nur kann, in der Ueberzeugung, daß Keiner auch mit ihm besser verfahre. Jm Allgemeinen hält man den, der diesen Weg nicht einschlägt, für zu dumm und zu einfältig, ihn gehen zu können etc." Jeder thut, was seiner Natur entspricht, und folgt den Anstößen, welche ihm entweder diese oder äußere Umstände und Lebens- verhältnisse ertheilen; er thut, was ihm vortheilhaft, passend für sich selbst und für Erreichung seiner Zwecke erscheint, unbekümmert um nicht positiv gewordene Moral- principien. "Alle Menschen sind praktische Atheisten." (Feuerbach) Einen Menschen, der mehr für Andere, als für sich sorgt, pflegt man nach Cotta's Ausdruck einen "guten dummen Kerl" zu nennen. So hat die Gesellschaft von je gehandelt und wird immer so han- deln, unabhängig von den jeweiligen religiösen oder philosophischen Vorstellungen, unter denen sie lebt. Der Mensch ist frei, aber mit gebundenen Händen; er kann nicht über eine gewisse ihm von der Natur gesteckte Grenze hinaus, und diese Grenze ersetzt das, was die Moralisten von positiven Moralgesetzen verlangen. "Denn was man freien Willen nennt," sagt Cotta, "ist schließ- lich nichts Anderes, als das Resultat der stärksten Mo- tive." Mögen sich daher die allgemeinen Ansichten über Weltregierung und Unsterblichkeit ändern und gestalten wie sie wollen, die menschliche Gesellschaft wird deßwegen nicht anders werden, sie wird stets dieselbe bleiben.
Büchner, Kraft und Stoff. 17
nur kann, in der Ueberzeugung, daß Keiner auch mit ihm beſſer verfahre. Jm Allgemeinen hält man den, der dieſen Weg nicht einſchlägt, für zu dumm und zu einfältig, ihn gehen zu können ꝛc.‟ Jeder thut, was ſeiner Natur entſpricht, und folgt den Anſtößen, welche ihm entweder dieſe oder äußere Umſtände und Lebens- verhältniſſe ertheilen; er thut, was ihm vortheilhaft, paſſend für ſich ſelbſt und für Erreichung ſeiner Zwecke erſcheint, unbekümmert um nicht poſitiv gewordene Moral- principien. „Alle Menſchen ſind praktiſche Atheiſten.‟ (Feuerbach) Einen Menſchen, der mehr für Andere, als für ſich ſorgt, pflegt man nach Cotta’s Ausdruck einen „guten dummen Kerl‟ zu nennen. So hat die Geſellſchaft von je gehandelt und wird immer ſo han- deln, unabhängig von den jeweiligen religiöſen oder philoſophiſchen Vorſtellungen, unter denen ſie lebt. Der Menſch iſt frei, aber mit gebundenen Händen; er kann nicht über eine gewiſſe ihm von der Natur geſteckte Grenze hinaus, und dieſe Grenze erſetzt das, was die Moraliſten von poſitiven Moralgeſetzen verlangen. „Denn was man freien Willen nennt,‟ ſagt Cotta, „iſt ſchließ- lich nichts Anderes, als das Reſultat der ſtärkſten Mo- tive.‟ Mögen ſich daher die allgemeinen Anſichten über Weltregierung und Unſterblichkeit ändern und geſtalten wie ſie wollen, die menſchliche Geſellſchaft wird deßwegen nicht anders werden, ſie wird ſtets dieſelbe bleiben.
Büchner, Kraft und Stoff. 17
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nur kann, in der Ueberzeugung, daß Keiner auch mit
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der dieſen Weg nicht einſchlägt, für zu dumm und zu
einfältig, ihn gehen zu können ꝛc.‟ Jeder thut, was
ſeiner Natur entſpricht, und folgt den Anſtößen, welche
ihm entweder dieſe oder äußere Umſtände und Lebens-
verhältniſſe ertheilen; er thut, was ihm vortheilhaft,
paſſend für ſich ſelbſt und für Erreichung ſeiner Zwecke
erſcheint, unbekümmert um nicht poſitiv gewordene Moral-
principien. „Alle Menſchen ſind praktiſche Atheiſten.‟
(Feuerbach) Einen Menſchen, der mehr für Andere,
als für ſich ſorgt, pflegt man nach Cotta’s Ausdruck
einen „guten dummen Kerl‟ zu nennen. So hat die
Geſellſchaft von je gehandelt und wird immer ſo han-
deln, unabhängig von den jeweiligen religiöſen oder
philoſophiſchen Vorſtellungen, unter denen ſie lebt. Der
Menſch iſt frei, aber mit gebundenen Händen; er kann
nicht über eine gewiſſe ihm von der Natur geſteckte
Grenze hinaus, und dieſe Grenze erſetzt das, was die
Moraliſten von poſitiven Moralgeſetzen verlangen. „Denn
was man freien Willen nennt,‟ ſagt Cotta, „iſt ſchließ-
lich nichts Anderes, als das Reſultat der ſtärkſten Mo-
tive.‟ Mögen ſich daher die allgemeinen Anſichten über
Weltregierung und Unſterblichkeit ändern und geſtalten
wie ſie wollen, die menſchliche Geſellſchaft wird deßwegen
nicht anders werden, ſie wird ſtets dieſelbe bleiben.
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/277>, abgerufen am 16.02.2025.
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