſcher, mit zwei Armen und Beinen herum-
laufender Apparate, die ſich in chemiſche Atome auflöſen,
wieder zuſammenfügen ꝛc., dem Tanze Wahnſinniger in
einem Jrrenhauſe vergleichbar, ohne Zukunft, ohne ſitt-
liche Baſis ꝛc.‟ Die Jdee, welche dieſem unüberlegten
Zornausbruche zu Grunde liegt, fällt ſo ſehr mit den
Einwendungen zuſammen, welche wir im vorigen Kapitel
zu bekämpfen Gelegenheit fanden, daß wir uns wohl
der Mühe überheben können, dieſen fälſchlichen und übel
angebrachten Vorhalt hier nochmals genauer zu kritiſiren.
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/284>, abgerufen am 25.11.2024.
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