dessen finden wir bei ihnen nichts als Unklarheiten und Widersprüche. Alles, was über die sinnliche Welt und die aus der Vergleichung sinnlicher Objekte und Ver- hältnisse gezogenen Schlüsse hinausliegt, ist Hypothese und auch nichts weiter als Hypothese. Wer die Hypo- these liebt, mag sich damit begnügen. Der Naturkundige kann es nicht und wird es nie können. -- Daraus mag sich jeder Einzelne die Frage beantworten, ob die Natur- wissenschaften das nicht selten bestrittene Recht haben, sich an philosophischen Fragen zu betheiligen. Nach unserer Ansicht kann es keine Philosophie geben ohne sie; sie sind die eigentlichen und erbittertsten Feinde der Unwissenheit, der Schwärmerei, der Hohlheit des Ge- dankens. Eine Erörterung der höchsten Dinge, die nicht auf ihnen ruht, ist ein Convolut von Worten ohne Sinn. Wird sich die spekulative Philosophie, machtlos gegen die Thatsachen, welche der Materialismus in's Feld führt, dadurch zu retten suchen, daß sie sich in unerreichbare metaphysische Höhen zurückzieht, so können wir sie als geschlagen betrachten. -- Endlich glauben wir es für eine unpassende Prüderie halten zu dürfen, wenn einzelne Stimmen auf naturwissenschaftlicher Seite selbst sich gegen eine solche Betheiligung erklären, weil sie glauben, daß das empirische Material nicht ausreiche, um bestimmte Antworten auf transcendente Fragen geben zu können. Freilich reicht es nicht aus, um diese Fragen
deſſen finden wir bei ihnen nichts als Unklarheiten und Widerſprüche. Alles, was über die ſinnliche Welt und die aus der Vergleichung ſinnlicher Objekte und Ver- hältniſſe gezogenen Schlüſſe hinausliegt, iſt Hypotheſe und auch nichts weiter als Hypotheſe. Wer die Hypo- theſe liebt, mag ſich damit begnügen. Der Naturkundige kann es nicht und wird es nie können. — Daraus mag ſich jeder Einzelne die Frage beantworten, ob die Natur- wiſſenſchaften das nicht ſelten beſtrittene Recht haben, ſich an philoſophiſchen Fragen zu betheiligen. Nach unſerer Anſicht kann es keine Philoſophie geben ohne ſie; ſie ſind die eigentlichen und erbittertſten Feinde der Unwiſſenheit, der Schwärmerei, der Hohlheit des Ge- dankens. Eine Erörterung der höchſten Dinge, die nicht auf ihnen ruht, iſt ein Convolut von Worten ohne Sinn. Wird ſich die ſpekulative Philoſophie, machtlos gegen die Thatſachen, welche der Materialismus in’s Feld führt, dadurch zu retten ſuchen, daß ſie ſich in unerreichbare metaphyſiſche Höhen zurückzieht, ſo können wir ſie als geſchlagen betrachten. — Endlich glauben wir es für eine unpaſſende Prüderie halten zu dürfen, wenn einzelne Stimmen auf naturwiſſenſchaftlicher Seite ſelbſt ſich gegen eine ſolche Betheiligung erklären, weil ſie glauben, daß das empiriſche Material nicht ausreiche, um beſtimmte Antworten auf tranſcendente Fragen geben zu können. Freilich reicht es nicht aus, um dieſe Fragen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0282"n="262"/>
deſſen finden wir bei ihnen nichts als Unklarheiten und<lb/>
Widerſprüche. Alles, was über die ſinnliche Welt und<lb/>
die aus der Vergleichung ſinnlicher Objekte und Ver-<lb/>
hältniſſe gezogenen Schlüſſe hinausliegt, iſt Hypotheſe<lb/>
und auch nichts weiter als Hypotheſe. Wer die Hypo-<lb/>
theſe liebt, mag ſich damit begnügen. Der Naturkundige<lb/>
kann es nicht und wird es nie können. — Daraus mag<lb/>ſich jeder Einzelne die Frage beantworten, ob die Natur-<lb/>
wiſſenſchaften das nicht ſelten beſtrittene Recht haben,<lb/>ſich an philoſophiſchen Fragen zu betheiligen. Nach<lb/>
unſerer Anſicht kann es keine Philoſophie geben ohne<lb/>ſie; ſie ſind die eigentlichen und erbittertſten Feinde der<lb/>
Unwiſſenheit, der Schwärmerei, der Hohlheit des Ge-<lb/>
dankens. Eine Erörterung der höchſten Dinge, die nicht<lb/>
auf ihnen ruht, iſt ein Convolut von Worten ohne<lb/>
Sinn. Wird ſich die ſpekulative Philoſophie, machtlos<lb/>
gegen die Thatſachen, welche der Materialismus in’s<lb/>
Feld führt, dadurch zu retten ſuchen, daß ſie ſich in<lb/>
unerreichbare metaphyſiſche Höhen zurückzieht, ſo können<lb/>
wir ſie als geſchlagen betrachten. — Endlich glauben<lb/>
wir es für eine unpaſſende Prüderie halten zu dürfen,<lb/>
wenn einzelne Stimmen auf naturwiſſenſchaftlicher Seite<lb/>ſelbſt ſich gegen eine ſolche Betheiligung erklären, weil<lb/>ſie glauben, daß das empiriſche Material nicht ausreiche,<lb/>
um beſtimmte Antworten auf tranſcendente Fragen geben<lb/>
zu können. Freilich reicht es nicht aus, um dieſe Fragen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[262/0282]
deſſen finden wir bei ihnen nichts als Unklarheiten und
Widerſprüche. Alles, was über die ſinnliche Welt und
die aus der Vergleichung ſinnlicher Objekte und Ver-
hältniſſe gezogenen Schlüſſe hinausliegt, iſt Hypotheſe
und auch nichts weiter als Hypotheſe. Wer die Hypo-
theſe liebt, mag ſich damit begnügen. Der Naturkundige
kann es nicht und wird es nie können. — Daraus mag
ſich jeder Einzelne die Frage beantworten, ob die Natur-
wiſſenſchaften das nicht ſelten beſtrittene Recht haben,
ſich an philoſophiſchen Fragen zu betheiligen. Nach
unſerer Anſicht kann es keine Philoſophie geben ohne
ſie; ſie ſind die eigentlichen und erbittertſten Feinde der
Unwiſſenheit, der Schwärmerei, der Hohlheit des Ge-
dankens. Eine Erörterung der höchſten Dinge, die nicht
auf ihnen ruht, iſt ein Convolut von Worten ohne
Sinn. Wird ſich die ſpekulative Philoſophie, machtlos
gegen die Thatſachen, welche der Materialismus in’s
Feld führt, dadurch zu retten ſuchen, daß ſie ſich in
unerreichbare metaphyſiſche Höhen zurückzieht, ſo können
wir ſie als geſchlagen betrachten. — Endlich glauben
wir es für eine unpaſſende Prüderie halten zu dürfen,
wenn einzelne Stimmen auf naturwiſſenſchaftlicher Seite
ſelbſt ſich gegen eine ſolche Betheiligung erklären, weil
ſie glauben, daß das empiriſche Material nicht ausreiche,
um beſtimmte Antworten auf tranſcendente Fragen geben
zu können. Freilich reicht es nicht aus, um dieſe Fragen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/282>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.